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Tod und Folter in El Salvador: Bukeles harte Hand lenkt tödliche Gefängnishölle

Im zentralamerikanischen El Salvador regiert Präsident Bukele seit mehr als einem Jahr mit Sonderrechten. Proklamiertes Ziel ist ein Ende der Bandengewalt. In den überfüllten Gefängnissen wird gefoltert, Insassen sterben.

"Hier hat wirklich jeder eine Kugel im Körper", sagt Sebastian: "Aber heute ist hier alles ruhig, und das dank der Regierung." Sebastian lebt in El Salvador, ein Fernsehteam von Arte sprach mit ihm. Früher waren die Straßen in den Städten des gleichnamigen Landes ein täglicher Wettlauf mit dem Tod. Die sogenannten Maras, mächtige, bewaffnete Straßengangs, hatten das Sagen und schossen um sich, wenn sie es für nötig hielten. Das hat sich in den vergangenen vier Jahren geändert.

Präsident Nayib Bukele lässt hart durchgreifen. Spezialeinheiten haben Zehntausende Menschen ins Gefängnis gesteckt. Die größte Haftanstalt in den Amerikas, für 40.000 Insassen, eröffnete Anfang des Jahres in El Salvador. Da übertraf das Land bereits die USA und eine Handvoll weitere Länder: Nirgendwo sonst auf der Welt sitzt ein so großer Anteil der Bevölkerung hinter Gittern wie im kleinen zentralamerikanischen Land. Im März waren es 107.000, oder 1,6 Prozent. Die offizielle Zahl der Morde ist deutlich zurückgegangen. In der Bevölkerung liegt die Zustimmungsrate für Bukele bei 90 Prozent.

Insassen, die von den Behörden als Bandenmitglieder identifiziert wurden, werden in Tecoluca in das Gefängnis für Terrorismus gebracht. Das Foto wurde von der Pressestelle des Präsidenten von El Salvador zur Verfügung gestellt.
Insassen, die von den Behörden als Bandenmitglieder identifiziert wurden, werden in Tecoluca in das Gefängnis für Terrorismus gebracht. Das Foto wurde von der Pressestelle des Präsidenten von El Salvador zur Verfügung gestellt.

Insassen, die von den Behörden als Bandenmitglieder identifiziert wurden, werden in Tecoluca in das Gefängnis für Terrorismus gebracht. Das Foto wurde von der Pressestelle des Präsidenten von El Salvador zur Verfügung gestellt.

(Foto: Uncredited/El Salvador president)

So weit, so positiv, einer der ehemals gefährlichsten und tödlichsten Staaten der Welt ist also auf dem Weg, sein Gewaltproblem auf einfache Weise zu lösen? Was nach einer Erfolgsgeschichte von Recht und Ordnung klingt, hat Lücken und pechschwarze Schattenseiten. Es beginnt am 26. und 27. März 2022, als bei einer Mordserie 87 Menschen sterben, durch die Hand der beiden mächtigsten Banden, MS-13 und Barrio 18. Es ist das blutigste Wochenende im Land seit Jahrzehnten. El Salvador verhängt den Ausnahmezustand. Spezialkräfte können nun auf eigene Faust in Wohnungen eindringen und Menschen festnehmen.

"Systematische Vergehen sind Staatspolitik"

Insgesamt wurden 67.000 Menschen festgenommen, mindestens 5000 unschuldig wieder freigelassen, nachdem sie teilweise monatelang festgehalten worden waren. Der Ausnahmezustand gilt noch immer, und die Menschenrechtsorganisation Cristosal hat am Montag eine ausführliche Untersuchung veröffentlicht, die systematische Folter und Misshandlung Tausender Insassen und Dutzende Tote anprangert. In diesem Zeitraum verstarben laut offiziellen Zahlen 153 Menschen im Gefängnis. Die Regierung sagt, aus natürlichen Ursachen. Doch in der Untersuchung der Organisation berichten Ex-Insassen von Elektroschocks der Wärter, Schlägen und tödlicher Einzelhaft, systematischer Erniedrigung sowie fehlender medizinischer Behandlung.

Auch Amnesty International und weitere internationale Organisationen haben systematische Menschenrechtsverletzungen der staatlichen Kräfte in deren proklamiertem Krieg gegen die Banden kritisiert. "Die massiven und systematischen Vergehen sind Staatspolitik", sagte Cristosal-Leiter Noah Bullock zu "El País": "Die ausgesetzten Rechte und Militarisierung ist keine Ausnahme mehr, sondern die Norm, die Auswirkungen auf das Leben aller Salvadorianer hat."

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Wann der Ausnahmezustand endet, ist unklar: Präsident Bukele.

(Foto: REUTERS)

Innerhalb eines Jahres starben laut Cristosal mindestens 75 Insassen der offiziell dokumentierten Fälle einen gewaltsamen Tod. An den Leichen wurden Verletzungen, Hämatome von Schlägen, unter anderen Wunden von Klingen und stumpfen Gegenständen, Würgespuren oder des Ertrinkens festgestellt. Besonders häufig dokumentierten die Ärzte "maschinelles Ersticken". Schon während des Bürgerkriegs zwischen 1970 und 1992 war die Foltermethode in El Salvador häufig von staatlichen Kräften angewandt worden. Es ist eine Rückkehr in dunkle Zeiten.

Die Menschenrechtsorganisation hat auch zahlreiche Unstimmigkeiten bei den offiziellen Todesursachen erkannt. Die Zahl gewaltsamer Tode könnte demnach wesentlich höher sein. In mehreren Fällen seien infolge von Misshandlung verstorbene Insassen namenlos in Massengräbern bestattet worden, ohne ihre Familie zu informieren. Ähnlich geht offenbar die Polizei vor, um die veröffentlichten Zahlen der Morde im Land zu schönen. In Gefängnissen seien Überbelegung, Schläge und Misshandlung an der Tagesordnung, so Cristosal. In lichtlosen Einzelzellen würden nicht wenige ums Leben kommen. Insassen sei der Tod durch Elektroschocks angedroht worden, sollten sie davon berichten.

Festnahme Unschuldiger für Quote

Ein kurzer Rückblick: 2019 wurde Bukele zum Präsidenten gewählt, Sicherheit und der Krieg gegen die Banden war sein großes Thema. Als seinen bewaffneten Arm installierte er Justizminister Gustavo Villatoro. "Wir haben über 30 Jahre lang unter diesem Schreckensregime gelitten", sagte Villatoro vor ein paar Monaten. "(Es war) eine Kultur des Todes: Wer bei den Banden nicht spurt, wird erschossen." Dem Minister zufolge hatte die Regierung eine Liste mit 76.000 verdächtigen Personen erstellt, nachweisliche und mutmaßliche Mitglieder der Maras, die sie abarbeiten. Über 90 Prozent der Bevölkerung befürworten den Ausnahmezustand.

Nach Bukeles Amtsantritt sanken die Mordzahlen, weil Bukele im Hintergrund einen Pakt mit den Banden geschlossen hatte: Ihr helft mir bei meiner Wahl und haltet euch zurück, dafür garantiere ich geringe Strafen oder Straffreiheit. Seit dem blutigen Wochenende im März 2022 ist dieses Bündnis allem Anschein nach obsolet. Ein Mitglied der Spezialkräfte berichtete anonym, dass sie auch Unschuldige verhafteten, um Zielvorgaben von oben zu erfüllen, etwa die Ansage: Wenn ihr nicht 20 verhaftet, dürft ihr nicht zurück in die Kaserne. "Also haben wir einfach irgendjemanden verhaftet", gab er zu. "Wir haben Türen Unschuldiger aufgebrochen." Den Zahlen der Regierung zu Morden und Kriminalität sei nicht zu trauen.

Am 1. Juni ist Bukele genau seit vier Jahren im Amt, er kontrolliert inzwischen das Parlament, die bewaffneten Kräfte und das Oberste Gericht. Dies erlaubte ihm, Anfang kommenden Jahres zur Wiederwahl anzutreten, obwohl die Verfassung dies nach Auffassung vieler Experten verbietet. Nie war ein Staatschef beliebter als Bukele. Zugleich wird er wegen seiner Kontrolle über die Staatsgewalten von Kritikern als Autokrat gesehen, sollte er ein zweites Mandat erhalten, als Diktator. Wann der Ausnahmezustand endet, ist unklar. Justizminister Villatoro sagte im März: "Dieser Krieg ist erst dann vorbei, wenn der letzte Mara im Gefängnis sitzt."