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"Verheerende Naturkatastrophe": Als der BVB gegen Schalke schon zur Halbzeit Sekt trank

Die Saison 1964/65 ist erst die zweite Spielzeit der Bundesliga - und schon eine überaus kuriose. In Berlin hat man sich finanziell überhoben und versteckt sogar Tickets im Sarg. Und auch auf Schalke regiert das Chaos. Man steigt ab, bleibt aber schließlich doch drin. Zuvor muss man sich aber noch vom alten Rivalen bitter demütigen lassen.

Die Bundesliga entwickelte sich in ihrer zweiten Spielzeit, der Saison 1964/65, zu einer echten Wochenendattraktion für die Deutschen. Busse und Züge rollten durchs Land. Die Fans genossen die weiten Auswärtsfahrten und unterstützten ihre Vereine tatkräftig. Der spannende Verlauf einer rasanten Saison ließ die Zuschauer zudem in die Stadien stürmen. Am Ende konnte sich der SV Werder Bremen überraschend gegen die favorisierten Kölner durchsetzen. Der amtierende Deutsche Meister landete nach einem großen Kampf drei Punkte hinter dem Vorjahres-Zehnten aus Bremen auf dem zweiten Tabellenrang.

Die Grün-Weißen konnten ihr Glück kaum fassen, wie Torwart Bernard im Rückblick erzählte: "Wenn mir jemand vor der Saison gesagt hätte, wir würden Meister werden, ich hätte ihn für verrückt erklärt!" An der knochenharten Hintermannschaft der Werderaner, die nur 29 Gegentore zuließ, biss sich die Bundesliga die Zähne aus. Verzückt sagte der ehemalige Torwart der Bremer, Ilic: "Bei dieser Abwehr könnte ich auch noch mit 100 Jahren im Tor stehen."

Bereits vor der Saison hatte die Mannschaft unter ihrem strengen Trainer Willi "Fischken" Multhaup, der aus der Malocher-Region Ruhrgebiet stammte, eifrig taktische Varianten einstudiert. Da das Trainingslager im Zuge eines internationalen Turniers in New York stattfand, verpasste man dem Team auch den Beinamen "Amerika-Elf".

"Im Fußball kommt 'a' wie arbeiten vor 'f' wie feiern!"

Und die Mannschaft der unbegrenzten Möglichkeiten schaffte tatsächlich die Sensation. Der Titelgewinn wurde ausgelassen gefeiert. Max Lorenz und Klaus Matischak ließen sich sogar die Haare nach einer verlorenen Wette deutlich kürzer schneiden. Ein Gag, der später noch zur großen Mode verkommen sollte. In Bremen vergaß man im Meistertrubel nicht, wem man den unerwarteten Triumph am meisten zu verdanken hatte: Trainer Willi Multhaup. Seine Devise hatte sich am Ende ausgezahlt: "Im Fußball kommt 'a' wie arbeiten vor 'f' wie feiern!"

Genauso turbulent wie an der Tabellenspitze ging es im Abstiegskampf zu. Dorthin hatte sich auch ein Verein verirrt, mit dem niemand vor der Saison gerechnet hatte. Doch der FC Schalke 04 schaffte es, Woche für Woche immer neue Negativschlagzeilen zu schreiben.

Erster Höhenpunkt einer missratenen Saison: Borussia Dortmund gewann am sechsten Spieltag die Partie beim FC Schalke 04 mit 6:2. Bereits in der zehnten Minute gelang Aki Schmidt das erste Tor. Ein Treffer aus 22 Metern. In späteren Jahren wurde von Erzählung zu Erzählung aus diesem Schuss ein Traumtor aus weit über 30 Metern. Überliefert ist von diesem Tag der schöne Schlachtruf der BVB-Fans: "Aki Schmidt, die Punkte nehmen wir mit!"

Ein Sekt in der Halbzeit

Und schon nach 36 Minuten hatten die BVB-Akteure Schmidt, Konietzka, Brungs und Emmerich ihr Tageswerk vollbracht. Es stand 6:0 für die Borussia. Der "Kicker" schrieb: "Wie eine verheerende Naturkatastrophe, die nicht aufzuhalten ist von Menschenkraft, brach der Taifun in der ausverkauften Glückaufkampfbahn, entfacht von Borussia Dortmund, über die Schalker Mannschaft herein."

Dortmunds Trainer Eppenhoff analysierte anschließend betont nüchtern: "Unsere Taktik, den Gegner kommen zu lassen, ist aufgegangen. In der zweiten Halbzeit haben wir verhalten gespielt, um uns zu schonen." Ganz so nüchtern waren die Borussen zu diesem Zeitpunkt in Wahrheit eigentlich nicht mehr: Bereits in der Halbzeitpause hatte man eine Flasche Sekt auf den Sieg geköpft!

Auf Schalke herrschte derweil Chaos auf allen Ebenen. Beobachter sprachen davon, dass die Mannschaft eine "Schande für den ruhmreichen Klub" sei. Ernst Kuzorra und der völlig hilflose Vorsitzende Fritz Szepan verzweifelten an einem schwierigen Team, das niemand richtig in den Griff bekam. Höhepunkt der innermannschaftlichen Auseinandersetzungen war der Fußtritt von Egon Horst in das Gesicht seines Kameraden Bachmann. Das Schlimme: Der Verteidiger trat mit voller Absicht zu. Der Abstieg konnte so nicht mehr verhindert werden. Zusammen mit dem Karlsruher SC stiegen die Königsblauen ab - dachten alle. Doch dann erschütterte ein erster großer Skandal die Bundesliga.

Gewaltiger Ärger um Hertha BSC

In Berlin hatte man den Erfolg auf Deubel komm raus einkaufen wollen. Für viel Geld - vor allem üppige Handgelder, die weit außerhalb des Erlaubten lagen - verpflichtete man Spieler für die Hertha. Schnell geriet man in eine finanzielle Schieflage, die man kreativ zu lösen versuchte. Herthas Schatzmeister Herzog ließ 55.000 Karten schwarz bei einer Druckerei anfertigen, holte sie persönlich ab und lagerte diese in einem Sarg in seinem Beerdigungsinstitut. Später hortete er in einem der hölzernen Ruhestätten auch das Geld, das durch den illegalen Verkauf der Tickets in die Kasse gespült wurde.

Doch die Gerüchte, die nach den vielen namhaften wie teuren Transfers durch die Bundesliga waberten, zwangen den DFB zu einer Überprüfung der Bücher. Mittlerweile hatte man in Berlin komplett den Überblick verloren, verstrickte sich in immer neue Widersprüche und muss schlussendlich mit ansehen, wie die Hertha durch übereinstimmende Sport- und Bundesgerichtsurteile wegen "schwerer Verstöße gegen das Statut" aus der Bundesliga verbannt wurde.

Nun musste schnell gehandelt werden. Auf einem außerordentlichen Bundestag beschloss der DFB Ende Juli - nur 14 Tage vor dem Start der Liga - die Aufhebung des Abstiegs nicht nur des Karlsruher SC, sondern auch des FC Schalke 04. Gleichzeitig wurde Tasmania 1900 Berlin ohne jegliche sportliche Qualifikation in die Bundesliga aufgenommen. Mit dieser "Berlin-Hilfe" traf der DFB eine politische Entscheidung, um die Anbindung Berlins an das restliche Bundesgebiet sportlich nicht zu gefährden. Die Liga wurde von 16 auf 18 Vereine aufgestockt.

Mitten in dieses erste Chaos hinein stiegen zwei Vereine in die Bundesliga auf, die in den nächsten Jahren das Geschehen an der Spitze maßgeblich prägen sollten: Borussia Mönchengladbach und der FC Bayern München.