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Warum die Briten plötzlich wieder in Europa mitreden wollen

Seit dem Brexit-Referendum vor mehr als sechs Jahren herrschte in London ein unausgesprochenes Tabu. Von allem, an dem auch nur ansatzweise ein EU-Logo klebte, hatten sich britische Regierungsvertreter fernzuhalten. Keiner der seither vier Premierminister ließ sich, von Nato-Gipfeln abgesehen, in Brüssel oder bei EU-Veranstaltungen blicken.

Das ändert sich an diesem Donnerstag. Liz Truss nimmt am Gründungsgipfel der von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron initiierten Europäischen Politischen Gemeinschaft in Prag teil. Wladimir Putins Krieg in der Ukraine bringt Europas Staaten zusammen. Im Wahlkampf um die Nachfolge von Boris Johnson hatte Truss Ende August noch flapsig eine Antwort verweigert, ob Macron Freund oder Feind der Briten sei. Nicht mehr Kandidatin, sondern im Amt, ist die Antwort klar.

Seine Pläne hatte Macron schon Ende Juni mit Truss‘ Vorgänger Boris Johnson besprochen. Letzterer zeigte sich seinerzeit nicht abgeneigt. „Ich denke, wir sollten das Mare Nostrum des Römischen Reichs neu errichten!“, bekundete der Ex-Premier gewohnt wortgewaltig nach dem G-7-Gipfel in Deutschland. Truss hingegen ließ sich mit ihrer Zusage Zeit. Erst in der vergangenen Woche bekamen die tschechischen Gastgeber Bescheid aus London.

London will bei der Gestaltung der Europäischen Politischen Gemeinschaft mitreden

Eine Zusage, die gleich verbunden war mit der Ansage, dass die britische Regierung ein mögliches Folgetreffen ausrichten möchte. Damit macht Truss deutlich, dass die Briten bei der Gestaltung dieses neuen Formats ein gewichtiges Wort mitreden wollen. Nach Berichten von „Politico“ soll die seit vier Wochen amtierende Regierungschefin vorgeschlagen haben, das Format statt „Gemeinschaft“ lieber „Forum“ zu nennen.

Was die Briten unbedingt vermeiden wollen, ist ein Hineinrutschen in jedwede Art von Strukturen, die zu Hause beim Wähler als alternative EU-Mitgliedschaft ankommen könnten. „Es ist immer gut miteinander zu sprechen. Das Ziel des Brexit ist keine schlechte, sondern eine andere Beziehung zu unseren Nachbarn. Daher ist es gut herauszufinden, wohin Prag führen kann. Die britische Regierung wird aber allem skeptisch gegenüberstehen, das in irgendeiner Weise formalisiert oder institutionalisiert“, so der ehemalige Brexit-Chefunterhändler David Frost im Gespräch mit WELT.

Seit dem Brexit haben die Briten wesentlich seltener Gelegenheit, ihre europäischen Nachbarn zu treffen. Sahen sich Minister vormals bei Räten, hat sich der Austausch nun auf bilaterale Treffen oder solche auf Nato-, UN- oder G-7-Ebene reduziert. Doch Wladimir Putins Krieg in der Ukraine hat die Europäer nicht nur geeint, er macht auch mehr und engere Absprachen nötig. Gleichzeitig wächst in London die Sorge, dass die Unterstützung für die Ukraine auf dem Kontinent nachlässt.

Während die öffentliche Zustimmung in Großbritannien anhält, macht sich in den EU-Staaten wachsende Unzufriedenheit breit. Truss betont deshalb immer wieder, dass der Westen trotz der steigenden Energiepreise die Sanktionen beibehalten und das Senden von Waffen fortsetzen müsse: „Die Ukraine muss den Krieg gewinnen“, lautet ihr Mantra – anders als in Berlin.

Londons Interesse beim Prager Gipfel gilt aber nicht allein dem Krieg in der Ukraine. Truss will auch das Thema Migration auf der Tagesordnung sehen. Beobachter in London vermuten dahinter den Versuch der Briten, sich Zusagen über eine stärkere Kooperation beim Thema illegale Einwanderung zu sichern. Denn die ständig steigende Zahl von Menschen, die mit Schlauchbooten den Ärmelkanal überqueren, setzt Truss unter großen Druck. „Hoffentlich will sie Prag nicht benutzen, um ihre innenpolitischen Probleme zu lösen“, warnt ein europäischer Diplomat.

Zeichen zwischen Insel und Kontinent stehen auf Annäherung

Das Treffen am Donnerstag soll ein Zeichen setzen, dass Europas Sicherheit immer stärker von den Europäern selbst abhängen wird. Auch in London blickt man auf die Zeit nach der Regierung von Joe Biden, wenn ein neuer US-Präsident womöglich wesentlich weniger Bereitschaft für die Verteidigung des alten Kontinents zeigt. Entsprechend wird die britische Premierministerin in Prag auf die Kooperation in militärischer Hinsicht, aber auch in Sachen Energiesicherheit drängen.

„Die Briten wollen dabei sein, um die Form der Europäischen Politischen Gemeinschaft von Beginn an mitbestimmen zu können“, sagt ein Diplomat. Was auch immer Truss’ sekundäre Interessen sein mögen, die EU werte Truss’ Teilnahme als willkommenen Schritt. „In jedem Fall ist es ein positives Signal, wenn die Briten erkennen, dass der Kontinent am Ende doch nicht eine Million Meilen entfernt ist.“

„Es ist eine weise Entscheidung – nicht nur wegen der Ukraine, sondern generell in Hinsicht auf die britisch-europäischen Beziehungen“, sagt Joao Vale de Almeida, Brüssels Botschafter in London. Zumal diese Woche die Gespräche über das umstrittene Nordirland-Protokoll wieder aufgenommen werden. Zuletzt hatte London auf Konfrontation gesetzt. Für den Moment aber stehen alle Zeichen zwischen Insel und Kontinent auf Annäherung.