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Verschüttete im Erdbebengebiet: Wie viel Zeit bleibt den Rettern?

Sie sind gefangen in den Trümmern ihrer eingestürzten Häuser, aber am Leben - die Verschütteten nach den schweren Erdbeben in Syrien und der Türkei. Zu ihnen versuchen die Retter nun vorzudringen, denn mit jeder Stunden schwinden die Überlebenschancen.

Zerstörte Häuser, unpassierbare Straßen, Erdbebenschäden überall. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, den vermutlich viele Menschen im syrisch-türkischen Erdbebengebiet noch verlieren werden. Zu schwierig ist die Ausgangslage, um mögliche Verschüttete noch zu finden und zu bergen. Die kritische Überlebensgrenze für Verschüttete liegt bei 72 Stunden. "Das ist ein Erfahrungswert, der auf internationalen Erfahrungen von Rettungskräften basiert", erläutert THW-Experte Volker Strotmann ntv.de. Ehrlicherweise müsse man aber sagen, dass die mögliche Überlebenszeit unmittelbar davon abhängt, in welcher Lage sich die Verschütteten befinden.

"Sie überleben nur, wenn sie in einem Hohlraum landen und sich wenigstens ein bisschen bewegen können." Schon wenn beispielsweise die Beine oder andere Körperteile eingeklemmt werden, reduziere das die Zeit erheblich. 72 Stunden kann ein Mensch in der Regel ohne Wasser überleben. Nach dem Erdbeben in Haiti wurden aber auch noch nach zwei Wochen Menschen lebend aus den Trümmern geborgen, weil sie Zugang zu Wasser hatten.

In Syrien und der Türkei wurden viele Menschen in den frühen Morgenstunden von den Beben aus dem Schlaf gerissen. Wer vielleicht neben dem Bett eine Wasserflasche hatte und sie jetzt erreichen kann, könnte davon profitieren. "Also wenn Sie den Flüssigkeitsbedarf irgendwie decken können, beispielsweise durch einsickerndes Wasser, verlängert das natürlich die Zeit, die Sie in so einem Hohlraum überleben können", so Strotmann.

Wichtiges Lagebild

Die meisten Menschen werden unmittelbar nach einem Erdbeben von Nachbarn oder Verwandten gerettet, die sich oft mit bloßen Händen zu den Verschütteten vorarbeiten. Doch irgendwann komme man mit den Händen nicht mehr weiter und brauche spezielles Werkzeug und Bergungstechniken. Die Rettungskräfte, die jetzt im Unglücksgebiet eintreffen, kommen mit der Mission, so viele Überlebende wie möglich zu retten. Dafür trainieren die Freiwilligen des THW immer wieder, um in der Katastrophensituation auf standardisierte Abläufe zurückgreifen zu können.

Oft führen Angehörige oder Nachbarn die Teams zu eingestürzten Häusern, in denen Eingeschlossene vermutet werden. Es wird geklärt, wie viele Menschen in dem Gebäude waren, in welchem Teil man sie vermuten könnte. Meist unterstützen einheimische Helferinnen und Helfer, auch bei der Übersetzung.

"Ganz wichtig sind Mikrofone, mit denen man in die Trümmer hineinhorchen kann, ob dort Klopfzeichen zu hören sind oder irgendwas in der Art", schildert Strotmann. Deswegen müsse auch vor Ort absolute Stille herrschen, damit man hören kann, ob sich Menschen unter den Trümmern bemerkbar machen. Auch speziell ausgebildete Rettungshunde unterstützen die Retter, indem sie lebende Verschüttete melden. Zeit ist ein wichtiger Faktor, um die Toten kann man sich später noch kümmern. Mit verschiedenen Messgeräten werden die Verschütteten so genau wie möglich lokalisiert. Winzige Suchkameras können bis zu 15 Meter in die Schuttberge hineingeführt werden, um sich ein Bild von der Position der Verschütteten und ihrem Umfeld zu machen.

Gefährliche Expertenarbeit

Dann beginnt die eigentliche Bergung, die oft sehr gefährlich ist. "Unsere Teams versuchen, mit minimalen Eingriffen in einen solchen Trümmerkegel einzudringen." Sobald man Trümmerteile bewege, bestehe die Gefahr, dass "irgendwo Dinge nachrutschen". Die THW-Teams haben Beton- und Kettensägen dabei, Presslufthammer, Brechwerkzeuge, außerdem ihre eigene Stromversorgung.

Zu der Helfergruppe gehören auch Baufachleute, die die Lage der Trümmer beurteilen und dafür sorgen, dass die gegrabenen Tunnel abgestützt werden. Die Retter sollen sich darin so sicher wie möglich bewegen können. "Da ist nur sehr wenig Platz", meint Strotmann, oft sei es nur wenig mehr als ein halber Meter. Das Ziel ist, mit einer Metall-Krankentrage zu den Verschütteten vorzudringen.

"Es wird versucht, die ja meist verletzte Person auf diese Schleppe zu ziehen und dann quasi aus dem Haufen heraus zu bergen." Dazu sind immer auch Ärzte bei den Teams dabei. Wer die Bergung überlebt, ist darauf angewiesen, schnell im Krankenhaus behandelt zu werden. Auch das ist im jetzigen Erdbebengebiet ein Problem, Krankenhäuser sind beschädigt, Straßen zum Teil nicht befahrbar. Und der Transport von Schwerverletzten ist ein weiteres Überlebensrisiko. Manchmal sterben die geborgenen Personen trotzdem, an Dehydration, Unterkühlung, Schock oder auch inneren Verletzungen.

"Schwer zu ertragen"

"In der Türkei haben wir jetzt ungünstige Rahmenbedingungen, weil das Wetter so kalt ist und es sogar friert. Das verkürzt die Zeit, die für eine Rettung bleibt", sagt Strotmann. Die Temperaturen in den betroffenen Gebieten sinken unter den Gefrierpunkt. In Gaziantep in der Türkei, nahe dem Epizentrum des Erdbebens, soll es über Nacht bis zu -6 Grad Celsius kalt werden. In Aleppo, Syrien, soll die Temperatur auf -2 Grad sinken. Für die Rettungsteams aus aller Welt ist das aber kein Grund, aufzugeben. Nach 72 Stunden werden Lebendrettungen zwar immer unwahrscheinlicher. Trotzdem arbeiten die Teams oft weit über diesen Punkt hinaus. "Das ist ein Stück weit auch dem Ethos, der Liebe und auch der Verzweiflung geschuldet, in der man da tätig ist. Es ist selten nach 72 Stunden schlagartig Schluss."

Irgendwann sei aber der Punkt erreicht, an dem man sich eingestehen müsse, dass man jetzt nicht mehr sinnvoll bergen kann. Und dann beginne das Aufräumen, das Bergen der Toten. Schwere Baumaschinen kämen erst dann zum Einsatz, wenn man sicher ist, dass niemand in den Schuttbergen überlebt hat.

Dieser Punkt ist im aktuellen Fall noch nicht erreicht. Auch wenn die Opferzahlen ständig nach oben korrigiert werden, konzentriert sich jedes Rettungsteam auf seine unmittelbare Aufgabe. "Unsere Teams sagen sich, wir versuchen zu retten, was zu retten ist und die Dinge sind so, wie sie sind." Nach ihrer Rückkehr sei psychosoziale Notfallnachsorge aber immer ein Thema. "Natürlich ist das alles schwer zu ertragen."