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Suche in der Trümmer-Hölle - Kühlschrank rettet Frau das Leben

Von: Til Biermann und Stefano Laura (zzt. in der Türkei)

Türkei - Der Boden bebt. Ein Nachbeben erschüttert Hatay Kirikhan (20 000 Einwohner) nahe der syrischen Grenze. Doch das ist nichts im Vergleich zu dem, was die Menschen hier erleiden mussten, als am Montagfrüh die Erde aufriss. Bislang wurden mehr als 8000 Tote geborgen.

Aus einer Ruine wurde gerade ein toter Mensch gezogen, in einen Teppich gewickelt, Angehörige weinen entsetzt. Alles vorbei. Aber es gibt auch noch Licht unter den Trümmern.

Pressesprecher und Sanitäter Paul-Philipp Braun (26) sagt: „Die schauen jetzt mit einer Sucherkamera nach der Frau, mit der wir über Stimmen Kontakt haben.“

Schreckliche Bilder aus der kleinen Stadt an der syrischen Grenze

Foto: Stefano Laura

KfZ-Mechaniker und Feuerwehrmann Marcus Zinser (54) ist wie die allermeisten ehrenamtlich dabei: „Die Frau liegt hinter einem eingequetschten Kühlschrank, das hat ihr wahrscheinlich das Leben gerettet. Wir versuchen jetzt von hinten an sie ranzukommen.“

Unfassbare Zerstörung, Gebäudeteile, die Autos zerdrückten, zusammengesackte Häuser, eine offen gebrochene Grundschule, auseinander gerissene Straßen. Das sind Bilder, die sich einbrennen, wenn man durch die Stadt läuft.

Trümmerteile flogen beim Erdbeben umher

Foto: Stefano Laura

Die ISAR-Rettungshündin Hope (7) sucht in Trümmern, unter denen drei Kinder vermisst werden. „Wir suchen keine Toten, wir suchen Lebende“, sagt ihr Frauchen Astrid Kalff (55). Und erklärt, wie sie Hope das Menschenretten beibrachte:

„Man nutzt den Spieltrieb der Hunde und kanalisiert den auf lebende Menschen unter Trümmern. Man versteckt das Lieblingsspielzeug mit einem Menschen unter Steinen. So lernt der Hund: Der Geruch des Menschen ist der Schlüssel zum Erfolg. Das Kommando zum Start ist, such und hilf!‘“

Astrid Kalff (55) mit ihrer Hündin Hope beim Einsatz

Foto: Stefano Laura

Ahmed Mosul (18) steht vor einem zerstörten Haus in Hatay Kirikhan: „Wir brauchen Hilfe, wir brauchen Hunde, die riechen. Meine Mutter ist noch da drinnen. Die anderen haben wir retten können, aber sie müssen wir noch finden. Wir haben Stimmen gehört, aber wissen nicht wo.“

Ahmed Mosul (18) sucht seine Mutter unter den Trümmern

Foto: Stefano Laura

Daneben sitzt ein alter Mann mit blutendem Unterarm, wird erstversorgt. Mosul sagt: „Ihn haben wir rausziehen können.“

Ein Mann konnte aus den Trümmern gerettet werden, seine Hand ist schwer verletzt

Foto: Stefano Laura

Die Hündin springt hin und her, schnüffelt, findet aber nichts. Der Vater der Kinder: verzweifelt. Die Mutter weint bitterlich. Ein anderer Mann kommt, ruft: „Auch hier hinten sind noch Stimmen!“

Hope und die anderen Hunde suchen weiter. Bis zu 72 Stunden kann ein Mensch bei idealen Bedingungen unter Trümmern überleben. Aber die Bedingungen sind nicht ideal. Es wird nachts eisig kalt.

Rettungshündin Hope (7) sucht in den Trümmern

Foto: Stefano Laura

Dann am Abend ein erster großer Erfolg: Sennur (66) war 40 Stunden in den Trümmern des Hauses in Hatay Kirikhan hinter dem Kühlschrank eingeschlossen. Dann kamen die deutschen Retter von ISAR und holten sie in einer vierstündigen Arbeit raus.

Die ISAR-Retter nehmen Kontakt zu der verschütteten Sennur (66) auf, klären mit einer Minikamera an einem Kabel die Lage

Foto: Stefano Laura

„Wir haben es geschafft, mehr geht nicht“, sagt Vizeleiter Michael Lesmeister (56) erleichtert. „Die Frau lag tief unter den Trümmern. Wir hatten Angst, dass das ganze Haus einstürzt. Wir sind hoch motiviert und es wird weitergehen.“ Ohne die Helfer mit ihrer Technik hätte die Frau keine Chance gehabt. Die 43 Deutschen und ihre türkischen Kollegen sind das einzige professionelle Rettungsteam in der Stadt.

In der Stadt sind viele Häuser zerstört, Rauch von Feuern hängt in der Luft. Denn die meisten Menschen trauen sich nicht mehr in ihre Häuser, auch wenn die noch stehen, wärmen sich an Lagerfeuern.

Ein Haus hat durch das Mega- Erdbeben sein unterstes Stockwerk verloren, ist einfach in sich zusammengesackt. Manche suchen in Trümmern nach Habseligkeiten. Viele Geschäfte sind geplündert. Häuser, die noch stehen, sind oft in ihrer Struktur so beschädigt, dass sie eigentlich auch abgerissen werden müssten.

Bilder wie aus einem Katastrophenfilm: Offen gebrochene Klassenzimmer einer Grundschule

Foto: ISAR Germany

Dr. Steven Bayer (43), der Einsatzleiter der deutschen Hilfsorganisation ISAR (170 Mitglieder) sagt: „Wir müssen jetzt erst mal das Lager aufschlagen, alles organisieren. Es wird in dieser Stadt viele geben, die noch suchen. Wir müssen geordnet vorgehen.“ Und leider, so sagen die Retter, gibt es auch viele, die in falscher Hoffnung noch Stimmen hören, die schon gar nicht mehr da sind.

So ein Einsatz ist trotz Ehrenamt sehr teuer. Das Team kam samt sieben Hunden und 18 Tonnen Ausrüstung in einer gecharterten Boeing, finanziert von Spendengeldern. Klar ist: Sennur würde ohne diesen auch hohen finanziellen Einsatz nicht mehr leben.

Ein ehrenamtlicher Arzt aus dem Team fasst seine Motivation so zusammen: „In Deutschland kann man manchmal mit riesigem medizinischem Aufwand nur noch wenig bewegen. Bei solchen Einsätzen kann man mit weniger Aufwand Leben retten.“

Das ISAR-Team kam mit einer Charter-Boeing in die Türkei

Als der Krankenwagen mit Sennur abgefahren ist, kommt ein anderer Helfer zu Lesmeister und sagt „positive Ortung“. Ein weiterer Mensch wurde unter den Steinen entdeckt. Die Arbeit geht also weiter.

Auch einen vollkommen unterkühlten jungen Mann, den Einheimische aus den Trümmern gezogen haben, können die Deutschen retten. Er ist kaum ansprechbar, aber er lebt.

Nach rund 48 Stunden unter den Trümmern ist der 16-Jährige noch ansprechbar

Foto: ISAR Germany

▶︎ Dann spät abends wieder eine schreckliche Szene: Eine 25-jährige Frau liegt seit 40 Stunden mit ihrer toten Mutter unter einer Betonplatte. Sie lebt noch, der Körper ihrer Mutter unter ihr, hielt sie am Leben. Mit vereinten Kräften versuchen Einheimische mit deutschen Kräften die Überlebende herauszuholen.

Ein ISAR-Retter gibt dem jungen Mann etwas Wasser

Foto: ISAR Germany

Der Ehemann der Mutter steht schluchzend vor der Absperrung.

Als seine tote Frau in einem schwarzen Sack herausgezogen wird, bricht er zusammen. Dann stirbt auch noch die Tochter an ihren schweren Verletzungen und Unterkühlung hinter dem engen Betonspalt. Das Leid durch die Naturkatastrophe ist extrem. Und die deutschen Retter mit ihrer Hightech-Ausrüstung sind hier für viele die letzte Hoffnung.

Und die ist begründet: Noch in der Nacht zu Mittwoch retten die Deutschen eine Frau und einen 16-Jährigen bei Minusgraden. Und machen weiter.