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Südeuropas üppige Sozialetats beleben die Schuldendebatte neu

In der Corona-Pandemie haben die Regierungen weltweit die Sozialausgaben kräftig in die Höhe geschraubt. Vor allem die Aufwendungen im Gesundheitswesen sowie Zahlungen für Arbeitslose und Kurzarbeit stiegen 2020 sprunghaft. Als im Folgejahr die Konjunktur wieder Tritt fasste, sanken die Sozialausgaben wieder.

Doch wie Berechnungen der Industrieländervereinigung OECD zeigen, beließen ausgerechnet einige hochverschuldete EU-Staaten wie Frankreich, Belgien, Italien und Spanien auch noch 2022 ihre Sozialetats weiterhin auf einem extrem hohen Niveau.

Im Gegensatz dazu haben nordeuropäische Staaten wie die baltischen Länder, Irland und die Niederlande sogar während der Krise einen weitaus geringeren Anteil ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für staatliche Sozialleistungen ausgegeben.

Spitzenreiter bei den Sozialausgaben ist Frankreich. Schon 2019, also im letzten Jahr vor dem Beginn der Coronakrise, lag hier der Anteil der öffentlichen Sozialausgaben bei fast 30,7 Prozent des BIP. 2020 schnellte die Quote dann auf fast 35 Prozent hoch.

Obwohl sich die französische Wirtschaft schnell von dem Konjunktureinbruch erholte und in beiden Folgejahren kräftig wuchs, floss auch im vergangenen Jahr noch fast jeder dritte Euro ins staatliche Sozialbudget.

Ein ähnliches Bild ergibt sich auch für Italien und Spanien, wo die Pandemie anfangs besonders heftig gewütet hatte. In beiden Ländern legten die Regierungen ebenfalls große, auf Pump finanzierte Hilfspakete auf, um die finanziellen Folgen für ihre Bevölkerung abzumildern.

Der Anteil der Sozialausgaben am BIP der beiden EU-Mitglieder legte entsprechend zu: in Italien um rund fünf Prozentpunkte auf knapp 33 Prozent, in Spanien sogar um 6,6 Prozentpunkte auf gut 31 Prozent. Und ebenso wie die Franzosen geben auch Spanier und Italiener trotz einer raschen Erholung weiterhin deutlich mehr ihrer Wirtschaftsleistung als in Vor-Coronazeiten für Soziales aus.

Rückgang trotz vieler Flüchtlinge

Im Gegensatz dazu hatten die meisten anderen westlichen Industrieländer nur kurzfristig die soziale Unterstützung in die Höhe gefahren und seit 2021 die Sozialquote wieder gesenkt. Im OECD-Durchschnitt stieg der Anteil der Sozialausgaben im ersten Pandemiejahr um drei Prozentpunkte auf 23 Prozent und reduzierte sich seither auf 21 Prozent.

Deutschland zählt traditionell zu den Ländern mit einem großzügig ausgebauten sozialen Netz. Im Vergleich zu Südeuropa ist die hiesige Wirtschaft schlechter aus der Coronakrise gekommen und ist zudem von der aktuellen Energiekrise stärker betroffen. Auch hierzulande sorgten staatliche Hilfen für einen steigenden Anteil der Sozialausgaben, der in der Pandemie um gut zwei Prozentpunkte auf knapp 28 Prozent des BIP kletterte.

Quelle: Infografik WELT

Allerdings ging diese Quote im vergangenen Jahr trotz schwacher Konjunktur und der Aufnahme von rund einer Million Ukraine-Flüchtlingen auf 26,7 Prozent des BIP zurück. Im ersten Coronajahr hatten neben den Gesundheitsleistungen vor allem die Rekordausgaben für Kurzarbeit zu Buche geschlagen, die in der aktuellen Krise keine große Rolle spielt.

Eine überraschend gute Entwicklung weist Griechenland auf. Das Land hat von allen EU-Ländern mit fast 180 Prozent des BIP die höchste Schuldenquote. Doch bei einer gut laufenden Konjunktur ist es Athen gelungen, das in der Pandemie stark ausgeweitete Sozialbudget wieder zu verringern: Mit 24 Prozent der Wirtschaftsleistung geben die Griechen heute sogar etwas weniger als vor Corona für Soziales aus.

Auffallend ist, dass EU-Mitglieder, die traditionell sparsam wirtschaften, auch in Coronazeiten weniger freigiebig Sozialleistungen verteilt haben. Esten, Niederländer oder Iren gaben auch 2020 weniger als jeden fünften Euro hierfür aus. Und mit dem Abklingen der Pandemie sanken die Sozialausgaben wieder deutlich.

Diese gravierenden Unterschiede in der Haushaltspolitik der EU-Staaten bieten neuen Zündstoff für die Debatte um eine Reform des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts. Denn es sind gerade die Länder mit den üppigen Sozialbudgets, die in Brüssel Druck machen, die seit der Coronakrise ausgesetzten Schuldenregeln dauerhaft aufzuweichen.

Gentiloni fordert Flexibilität

Die Stabilitätsregeln erlauben den Mitgliedsstaaten nur einen Schuldenstand von maximal 60 Prozent des BIP und eine Neuverschuldung von höchstens drei Prozent. Diese Vorgaben werden allerdings nur noch von wenigen Ländern eingehalten. Deutschland reißt mit rund 70 Prozent die Hürde, Frankreich liegt sogar bei 110 Prozent, Italien bei 150 Prozent des BIP.

Neben Italien und Frankreich dringt vor allem auch EU-Währungskommissar Paolo Gentiloni darauf, das Schuldenregiment flexibler zu gestalten. Statt von den Schuldensündern rigorose Einsparungen zu verlangen, will die Kommission künftig mit jedem einzelnen Staat individuelle Absprachen für einen Schuldenabbau treffen.

Nicht nur Deutschlands Finanzminister Christian Lindner (FDP) sträubt sich gegen die Abschaffung einheitlicher Regelungen: „Wir haben unsere Zweifel, dass der Vorschlag der EU-Kommission zu einem verlässlichen Pfad zum Schuldenabbau führt.“

Mitte Februar werden Europas Finanzminister über die Vorschläge der Kommission beraten. Sollte bis März kein Kompromiss gefunden werden, müssten einigen Mitgliedsstaaten einschneidende Haushaltsanpassungen vornehmen. Denn für das Jahr 2024 würden für die nationalen Budgets dann wieder die bisherigen Schuldenregeln greifen.

Die EU-Kommission will mit der von ihr angestrebten Lockerung den Mitgliedern auch mehr Spielraum für staatliche Subventionen für grüne Technologien verschaffen. Eine entsprechende Lockerung der europäischen Beihilferegeln hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor wenigen Tagen präsentiert.

Italien ist Hauptprofiteur des EU-Wiederaufbaufonds

Dass sich auch mit einer Reduzierung der Sozialausgaben in wirtschaftlichen guten Zeiten der finanzielle Handlungsspielraum vergrößern ließe, spielt in der Debatte bisher keine große Rolle.

Schließlich zeigen in Frankreich gerade wieder die harten Proteste, die Staatspräsident Emmanuel Macron schon mit seiner moderaten Rentenreform in der Bevölkerung ausgelöst hat, wie schwer es den Regierungen in den hochverschuldeten Ländern fällt, kosteneindämmende Sozialreformen durchzusetzen.

Je mehr für Soziales aufgewandt wird, desto weniger bleibt für Investitionen in die Zukunft, in die Infrastruktur, in Forschung und Bildung.

Vor diesem Hintergrund pocht Wirtschafts- und Währungskommissar Gentiloni seit Längerem darauf, dass die EU ein weiteres Mal gemeinsam Schulden aufnehmen soll. 2020 auf dem Höhepunkt der Corona-Krise hatten sich die EU-Staaten auf einen schuldenfinanzierten Wiederaufbaufonds von damals 750 Milliarden Euro verständigt, die zum großen Teil als Zuschüsse an die Mitgliedstaaten fließen.

Italien zählt zu den Hauptprofiteuren dieser bislang historisch einmaligen Umverteilung. Auch Frankreich gehört hier zu den Nettoempfängern. Deutschland ist das Land mit dem größten Haftungsanteil. Eine Neuauflage der gemeinsamen Schuldenauflage lehnt die Bundesregierung ab.

Als Kompromiss könnten die EU-Staaten vereinbaren, dass die Mitgliedstaaten nicht ausgeschöpfte Gelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds für Investitionen in grüne Technologien verwenden.

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