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Streit um "harte Haft": Warum ein Anarchist in Italien im Hungerstreik ist

In Italien hat der Fall des Anarchisten Cospito, der seit mehr als 100 Tagen mit einem Hungerstreik gegen Isolierungsmaßnahmen protestiert, die Debatte über den "Artikel 41-bis" wieder auf die politische Tagesordnung gehoben. Der Justizminister bleibt jedoch hart.

Seit Wochen verüben anarchistische Splittergruppen Sprengstoffattentate in Italien und im Ausland. Ende Januar Woche wurde das Auto eines italienischen Botschaftsmitarbeiters in Berlin beschädigt und zeitgleich die Scheiben des italienischen Konsulats in Barcelona eingeschlagen. Zwar gab es bis jetzt nur Sachbeschädigungen, die italienischen Sicherheitskräfte sind aber in Alarmbereitschaft, die Überwachungsvorkehrungen sensibler Bauten wurden verstärkt. Der Protest gilt den Haftbedingungen, denen der Anarchist Alfredo Cospito seit dem vergangenen Jahr unterliegt.

Dabei geht es um den sogenannten Artikel 41-bis des italienischen Strafgesetzes, auch als "carcere duro", zu Deutsch "harte Haft", bekannt. Wie die Anwältin für Strafrecht, Danila Dusci, ntv.de erklärt, sieht die Verordnung folgendes vor: "Der Sträfling lebt in Einzelhaft, der tägliche Hofgang beschränkt sich auf zwei Stunden und mit maximal drei weiteren Gefangenen. Weiter besteht das Nutzungsverbot der Gemeinschaftsräume, es erfolgt eine 24-stündige Überwachung, die Post wird geöffnet und Besuch gibt es nur einmal im Monat hinter einer Glaswand und nur von engsten Verwandten."

Artikel 41-bis wurde 1986 eingeführt. Ursprünglich sollte es die Häftlinge von Aufständen abhalten. Nach den Mafia-Attentaten im Sommer 1992, bei denen der Richter Giovanni Falcone mit seiner Frau und seinen Leibwächtern und wenig später sein Kollege Paolo Borsellino ebenfalls zusammen mit Leibwächtern ums Leben kamen, wurde der Artikel geändert und auf Mafia-Bosse und Terroristen angewandt. "Ziel der Maßnahme ist es, jeglichen Kontakt mit Verbündeten der kriminellen oder terroristischen Organisation in- und außerhalb des Gefängnisses zu unterbinden", sagt Dusci. Es waren die Jahre, in denen die Mafia den Staat mit den Bombenanschlägen in die Knie zwingen wollte. Zunächst stieß die Regel daher auf breite Zustimmung. Im Laufe der letzten Jahre hat sie allerdings immer wieder zu Debatten unter Experten sowie in der Öffentlichkeit geführt und ist jetzt wegen des Falls Cospito wieder aktuell.

Cospito ruft weiter zum Kampf auf

Der 55-jährige Cospito sitzt seit 2013 im Gefängnis. 2012 hatte er den Chef des Atomkonzerns Ansaldo, Roberto Adinolfi, überfallen und ihm mehrfach ins Bein geschossen. Dafür wurde er zu zehn Jahren Haft verurteilt. Während er diese absaß, wurde er zu weiteren 20 Jahren wegen in Auftrag gegebenen oder selbst verübten Sprengstoffanschlägen verurteilt. Damals unterlag er jedoch noch nicht dem "harten Gefängnis".

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Ende Januar gingen in Rome mehrere Autos in Flammen auf - für Alfredo Cospito und gegen den Artikel 41-bis.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Erst als herauskam, dass er trotz eines Verbots Texte aus dem Gefängnis schmuggeln ließ, in denen er zum bewaffneten Kampf gegen den Staat aufrief, wurde er den Haftmaßnahmen des 41-bis unterzogen. Cospito ging daraufhin im Oktober in den Hungerstreik. Noch im Dezember sagte er vor einem Gericht in Turin, er werde seinen Hungerstreik "bis zum letzten Atemzug fortsetzen".

Mittlerweile ist sein Gesundheitszustand so stark gefährdet, dass er aus dem Gefängnis auf Sardinien, wo er seit 2013 war, in die Strafanstalt von Opera in der Nähe von Mailand verlegt wurde, um dort die nötige ärztliche Versorgung zu bekommen. Die Haftbedingungen des 41-bis wurden jedoch nicht aufgehoben.

"Der Staat verhandelt nicht mit Terroristen"

Wie Justizminister Carlo Nordio bei einer Pressekonferenz hervorhob, "lässt sich der Staat nicht erpressen". So sieht es auch Ministerpräsidentin Giorgia Meloni: "Wenn bei jedem Häftling, der in den Hungerstreik tritt, der Artikel 41-bis aufgehoben würde, müsste man sich auch die Frage stellen, wie viele Mafiosi damit den Staat unter Druck setzen würden", sagte sie in einem Interview. "Der Staat verhandelt jedoch weder mit Mafiosi noch mit Terroristen."

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Italien schon mehrmals darauf hingewiesen, dass die bei Artikel 41-bis vorgesehenen Isolationsmaßnahmen die Rechte des Häftlings stark beschneiden. "Na ja, ich würde da eher von behutsamen Hinweisen sprechen", erwidert die Juristin Angela Della Bella, die Strafrecht an der Mailänder Universität lehrt, im Gespräch mit ntv.de. "Zum einen ist man sich der besonderen Mafia-Problematik, mit der Italien konfrontiert ist, bewusst. Zum anderen handelt es sich um eine relative und nicht komplette Isolierung, die Präventionsnotwendigkeiten entspricht." Anders gesagt, sie soll in erster Linie die Mafia-Bosse daran hindern, vom Gefängnis aus ihre kriminellen Machenschaften weiter zu führen. "Von den heute ungefähr 730 Häftlingen, die dem Artikel 41-bis unterliegen, sind 98 Prozent wegen Mafia-Vereinigung und Delikten verurteilt", hebt Della Bella hervor.

In diesem Sinne habe der "carcere duro" sicher seinen Beitrag bei der Bekämpfung der Mafia in Italien geleistet, meint die Juristin, wenngleich die Vor- und Nachteile immer wieder zu überprüfen und abzuwägen seien.

In Italien ohne Buße keine Vergebung

Zum Beispiel, was die Dauer betrifft. Beim ersten Mal gilt der Artikel 41-bis vier Jahre, danach wird er alle zwei Jahre ohne zeitliche Begrenzung verlängert. So unterliegen zum Beispiel die Brüder und Mafia-Bosse Graviano, die für die Attentate an Falcone und Borsellino verurteilt wurden, seit fast 30 Jahren dem "carcere duro".

Das ist es, was die Rechtsanwältin Danila Dusci beanstandet: "Man darf nicht vergessen, dass unsere Verfassung Haftstrafen als Resozialisierungsmaßnahmen versteht." Auch die psychologischen Folgen einer langen Isolationshaft dürften nicht vergessen werden.

Tatsache ist aber auch, dass Haftstrafen nach Artikel 41-bis nicht unwiderruflich sind. Wenn ein Häftling sich von seinen Taten distanziert, keine Kontakte mehr mit der Mafia oder Terrororganisation pflegt, Entschädigungen zu Gunsten der Opfer leistet oder sich auf andere Weise gesellschaftlich engagiert, kann er zurück zur normalen Haftstrafe. Am Ende der vier beziehungsweise danach zwei Jahre erstellen Staatsanwalt und Überwachungsgericht darüber ein Gutachten.

Die Graviano-Brüder zum Beispiel haben sich nie von ihren Taten distanziert. Genauso wenig wie Alfredo Cospito, der auch jüngsten Anschläge der anarchischen Splittergruppen nicht verurteilt hat. Justizminister Nordio sieht daher nicht den geringsten Beweis für einen Wandel. Der Politiker von Melonis postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia berief sich auf "die Ethik unserer römisch-katholischen Kirche". Ziehe man diese in Betracht, sagte er, "dann wissen wir, dass es ohne Beichte, Buße und den festen Vorsatz, die Sünde nicht mehr zu begehen, keine wenn auch nur geringe Vergebung geben kann". Die Mehrheit der Italiener ist seiner Meinung.