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Viele Streitpunkte: Von Energiekrise bis Verteidigung: Wo es im deutsch-französischen Verhältnis gerade hakt

Der deutsch-französische Motor ist ins Stottern geraten: Die Liste der Streitthemen wird immer länger. Und erschwerend kommt hinzu, dass sich die beiden Protagonisten nicht besonders gut verstehen

Olaf Scholz und Emmanuel Macron lächelten, als sie vor ihrem feierlichen Dinner am Tag der deutschen Einheit in Berlin vor die Kameras traten, doch die Stimmung war frostig. Die schönen Floskeln und optimistischen Worte des Präsidenten und des Bundeskanzlers über die künftige Zusammenarbeit bei Verteidigung und Energie konnten jedoch die Spannungen, die während des anschließenden Essens aufkamen, nicht übertünchen, berichten Regierungsvertreter aus beiden Ländern.

Während in der Ukraine ein Krieg wütet, sind sich die beiden Kernländer der Europäischen Union in wichtigen Fragen uneins. Es geht darum, wie die EU ihre Wirtschaft in der durch den Krieg ausgelösten Energiekrise schützen und ihr Militär aufrüsten soll. Der alte Streitpunkt Kernenergie ist zu einem höchst praktischen Problem geworden.

Die Stärke und Entwicklung der EU basieren seit ihren Anfängen auf der deutsch-französischen Partnerschaft. Die Union gerät ins Stocken, wenn es den Partnerländern nicht gelingt, eine gemeinsame Linie zu finden. Abgesehen von den politischen Differenzen wächst im Elysee-Palast der Eindruck, dass unter Scholz innerdeutsche Probleme zu einer Vernachlässigung Frankreichs und der EU führen.

Paris ist pikiert und irritiert

Die jüngste Episode, die für böses Blut sorgte, war dem Vernehmen nach Scholz’ Absage eines lange geplanten Telefonats mit Macrons Premierministerin Elisabeth Borne am letzten Donnerstag. Der Kanzler ließ sich wegen seiner Covid-Erkrankung entschuldigen – erschien aber am selben Tag per Videoschalte auf der Pressekonferenz, auf der die Bundesregierung ihr 200 Mrd. Euro schweres Programm gegen die Energiekrise präsentierte. Ein Sprecher der Bundesregierung erklärte, dass das Gespräch zwischen Scholz und Borne wegen der Covid-Infektion des Bundeskanzlers und seiner Quarantäne verschoben werden musste.

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Allerdings waren die Franzosen nicht nur irritiert, weil sie so versetzt wurden, sondern auch weil sie vom Inhalt des Pakets selbst erst über die Medien erfuhren. Hinter vorgehaltener Hand äußern französische Offizielle die Befürchtung, dass durch die implizierten Energiesubventionen für Unternehmen in dem Hilfspaket der Wettbewerb innerhalb der EU verzerrt wird.

Entsprechend sandte der französische Finanzminister Bruno Le Maire am Montag gleich nach seiner Ankunft zum Treffen der europäischen Finanzminister in Luxemburg eine Botschaft nach Berlin: Er warnte vor versammelter Presse vor einer „Fragmentierung“ der EU, wenn man nicht gemeinsam gegen die Energiekrise vorgehe. Der etwas von der Kritik überraschte Christian Lindner geriet in die Defensive und musste den Plan der Ampel mit dem Argument verteidigen, dass andere Länder doch ähnlich agierten.

Als Berlin während der Pandemie die Europäer mit einem massiven Hilfsprogramm überraschte, schloss Macron einen Deal mit Angela Merkel, der letztlich zum Wiederaufbaufonds der EU führte. Auch diesmal könnten die beiden Länder noch einen ähnlichen Kompromiss schließen. Die unterschiedliche politische Kultur des französischen Präsidialsystems mit seiner zentralisierten Entscheidungsfindung und der deutschen Politik mit ihren zuweilen langwierigen Kompromissen in der Regierungskoalition und zwischen Bund und Ländern macht die Problemlösung aber nicht einfacher.

Streit um Kernenergie

Auch die unterschiedlichen Charaktere spielen eine Rolle. Macron ist berüchtigt für seine langen, umständlichen Reden, während Scholz, ähnlich wie Merkel, konzentrierte, schnörkellose Gespräche bevorzugt. Doch mit Merkel konnte der Präsident immer einen Kompromiss finden. Mit Scholz scheint dies schwieriger geworden zu sein.

Dauerstreitthemen zwischen Berlin und Paris sind die Besetzung führender EU-Posten oder die Frage des EU-Haushalts und der Schuldenvergemeinschaftung. Langjährige Differenzen über die Kernenergie und die Energieinfrastruktur der EU sind zu einem weiteren ernsthaften Streitpunkt geworden, nachdem Russland die Ukraine überfallen hat. Seit Deutschland wegen Problemen in den französischen Atommeilern Strom über den Rhein exportiert, nimmt Wirtschaftsminister Robert Habeck bei seiner Kritik am Nachbarn kein Blatt vor den Mund.

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Bei dem Arbeitsessen zwischen Scholz und Macron sei es um einen weiteren Streitpunkt gegangen, die Verteidigungspolitik, heißt es. Macron ist seit langem ein Befürworter eines gemeinsamen europäischen Verteidigungsprojekts, um von den USA unabhängiger zu werden. Deutschland und andere EU-Mitgliedstaaten hegen bei dem Thema jedoch den Verdacht, es ginge dem Präsidenten vor allem darum, französische Unternehmen und ihren Einfluss zu stärken.

Aktuell kommt das Future Combat Air System, kurz FCAS, nur langsam voran. Bei dem deutsch-französisch-spanischen Projekt geht es um ein Kampfflugzeug, das im Jahr 2040 die französischen Rafale- und deutschen Eurofighter-Jets ersetzen soll. In drei Wochen könnte das Thema in Fontainebleau bei Paris bei einem Treffen deutscher und französischer Minister zum Thema werden.

Die nächste Gelegenheit für Scholz und Macron, sich zusammenzuraufen kam bereits am Donnerstag – beim informellen EU-Gipfel in Prag.

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