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Triebwerk, Treibstoff, Flugroute: Wie kann Flugverkehr klimafreundlicher werden?

Fliegen soll in Zukunft klimaneutral sein. Das ehrgeizige Ziel der Bundesregierung lässt sich allerdings nicht so einfach umsetzen. Denn es geht dabei um mehr als den klimaschädlichen Ausstoß der Flugzeuge.

Fliegen ist die klimaschädlichste Art des Reisens. Viele Menschen empfinden inzwischen Scham bei der Nutzung von Flugzeugen, was mit "Flugscham" sogar zum eigenen Begriff geworden ist. Eine breite Allianz aus Forschung, Industrie, Wirtschaft und Politik möchte das Fliegen künftig klimaverträglicher machen. Als langfristiges Ziel peilt die aktuelle Bundesregierung gar das klimaneutrale Fliegen an. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg.

Einer Studie von 2020 zufolge trägt der weltweite Luftverkehr rund 3,5 Prozent zur Erderwärmung bei. Das durch die Verbrennung des Flugkraftstoffs Kerosin entstehende Kohlendioxid (CO2) macht dabei rund 1,5 Prozent aus. Der Einfluss sogenannter Nicht-CO2-Effekte ist mit 2 Prozent Beitrag merklich größer - und wurde in früheren Betrachtungen meist vernachlässigt.

Bei den Nicht-CO2-Effekten ist die Entstehung von Zirruswolken aus den Abgasströmen der Flugzeugtriebwerke der bedeutendste Faktor. Zwar reflektieren die Zirruswolken einen Teil des Sonnenlichts, das deshalb nicht bis zur Erde durchdringt. Doch die Wolken reflektieren vorwiegend in der Nacht und in den Morgenstunden auch die Wärmestrahlung, die vom Erdboden ausgeht, tragen also zur Erderwärmung bei. Und dieser Effekt ist der größere.

An der im Fachjournal "Atmospheric Environment" erschienenen Studie waren Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) beteiligt. Markus Fischer, Bereichsvorstand Luftfahrt beim DLR, sieht derzeit gute Chancen für eine schnelle Entwicklung hin zu einer klimaverträglicheren Luftfahrt: "Die Luftfahrtkrise infolge der Corona-Pandemie erweist sich jetzt gewissermaßen als vorteilhaft", sagt Fischer. Ohne den starken Rückgang des Flugverkehrs hätte man seines Erachtens sehr viel schwieriger den für den Klimaschutz nötigen Umdenkprozess einleiten können.

Rasche Maßnahmen sind nötig

Die aktuelle Bundesregierung drängt auf rasche Maßnahmen und hat den "Arbeitskreis klimaneutrale Luftfahrt" gegründet. Die Bundestagsabgeordnete Anna Christmann (Grüne) als Koordinatorin der Bundesregierung für die deutsche Luft- und Raumfahrt hat dazu im November ins Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geladen. Gastgeber war außerdem der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), Oliver Luksic. Es kamen Vertreter aus Industrie, Wirtschaft und Forschung, von Gewerkschaften, Umwelt- und anderen Verbänden sowie aus der Zivilgesellschaft. "Es ist wichtig, jetzt die Kräfte zu bündeln und die Entwicklungsprozesse schneller voranzutreiben", betont Christmann.

Eine der Arbeitsgruppen, die bei der ersten Arbeitskreissitzung eingerichtet wurden, befasst sich mit nachhaltigen Kraftstoffen. Wenngleich langfristig verstärkt andere Antriebsarten als Turbinen zur Verbrennung von Kerosin zum Einsatz kommen sollen, muss der Treibhausgasausstoß auch kurzfristig sinken. Das geht, indem man für die Herstellung von Kerosin kein fossiles Erdöl, sondern andere Quellen nutzt. Eine Möglichkeit ist das Verfahren "Power to Liquid" (Strom zu Flüssigkeit): Mit klimaneutral generiertem, "grünem" Strom wird Wasserstoff erzeugt und mit CO2, das Industrieabgasen oder der Luft entzogen wird, Synthesegas künstlich hergestellt; dieses kann dann zu Kerosin aufbereitet werden.

Auch biologische Abfälle können Ausgangsstoffe sein. In ihnen ist Kohlenstoff gespeichert, der beim Wachsen der Pflanzen und Tiere aus der Luft entnommen wurde. Wird dieser Kohlenstoff bei der Verbrennung als CO2 wieder freigesetzt, steigt - zumindest auf Jahrzehnte betrachtet - der CO2-Gehalt der Luft nicht. Hier setzen "Bio to Liquid"- und "Waste to Liquid"-Projekte an (Bioabfall zu Flüssigkeit, Abfall zu Flüssigkeit), bei denen das fast 100 Jahre alte Fischer-Tropsch-Verfahren genutzt wird.

Umwandlung zu umweltfreundlichem Kerosin erprobt

Beim bis 2025 laufenden Projekt "Care-O-Sene" soll die Fischer-Tropsch-Synthese so verbessert werden, dass in großem Maßstab klimaneutrales Kerosin hergestellt werden kann. Leiter des Projekts sind Dirk Schär, Manager beim südafrikanischen Chemie- und Energiekonzern Sasol, und Tobias Sontheimer, leitender Forscher beim Helmholtz-Zentrum Berlin. "Drei Aspekte bestimmen das Projektziel: die Wirtschaftlichkeit der Prozesse, die Vorbereitung der Massenproduktion und die Effizienz der Synthese", erklärt Sontheimer. Die Kerosinausbeute des Fischer-Tropsch-Syntheseschrittes liegt derzeit bei etwa 50 Prozent: Nur die Hälfte der Rohstoffe, die für die Erzeugung eines Kraftstoffs eingesetzt werden, ist als nutzbare Energie im Kraftstoff enthalten. Mit der Entwicklung neuer Katalysatoren soll die Effizienz auf mehr als 80 Prozent gesteigert werden.

In der Prozesskette zur klimaneutralen Kerosinherstellung liegt die Synthese weiter hinten. "Wenn wir diesen Prozess optimieren, dann brauchen wir in den vorhergehenden Prozessen weniger Energie", erläutert Schär. Denn selbst wenn die Energie aus erneuerbaren Quellen stammt, ist es nachhaltiger und wirtschaftlicher, weniger Energie aufzuwenden. Die Projektleiter sind zuversichtlich, dass die neuen Katalysatoren gut funktionieren werden. Dennoch forschen sie auch an Dünnschicht-Katalyseverfahren, die auf lange Sicht eine weitere Verbesserung bringen und zu einer CO2-neutralen Kreislaufwirtschaft führen könnten.

Ergebnisse in drei Jahren erwartet

In der Luftfahrt geht man üblicherweise von Innovationszyklen von 10 bis 20 Jahren aus. Bei "Care-O-Sene" soll es schon nach drei Jahren ein verwertbares Ergebnis geben. "Wir machen vieles parallel, auch die Produktionsanlagen werden schon geplant", erklärt Schär. Und Sontheimer ergänzt: "Wir haben keine Alternative, wir müssen jetzt schnell handeln." Die EU-Kommission möchte den Markt für SAF (sustainable aviation fuels - nachhaltige Flugkraftstoffe) fördern, indem sie eine Steigerung der Beimischung von SAF zu herkömmlichem Kerosin von zwei Prozent (2025) auf 63 Prozent (2050) vorschreibt; die Zahlen sind allerdings noch umstritten.

Die zweite Arbeitsgruppe beim Arbeitskreis klimaneutrale Luftfahrt beschäftigt sich mit neuartigen Technologien in der kommerziellen Luftfahrt. Damit sind nicht nur Antriebstechnologien gemeint, sondern etwa auch die massive Verringerung des Eigenenergieverbrauchs durch aerodynamische Maßnahmen und Systemleichtbau. Wie bei anderen Verkehrsmitteln gibt es im Wesentlichen drei Antriebsarten: elektrisch, wasserstoffbetrieben, flüssigbrennstoffbetrieben. Der elektrische Antrieb komme nur für kurze Strecken oder kleine Flugzeuge in Frage, mehr gebe die heutige Batterietechnologie nicht her, sagt DLR-Vorstand Fischer. Hybride Elektroantriebe, also etwa in Kombination mit einer wasserstoffbetriebenen Brennstoffzelle, könnten womöglich auch für mittelgroße Flugzeuge funktionieren.

Beim Kraftstoff Wasserstoff gibt es zwei Ansätze: die Stromerzeugung in der Brennstoffzelle und die Direktverbrennung in Triebwerken. Allerdings ist Wasserstoff schwer zu transportieren: Er muss entweder bei minus 253 Grad verflüssigt oder bei einem Druck von bis zu 700 bar, etwa dem 700-Fachen des Luftdrucks, gespeichert werden. Klimaverträgliches Kerosin hingegen lässt sich leicht transportieren. Deshalb gibt es bereits Überlegungen, es in Gegenden zu produzieren, wo besonders viel Solar- und Windenergie erzeugt werden kann. Denn für viele Mittelstrecken und alle Langstrecken ist heute noch nicht erkennbar, wie kerosinbetriebene Antriebe ersetzt werden könnten.

Hybride Lösungen für Kurzstrecken

Für kürzere Strecken wird weltweit an nachhaltigen Fluggeräten getüftelt - 300 entsprechende Projekte hat die Unternehmensberatung Roland Berger bereits im Jahr 2021 gezählt. Dabei machen die Fluggeräte mit rein elektrischem Antrieb 61 Prozent des Entwicklungsvolumens aus, die mit hybrid-elektrischem Antrieb 32 Prozent und die mit Wasserstoffantrieb sieben Prozent. Die Abgeordnete Christmann verweist als Beispiel auf das deutsche Startup Volocopter, das elektrisch angetriebene Senkrechtstarter und Lastendrohnen entwickelt, sowie auf H2Fly, die mit ersten erfolgreichen Probeflügen an der Brennstoffzellentechnologie arbeiten. Auch die großen Konzerne gehen ins Entwicklungsrisiko. So arbeitet Airbus an einem wasserstoffgetriebenen Flugzeug, das 2035 marktreif sein soll.

Für DLR-Bereichsvorstand Fischer hört die Forschung noch lange nicht bei den Antrieben auf. Weil die Nicht-CO2-Effekte so eine große Klimawirkung haben, widmen sich seine Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch der Flugroutenoptimierung: "Die Zirruswolken entstehen nur dort, wo es sehr kalt und zugleich sehr feucht ist", erklärt Fischer. Diese Gebiete seien inzwischen gut bestimmbar. Wenn ein Pilot rechtzeitig eine Mitteilung erhalte, könne er in Absprache mit der Flugsicherung den betroffenen Luftraum umfliegen. Da rund 80 Prozent der Zirruswolkenbildung aus Kondensstreifen von nur zehn Prozent des weltweiten Flugverkehrs verursacht werden, könne hier ein erheblicher Effekt für den Klimaschutz erzielt werden, ist Fischer überzeugt.

Flughäfen und Routen weiter optimierbar

Die Flugroutenoptimierung ist auch das Hauptthema der dritten Arbeitsgruppe beim Arbeitskreis klimaneutrale Luftfahrt. Die Initiatorin des Arbeitskreises, Christmann, nennt aber noch weitere Aspekte, vor allem klimaneutrale Flughäfen. Denn am Boden ist vieles leichter klimafreundlich zu gestalten als in der Luft. So wird der grüne Bodenstrom auf deutschen Flughäfen die Energieversorgung von stehenden Flugzeugen ermöglichen; bisher müssen oft die Triebwerke laufen. Die ganzen Flughäfen könnten klimafreundlich umgestaltet werden, versorgt mit Solarstrom, der zwischen den Start- und Landebahnen erzeugt wird. "Die Flughäfen sind da schon auf einem guten Weg", sagt Christmann.

Viele verschiedene Maßnahmen sollen den CO2-Fußabdruck des Fliegens verkleinern. So könnten Piloten beim Landeanflug stärker den Gleitflug nutzen und weniger die Turbinen, nennt Fischer ein weiteres Beispiel. Die Akteure setzen nicht auf den großen technologischen Durchbruch, sondern auf zahlreiche kleinere und größere Schritte hin zum klimaneutralen Fliegen. "Jede Technologie und jede Maßnahme, die erforscht wird, hat ihre Berechtigung", hebt Helmholtz-Forscher Sontheimer hervor.