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Ungarn zwischen EU und Russland: Warum Orban Putin (noch) den Rücken stärkt

Das EU-Bollwerk gegen Russland steht, doch ein Land versucht seit Kriegsbeginn in der Ukraine auszuscheren. Ungarn liefert keine Waffen an die Ukraine und droht immer wieder auch mit einer Sanktionsblockade. Orbans Motive sind vielfältig.

Als Moskaus Truppen im Februar in die Ukraine einmarschiert sind, hat Ungarn nur sehr verzögert und halbherzig reagiert. Während Deutschland und alle anderen EU-Länder den Krieg sofort verurteilt haben, herrschte in Budapest lange Zeit Stille. Als sich Präsident Viktor Orban dann doch zu einem Statement durchgerungen hat, vermied er deutliche Worte wie "Krieg" und "Aggression".

Ungarns Regierung habe sich wahrscheinlich erst einmal eine Strategie überlegen müssen, mit der sie einerseits Russland nicht vor den Kopf stößt, und andererseits auch nicht zu sehr von der europäischen Linie abweicht, sagt Sonja Priebus, Politikwissenschaftlerin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). "Die Position von Ministerpräsident Orban zum Krieg wird maßgeblich durch seine Nähe zu Russland und Präsident Wladimir Putin bestimmt. In der Regierungs-Kommunikation wurde die Maxime zentral, Russland und Putin nie direkt zu verurteilen", erläutert Priebus im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".

Seit Jahren fährt die ungarische Regierung einen russlandfreundlichen Kurs. Orban und Russlands Präsident Wladimir Putin haben auf politischer Ebene ein sehr enges Verhältnis, fast jedes Jahr treffen sie sich.

Ungarn von EU und Russland abhängig

Aus dem Krieg versucht sich Ungarn so gut es geht herauszuhalten. Ungarn sei weder auf der russischen noch der ukrainischen Seite, heißt es aus Budapest. Immer wieder betont die ungarische Regierung, dass Frieden und Sicherheit der Ungarn oberste Priorität hätten. Ihr Argument ist: Militärische Unterstützung würde den Krieg nur verlängern. Deswegen will Ungarn auch keine Waffen an die Ukraine liefern und verbietet auch Waffentransporte durch ungarisches Staatsgebiet.

Die meisten westlichen Länder wollen Putins Krieg nicht weiter finanzieren. Deshalb hat die EU Anfang Juni ein Öl-Embargo beschlossen und insgesamt sechs Sanktionspakete gegen Russland verhängt.

Die Orban-Regierung trägt die Sanktionen gegen Russland zwar widerwillig mit, droht aber regelmäßig damit, ein Veto einzulegen. Wochenlang hat das Land im Juni auch das Öl-Embargo gegen Russland blockiert. Orban beschuldigt die EU, für die Inflation und die Energiekrise in Europa verantwortlich zu sein. "Die ungarische Regierung weiß, dass ein Austritt oder ein Rausschmiss fatale Folgen hätte. Da Ungarn einer der größten Nettoempfänger in der Europäischen Union ist und somit eben enorm von europäischen Fördergeldern profitiert", erläutert Sonja Priebus.

Ungarn ist aber auch auf Öl und Gas aus Russland angewiesen. Erst im August hat Ungarn 5,8 Millionen Kubikmeter Gas vom russischen Gaskonzern Gazprom gekauft.

Orban baut Macht weiter aus

Weil Orban die meisten Medien in seinem Land kontrolliert, kann er so über den Krieg im Nachbarland berichten, wie es ihm passt. Die Organisation Reporter ohne Grenzen stuft Orban als Feind der Pressefreiheit ein. "Orban und seine Partei schafften es tatsächlich, den Krieg in der Ukraine strategisch geschickt zu nutzen, um damit ihren Vorsprung auch gegenüber dem Oppositionsbündnis auszubauen", berichtet Sonja Priebus. Die Regierung habe behauptet, dass die Opposition eine Kriegsbeteiligung Ungarns befürworten würde.

Zudem nutzt Orban die Sorge der ungarischen Bevölkerung vor einem Krieg gezielt aus. Nur seine Regierung könne verhindern, dass Ungarn in den Krieg hineingezogen wird. Die Strategie geht bislang auf: Wegen des Krieges hat der Präsident drei Monate nach Kriegsbeginn in Ungarn den "Notstand" verhängt. Dadurch kann er weiterhin per Dekret regieren. Die Opposition kann kaum Einfluss nehmen und Orban kann weiter grundlegende politische Rechte einschränken.

Orbans rechtsnationale Fidesz-Partei hatte im April die Parlamentswahl in Ungarn deutlich gewonnen. Die Partei hat im Parlament eine Zweidrittelmehrheit und kann damit auch die Verfassung ändern.

Hohe Inflation belastet Ungarns Wirtschaft

Die EU sieht die Situation im Land zunehmend kritisch und hat Ungarn den Status einer Demokratie abgesprochen. Wegen Verstößen gegen den Rechtsstaat, Korruption und Vetternwirtschaft will die Europäische Kommission Ungarn 7,5 Milliarden Euro Fördermittel aus dem EU-Haushalt kürzen. Um Brüssel zu beschwichtigen, hat die ungarische Regierung mehrere Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption in Aussicht gestellt.

Der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund hält die Ankündigungen für einen großen Bluff: "Orban macht Vorschläge, die ihm weiterhin EU-Gelder sichern, ohne die systematische Korruption seiner Freunde und Familie wirklich zu beenden", schreibt er auf Twitter. "Ungarn respektiert nicht die Grundwerte, auf die wir uns alle geeinigt haben."

Die Fördergelder der EU braucht Ungarn dringend. Die ungarische Wirtschaft kämpft mit der hohen Inflation und der schwachen ungarischen Währung Forint. "Die Regierung steht zunehmend unter Druck, da auch in Ungarn die Preise steigen", sagt Ungarn-Expertin Priebus im Podcast. Russisches Öl und Gas sind auch deshalb essenziell, um die Energieversorgung im Land zu sichern, Ungarn bezieht 65 Prozent des Öls und 80 Prozent seines Gases von Russland. Und Budapest hat sogar 700 Millionen Kubikmeter zusätzliches Gas von Russland gekauft, um die Energieversorgung in den nächsten Monaten zu gewährleisten.

Auch wenn von Orban kein kritisches Wort zu Putin zu hören ist - ein Vasall des russischen Machthabers ist der ungarische Präsident aber nicht, schätzt Priebus ein. "Ich sehe schon noch, dass Orban auch noch unabhängig von Wladimir Putin seine Meinung äußert und auch Entscheidungen trifft. Natürlich immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass alles, was er sagt und tut, eben nicht die Beziehung zu Russland gefährdet. Aber ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass er tatsächlich Wladimir Putin ohne Hinterfragen unterstützen würde."

Ungarns Präsident will seine Macht sichern, indem er weder der EU, noch Russland den Rücken zukehrt. Wie lange er diesen Drahtseilakt aushält, ist offen. Besonders im Hinblick auf die immer neuen Eskalationen Putins.

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