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Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gegen TV-Moderator Patrick Poivre d'Arvor

„Der Sturz eines Unantastbaren“ lautet der Titel eines unlängst auf France 2 ausgestrahlten Dokumentarfilms. Unantastbar war Patrick Poivre d’Arvor tatsächlich während fast seiner ganzen, bis in die 1970er-Jahre zurückreichenden Laufbahn als Nachrichtensprecher und TV-Moderator. Dies zuvörderst dank seiner Aura als Staransager des Abendjournals der Privatsenders TF1. „PPDA“, wie der Vierundsiebzigjährige von Landsleuten genannt wird, vereinte zwischen 1987 und 2008 geläufig vierzig Prozent der Zuschauer. Neben seiner Haupttätigkeit als Nachrichtensprecher profilierte sich der urbane Held von Klatschgazetten auch als Gastgeber von Kultur- und Literatursendungen.

Doch neben der Attraktionskraft von PPDAs schelmischem Lächeln und seiner honigsüßen Stimme streicht der Dokumentarfilm auch seine beruflichen Verfehlungen heraus. So schnitt der Journalist in den 1990er-Jahren aus einer Pressekonferenz ein „Exklusivinterview“ mit Fidel Castro zusammen; führte ein Gespräch mit einem angeblichen Leibwächter Saddam Husseins, der sich als Hochstapler entpuppte; und wurde wegen Unterschlagung von Gesellschaftsvermögen verurteilt.

Erste Klage wegen Vergewaltigung

Eine ungleich schwerwiegendere Affäre schwelt um den – laut Selbstcharakterisierung – „Frauenliebhaber und -verführer“, seit Anfang 2021 eine erste Klage wegen Vergewaltigung gegen ihn eingereicht wurde. Mit dem gemeinsamen Auftritt von zwanzig Anklägerinnen in einer Sondersendung der investigativen Webzeitung „Mediapart“ am 10. Mai hat die Zahl der Frauen, die Poivre d’Arvor sexueller Übergriffe bezichtigen, eine kritische Masse erreicht. Die Beschuldigungen reichen von „unangemessenem Betragen im Berufsumfeld“ über „sexuelle Belästigung“ und „sexuelle Gewalt“ bis hin zu „Vergewaltigung“ (in acht Fällen). Die Fälle sollen sich zwischen den 1980er-Jahren und 2015 zugetragen haben; die mutmaßlichen Opfer sind heute zwischen achtundzwanzig und dreiundsechzig Jahre alt. Vor 2021 kannten sie sich zumeist nicht.

Ihre Zeugnisse zeichnen übereinstimmend das Bild eines „Triebtäters“, der ständig auf Beutejagd war, seine Opfer mit seinem Ruhm und seiner Macht köderte und sie am Ende missbrauchte. Im typischen Fall habe er junge Redakteurinnen, Volontärinnen oder Besucherinnen eingeladen, seiner TV-Sendung live beizuwohnen. Danach habe er sie in sein Büro geleitet, mit zunehmend anzüglichen Fragen traktiert und zum Oralsex gezwungen. Wer sich weigerte, sei mit beruflichen Konsequenzen bedroht worden. Zwischen Poivre d’Arvor und seinen mutmaßlichen Opfern bestand ein schwindelerregendes Macht- und Prestigegefälle; einige fühlten sich zunächst geschmeichelt durch sein Interesse; dazu das Element der Überrumpelung. Unter den Klägerinnen finden sich zwei seinerzeit Minderjährige und eine ehemalige Magersüchtige, die zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Vergewaltigungen dreißig Kilogramm wog.

Starjournalist sieht sich selbst als Opfer

Der ehemalige Starjournalist selbst sieht sich als Opfer einer „Rückkehr des Puritanismus, geschickt ins Gewand des angeblichen Frauenschutzes drapiert“. Er wähnt sich als Kollateralschaden der „#MeToo-Sturzwelle“ und ihrer „Exzesse und Entgleisungen“. Die Klägerinnen gierten nach medialem Ruhm oder seien „Feministinnen der letzten Stunde, die gekommen sind, um einer ehemaligen Kollegin, einer Freundin oder schlicht einer Frauenaktivistin unter die Arme zu greifen“. Zu seiner Verteidigung zitiert Poivre d’Arvor aus Briefen von vier Klägerinnen, die ihm diese jeweils nach dem angeblichen Übergriff geschrieben hätten. Die angeführten Passagen klingen nicht nach einer traumatischen Begegnung.

Der Fall zeigt, wie schwierig die Aufarbeitung von Missbrauchsvorwürfen ist. Vier Monate nach der ursprünglichen Sammelklage von 2021, die acht Frauen eingereicht hatten, stellet die Justiz die Ermittlungen ein. Sieben der Klagen seien verjährt, befand das zuständige Gericht, für die letzte fehle es an Beweisen. Für Poivre d’Arvor, das ist festzuhalten, gilt die Unschuldsvermutung. Doch aufgrund der Häufung neuer Zeugnisse sind drei weitere Klagen gegen ihn eingereicht worden, denen die Justiz nachgeht. Die Klage von 2021 hat sich ein Untersuchungsrichter vorgenommen, es laufen neue Ermittlungen. „Mediapart“ vermutet ein systemisches Versagen bei TF1. Das Gros der Übergriffe soll in einem Büro im Herzen der TV-Redaktion stattgefunden haben, umgeben von Kollegen und Assistentinnen, zum Teil bei offener Tür. Doch niemand will etwas gesehen, niemand etwas gehört oder gewusst haben.