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"Vereine behindern zu oft": Missbrauch im Sport ist ein strukturelles Problem

Spielbälle liegen auf dem Rasen.

"Das gemeinhin positive Image des Sports steht der Aufdeckung sexualisierter Gewalt oft im Weg", wird von der Studienleiterin konstatiert.

(Foto: Swen Pförtner/dpa/Symbolbild)

Seit 2019 beschäftigt sich eine Aufarbeitungskommission mit sexuellem Missbrauch im deutschen Sport. Nun legt das Gremium eine Studie vor, in der "erschütternde Berichte" von Betroffenen ausgewertet werden.

Missbrauchsopfer im Sport sind sexualisierter Gewalt häufig wiederholt und über einen langen Zeitraum ausgesetzt gewesen. Das geht aus einer in Berlin veröffentlichten Studie der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hervor. Vor allem im Leistungs- und wettkampforientierten Breitensport gab es demnach Kindesmissbrauch, seltener dagegen im Freizeit- und Schulsport.

Grundlage der Studie sind 72 Berichte von Betroffenen sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Damit wurde den Angaben zufolge in Deutschland erstmals eine so große Zahl von Berichten zu sexuellem Kindesmissbrauch im Sport wissenschaftlich ausgewertet. Zwei Drittel der Betroffenen waren demach sexualisierter Gewalt nicht nur einmal, sondern regelmäßig und zum Teil über einen langen Zeitraum ausgesetzt. Die Täter stammten vorwiegend aus dem direkten oder nahen Umfeld und sind männliche Trainer, Betreuer oder Lehrer. "Die Berichte sind wirklich sehr erschütternd", sagte Bettina Rulofs, Leiterin der Studie.

Fast ein Fünftel der Fälle betrifft demnach sexuellen Kindesmissbrauch im DDR-Sport. Die besonderen Bedingungen innerhalb des DDR-Sportsystems wie die sehr frühe Talentsichtung und die Fixierung auf sportliche Erfolge hätten den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, aber auch andere Formen von Gewalt und Vernachlässigung ermöglicht und es für Betroffene fast unmöglich gemacht, Hilfe zu erhalten. Zudem gab es in den Sportschulen und Internaten keine erwachsenen Vertrauenspersonen. Die Kinder waren den Gewalthandlungen von Trainern, Medizinern und sonstigen Sportfunktionären somit schutzlos ausgeliefert, wie aus der Studie hervorgeht.

"Um Kinder besser schützen zu können"

Die wenigsten Missbrauchsfälle im Sportbereich wurden demnach aufgedeckt und aufgearbeitet. Betroffene erlebten stattdessen häufig, dass ihre Erfahrungen ignoriert, bagatellisiert und verschleiert wurden. "Sportorganisationen müssen ein Interesse daran haben, zu erfahren, was in ihrer Einrichtung in der Vergangenheit geschehen ist, auch um Kinder und Jugendliche besser schützen zu können", erklärte Heiner Keupp, Mitglied der Aufarbeitungskommission. Darum brauche es ein gesetzlich verankertes Recht von Betroffenen auf Aufarbeitung.

Die Strukturen vor allem im organisierten Sport erschweren es dem Bericht zufolge, dass sexualisierte Gewalt aufgedeckt wird. Dazu gehöre neben der Fixierung auf Erfolge auch die Abhängigkeit von ehrenamtlichen Mitarbeitenden oder Sponsoren. Ebenso trage das große Machtgefälle zwischen Sportlerinnen und Sportlern und den Trainern oder männlich dominierte Hierarchien in Vereinen und Verbänden dazu bei. "Es ist festzustellen, dass es erwachsenen Betroffenen aus dem Sport besonders schwerfällt, sexuelle Gewalterfahrungen zu thematisieren. Es gibt im Sport bislang keine Kultur des Sprechens über Gewalt und keine Kultur des Zuhörens", heißt es von der Kommission.

Zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen fordern Betroffene eine vom Sport unabhängige Ansprechstelle. "Zu oft behindern Vereine und Verbände bisher eine schonungslose Aufarbeitung von Fällen sexueller Gewalt", kritisierte Angela Marquardt, Mitglied im Betroffenenrat bei der Kommission. Eine ehrliche Aufarbeitung sei jedoch die Voraussetzung für einen grundsätzlichen Wandel im Leistungs- und Breitensport.