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VfB und HSV im Nervenspiel: Gestürzte Fußball-Giganten taumeln am Abgrund entlang

VfB und HSV im Nervenspiel Gestürzte Fußball-Giganten taumeln den Abgrund entlang

Wenn diese beiden Klubs aufeinandertreffen, ist für Drama-Potential reichlich gesorgt. Der VfB Stuttgart und der Hamburger SV gehen seit Jahren im Gleichschritt in den Niedergang, jetzt kommt es zum feurigen Duell in der Relegation. Wer behält die Nerven?

Die gar nicht mal so viel Älteren werden sich vielleicht erinnern: Der VfB Stuttgart und der Hamburger SV waren nicht immer Teams, die Jahr für Jahr gegen den Abstieg (VfB) und vergeblich um die Rückkehr in die Bundesliga (HSV) kämpften. Der HSV spielte noch 2009 und 2010 (gegen Bremen und Fulham) im Halbfinale des Europapokals und eine gute Rolle in der Bundesliga (Platz 5 in der Saison 2008/09), Stuttgart wurde 2007 überraschend Deutscher Meister, hatte 2009 am letzten Spieltag die Chance auf einen Titel und lief in der Champions League auf.

Während in der folgenden Zeit Teams wie die TSG Hoffenheim, der FC Augsburg oder RB Leipzig die Bundesliga eroberten, röchelten die beiden Giganten aus dem Süden und Norden dem Abgrund entgegen. Ein kurzer Abriss: Missmanagement, Machtkämpfe, verbrannten Millionen, interne Querelen, schlechte Arbeit auf und neben dem Rasen. Das aufgeblähte Gehaltsgefüge fiel in sich zusammen, als dann die europäischen Plätze Jahr für Jahr verpasst wurden und der Etat notgedrungen verkleinert wurde. Die Spirale nach unten nahm rasant Fahrt auf. Stuttgart erwischte es schon 2016 und 2019, der HSV ist seit 2018 zweitklassig.

Nicht nur sportlich geht es um viel

Umso passender ist es, dass sich die einst von den Fantastischen Vier im Song "Mit freundlichen Grüßen" ("HSV, VfB, olé olé") besungenen Klubs in der Relegation 2023 begegnen. Und von "fantastisch" ist nicht mehr viel übriggeblieben. Noch passender ist es, dass sowohl Stuttgart als auch Hamburg mit einem Nackenschlag in die beiden "Finals" humpeln. Während der VfB trotz bester Ausgangslage am 34. Spieltag im Heimspiel gegen Hoffenheim den direkten Klassenerhalt durch das 1:1-Unentschieden verpasste, feierte der HSV in Sandhausen den vermeintlichen Aufstieg mit einem verfrühten Platzsturm, ehe ihm der 1. FC Heidenheim im Fernduell die Bundesliga-Tür in der 99. Minute brutal zustieß.

Aufrappeln hieß es also auf beiden Seiten, die Reihen schließen, noch einmal eine Woche Fokus ausrufen. VfB-Trainer Sebastian Hoeneß lief kurz nach Abpfiff wild gestikulierend zu Spielern und Fans, suchte den Schulterschluss. Auch beim HSV folgte auf die Ungläubigkeit, Tränen und Stille Gesänge des Trotzes und Willens. Nun ist es so, dass trotz der ausgerufenen Einigkeit beide Teams vor allem viel zu verlieren haben. Stuttgart droht der dritte Abstieg binnen sieben Jahren und damit Umsatzeinbußen in Höhe von 40 Millionen Euro, dem HSV der fünfte missglückte Aufstiegserfolg in Serie und wie dem VfB ein weiterer Schlag ins Etat-Kontor.

In Häme, in den Dramen und dem schon sprichwörtlich unruhigen Umfeld sind die beiden Klubs vereint. Es wirkt ein bisschen so, als sei der eine das Spiegelbild des anderen. Wenn man so will, ist der HSV der VfB des Nordens und der VfB der HSV des Südens. Ein Kompliment ist das nun wirklich nicht.

Die Fans als Faktor

Erstaunlich ist trotz all der Rückschläge, der Fiaskos an der Elbe und Neckar: Der Rückhalt der Fans ist da. Unerbittlich da. Die nicht unbedingt als größte Partyvölker bekannten Hanseaten und Schwaben auf den Zuschauerrängen sind wohl mit das größte Pfund für die beiden Vereine. Und eine Erinnerung daran, welch gigantische Powerhäuser und Magnete für die Metropolen (zweit- und sechstgrößte Stadt Deutschlands) mit riesigem Einzugsgebiet der HSV und VfB jeweils sind. Trotz gar nicht mal so günstiger Zweitligatickets kommen alle zwei Wochen über 53.000 Zuschauer in den Volkspark. Damit sind die Hamburger in der Top 20 der Zuschauerschnitte Europas - als Zweitligist.

Auch Stuttgart lockt zu den Heimspielen (wegen Umbaumaßnahmen passen derzeit nur 47.500 Zuschauer rein) im Schnitt 46.430 Anhänger in die Mercedes-Benz-Arena. Es ist mehr Wagenburg-Mentalität als Aufruhr oder "Bruddelei" zu verzeichnen. An den Fans liegt es nicht. Wenn es darauf ankommt, sind sie da. Wie jetzt in der Relegation. Die ganz in Weiß und Rot gekleideten Fans werden die Arena derart anzünden, dass man als Zuschauer eher das Gefühl hat, es sei Europapokal und nicht Relegation.

Dabei leben sie leben seit gut einer Dekade aber vor allem in Erinnerungen daran, wie es früher mal war. Der Klub von Uwe Seeler, Horst Hrubesch und Felix Magath gegen den von Jürgen Klinsmann, Karl Allgöwer und Krassimir Balakov. HSV gegen VfB ist ein echter Bundesliga-Klassiker. Der Vierte (VfB) der ewigen Bundesliga-Tabelle gegen den Sechsten (HSV). Oft ging es knapp aus. Die Bilanz ist fast ausgeglichen. 44 Siege der Hamburger stehen 38 des VfB und 22 Unentschieden gegenüber.

Komplizierte gemeinsame Vergangenheit

Nicht nur die Geschichte der Klubs, auch die Personalien liefern Öl für das Relegationsfeuer. Den meisten Fokus zieht Tim Walter auf sich. Der 47-jährige Coach des HSV hat eine kurze und emotionale VfB-Vergangenheit. Nach dem Bundesligaabstieg 2019 holten die Schwaben Walter von Holstein Kiel für den Wiederaufbau. Mit dem ihm eigenen "Walter-Ball" ließ er auch den VfB von der Leine, mit inkonstanten Leistungen. Obwohl der VfB nie schlechter als Rang drei belegte, feuerte ihn der Klub einen Tag vor Heiligabend. Schöne Bescherung. Das Verhältnis zum damaligen Sportdirektor Sven Mislintat soll nicht das beste und ein Grund für die Demission gewesen sein. Während sich Stuttgart mit neuem Coach (Pellegrino Matarazzo) und im Saisonendspurt mit einem Last-Minute-3:2 gegen den HSV zum Aufstieg zitterte, wechselte Walter im Jahr darauf in den Norden.

Auch dort setzte er auf einen konsequenten und durchaus riskanten Offensivfußball im 4-3-3-System. In der ersten Saison führte Walter den HSV erneut in die Relegation. Dort reichte es trotz eines 1:0-Sieges im Hinspiel nicht zum ultimativen Erfolg gegen die angeschlagene Hertha. Ein 0:2 im Rückspiel besiegelte den Nicht-Aufstieg des HSV. In der aktuellen Saison etablierte sich der HSV nach unruhigem Start auf dem direkten Aufstiegsrang, ehe der jährlich wiederkehrende Frühjahrs-Blues den Klub auf Rang 3 drückte. Der Endspurt endete mit dem schmerzhaften Platzsturm-Debakel von Sandhausen. Bitter für den HSV: Die 66 Punkten hätten in den vergangenen fünf Saison stets für den direkten Aufstieg gereicht.

Nach außen hin gibt sich Walter zum Wiedersehen mit dem VfB gelassen. "Ich habe viel gelernt und beim HSV jetzt noch viel mehr gelernt", sagte er vorab. "Er steht nicht auf dem Platz. Und er wird die Mannschaft auch nicht anders einstellen", ergänzte Sportvorstand Jonas Boldt.

Der Sprung ins "Bundesliga-Rettungsboot"

Walter trifft nun auf gleich zwei Weggefährten mit unterschiedlichen Beziehungen. Zu VfB-Trainer Sebastian Hoeneß, mit dem er einst zeitgleich beim FC Bayern im Nachwuchs bzw. der 2. Mannschaft arbeitete, gibt es dem Vernehmen nach sehr wenig Sympathien, dafür umso mehr für den VfB-Sportdirektor Fabian Wohlgemuth. Beide arbeiteten 2018/19 bei Holstein Kiel erfolgreich zusammen, haben noch heute ein gutes Verhältnis. Nur als der VfB 2019 für Walter anfragte, soll es mal geknallt haben.

Und dann gibt es noch Josha Vagnoman. Der Außenspieler aus der HSV-Jugend wechselte 2022 für rund 4 Millionen Euro Ablöse vom HSV zum VfB. In dieser Saison legte er eine der kuriosesten Entwicklungen der Bundesliga hin. Als zur WM-Pause Feuerwehrmann Bruno Labbadia übernahm, schaute Vagnoman zunehmend von der Bank aus die VfB-Spiele. Wie aus dem Nichts berief ihn dann Nationaltrainer Hansi Flick Ende März in den Kader des DFB-Team, kam im Spiel gegen Belgien auch zum Einsatz. Und wurde damit als Ersatzspieler eines Abstiegskandidaten zum Überraschungs- Nationalspieler des Jahres. Dann endete die Zeit von Labbadia, Hoeneß kam und es begann das Comeback von Vagnoman. Er setzte den 22-Jährigen wieder auf der rechten Abwehrseite ein, zog Waldemar Anton ins Zentrum und Vagnoman lieferte Tore und Vorlagen, rechtfertige seine Berufung quasi im Nachhinein. Ausgerechnet er könnte gegen seinen Ex- und Heimatclub zu einem X-Faktor werden.

Was für den HSV spricht: Der VfB hegt eine eklatante Auswärtsschwäche, kassiert fast immer ein Gegentor - auch zuhause. Zudem stellen sich die Schwaben durch individuelle Fehler immer wieder selbst ein Bein. Und für den VfB? In der Neuzeit der Relegation (seit 2008/09) haben sich nur drei Zweitligisten durchgesetzt. Problem: Einer der drei war Union Berlin - im Duell gegen den VfB. Zwei Unentschieden und die mehr geschossenen Auswärtsstore reichten den Berlinern zum Aufstieg. Diese Regelung gilt inzwischen nicht mehr. Bei Gleichstand nach zwei Spielen gibt es Verlängerung und dann Elfmeterschießen. "Die Relegation ist unser Bundesliga-Rettungsboot", sagte VfB-Sportdirektor Wohlgemuth.

"Weiter kämpfen, weiter Gas geben"

Der HSV hat eine sehr gemischte Relegationsvergangenheit. 2014 und 15 packten die Norddeutschen den Klassenerhalt im Nachsitzen, im vergangenen Jahr scheiterten sie an Hertha. Aus dieser Niederlage will Walter Kraft für die Mission Aufstieg ziehen. "Wir haben letztes Jahr wichtige Erfahrungen gesammelt, die wollen wie in diesem Jahr für uns nutzen", sagte der HSV-Trainer. "Wir haben vorher schon gewusst, dass wir diesen Weg gehen könnten. Und das müssen wir jetzt." Er berichtete von einer "Jetzt-erst-Recht"-Atmosphäre im Team. "Wir werden weiter kämpfen, werden weiter Gas geben."

Boldt betonte, dass "unsere Jungs so viel mitgemacht" haben am Standort Hamburg, aber auch "viel weiterentwickelt". "Ich hoffe, dass wir uns einfach mal belohnen dafür." Walter interpretiert die Ausgangslage so: "Letztlich haben sie viel zu verlieren. Der VfB kann absteigen, und wir können aufsteigen." Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Schafft der HSV wieder nicht den Aufstieg, wird dieser bisher erfolglose Kampf noch mehr zur selbst erfüllenden Prophezeiung, das Scheitern schwebt ohnehin über dem Volkspark. Klar ist nur: Für einen Klub geht das große Drama weiter (eventuell auch für den anderen, auszuschließen ist das ja nicht) - und eine erneute Songzeile über VfB und HSV wird es wohl so schnell auch nicht geben.