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Ukraine-Krieg: Die Hotline, bei der sich russische Soldaten ergeben sollen

Screenshot aus einem Aufklärungsvideo des Zentrums für strategische Kommunikation der Ukraine: »Wie ein Soldat der Russischen Föderation sich ergeben kann«

Screenshot aus einem Aufklärungsvideo des Zentrums für strategische Kommunikation der Ukraine: »Wie ein Soldat der Russischen Föderation sich ergeben kann«

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Centre for Strategic Communication of Ukraine

»Ich möchte leben« – mit diesen Worten überschreibt die ukrainische Regierung ein Projekt, das es russischen Militärangehörigen ermöglichen soll, sich den ukrainischen Streitkräften sicher zu ergeben. Die Aktion, die im September ins Leben gerufen wurde, garantiert der offiziellen Website  zufolge eine Inhaftierung in Übereinstimmung mit dem Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen.

Russische Militärangehörige haben demnach mehrere Möglichkeiten, sich zu ergeben. Indem sie etwa bestimmte Anweisungen eines Chatbots befolgen oder sich bei einer 24-Stunden-Hotline melden. Die BBC hat nun Zugang zu Aufnahmen einiger solcher Gespräche bekommen . Demnach hat ein Reporter im ukrainischen Hauptquartier für den Umgang mit Kriegsgefangenen eine Mitarbeiterin getroffen, die angeblich täglich mit russischen Soldaten in Kontakt steht. Per Telefon oder über gängige Messengerdienste wie WhatsApp oder Telegram.

»Zuallererst hören wir eine Stimme, meist eine männliche«, sagte die Frau, die in diesem Bericht Switlana genannt wird. »Sie ist oft teils verzweifelt, teils frustriert, weil sie nicht ganz verstehen, wie die Hotline funktioniert oder ob es sich nur um ein abgekartetes Spiel handelt.«

Die BBC veröffentlicht in ihrem Bericht nachgebaute Chatnachrichten. Dort heißt es etwa: »Ich komme aus Moskau. Ich habe noch keinen Einberufungsbescheid erhalten, aber es gab Versuche, ihn mir zu übergeben. Haben Sie einen Rat für mich, was ich tun soll? Ich werde keine Ukrainer töten. Ich würde gern am Leben bleiben.« Auf die Antwort aus Switlanas Team heißt es weiter: »Ich bin Zivilist. Ich möchte Staatsbürger der Ukraine werden. Ich möchte, dass das alles so schnell wie möglich aufhört.«

Switlana erinnere sich auch an den Anruf eines Mannes, heißt es, der auf der besetzten Krim gelebt habe und zum Kampf gegen seine eigene Familie und sein Land mobilisiert worden sei. Wie vielen Russen sie geholfen habe oder wie genau das vonstattengeht, darüber habe sie keine Angaben machen dürfen, heißt es in dem Bericht.

Informationskrieg abseits des Schlachtfelds

Russland und die Ukraine kämpfen nicht nur auf dem Schlachtfeld miteinander. Der Konflikt ist längst auch zum Informationskrieg geworden. Fake News, Propaganda, gezielt gestreute Teilinformationen – all das gehört zum modernen Waffenarsenal. Zuletzt erlebt etwa im Fall eines mutmaßlichen Kriegsverbrechens an russischen Soldaten  . Kaltblütige Hinrichtung nennt es Moskau, Notwehr im heimtückischen Hinterhalt, heißt es aus Kiew. Eine unabhängige Beurteilung fällt wie so häufig auch zu diesen Vorfällen schwer.

Das Projekt »Ich möchte leben« richtet sich seit September vor allem an jene Reservisten, die von der sogenannten Teilmobilisierung in ihrer Heimat betroffen waren und sind. Jene, wie es Projektleiter Witalij Matwijenko sagt, »die nicht nur nicht kämpfen können, sondern als Kanonenfutter herhalten müssen«. Sie könnten sich ergeben. Und so überleben. So die Rechnung, die die Ukraine aufmacht.

Gefangene haben in diesem Krieg beide Seiten gemacht, wie viele, ist unklar. Moskau hatte im Juni von rund 6500 gefangenen Ukrainern gesprochen, Kiew im September von Hunderten gefangenen Russen. Allerdings haben beide Seiten schon gegen das Völkerrecht verstoßen, wenn auch nicht ansatzweise im gleichen Maße. Die Uno-Menschenrechtsbeauftragte Matilda Bogner etwa hatte die Misshandlung ukrainischer Gefangener durch russische Streitkräfte und Söldner als »ziemlich systematisch« bezeichnet, während die Misshandlung russischer Soldaten durch die Ukraine »nicht systematisch« sei. (Lesen Sie hier mehr zu den Erkenntnissen der Uno-Menschenrechtsorganisation OHCHR sowie zu den jüngsten Vorwürfen: Was geschah in Makijiwka? )

Währung im Gefangenenaustausch

Russische Kriegsgefangene können, sobald sie sich ergeben haben, bei künftigen Tauschgeschäften als Währung eingesetzt werden. Tatsächlich meldeten beide Seiten zuletzt immer wieder den Austausch von Kriegsgefangenen. Die Bereitschaft vor allem Moskaus dazu erklärt die US-Denkfabrik Institute for the Study of the War damit, dass der Kreml die zunehmende Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Mobilmachung eindämmen wolle. Viele Russen fürchten um Angehörige.

Bei Switlana und ihren Hotline-Kolleginnen und -Kollegen würden sich immer wieder auch russische Soldaten melden, um sie zu provozieren. Sie glaube allerdings nicht, dass alle die Behauptungen des Kreml glaubten, die Ukraine werde von Nazis regiert. »Wir können nicht über ein ganzes Land urteilen«, sagte sie. »Die meisten von ihnen sind um ihr Leben besorgt.«