Germany
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

"Welt wird eine bessere sein": In La Boca blüht Scholz auf

Bundeskanzler Scholz hat in Südamerika ein Versprechen im Gepäck: Deutschland wolle Partner einer Zukunft für alle sein. Bei einer Gesprächsrunde konfrontieren ihn Argentinier mit kritischen Fragen. Doch der Bundeskanzler erklärt - und bleibt positiv.

Wie das zusammenpasse, dass Deutschland auf erneuerbare Energien dränge, nun aber wieder seine Kohlekraftwerke in Betrieb genommen habe und Greta Thunberg habe festnehmen lassen? Es ist kurz nach 9 Uhr, die Vormittagssonne dringt ein wenig durch das Blätterdach des Patios im Arbeiterviertel La Boca. Bundeskanzler Olaf Scholz ist noch nicht lange da, ein paar Minuten vorher ist er durch die bunten Häuser nahe der Hafenmauer gelaufen und hat sich vor Diego Maradona - mit Heiligenschein und Flügelchen - von einem Balkon grüßend - fotografieren lassen.

Etwa 50 junge Argentinier sind zu diesem Townhall-Format in Buenos Aires gekommen. Sie stellen Fragen über die Zukunft, den Klimawandel und wie Deutschland ihrem Land helfen will und kann. Argentinien ist die erste Station der Südamerikareise des Bundeskanzlers, auch in Chile und Brasilien wird er empfangen. Es geht dabei viel um Energiesicherheit und weitere Wirtschaftsbeziehungen, etwa das Freihandelsabkommen der EU mit dem Mercosur. Dem Wirtschaftsraum, zu dem Argentinien und Brasilien gemeinsam mit Paraguay und Uruguay gehören. Es geht um die Zukunft Deutschlands.

Die mehrtägige Reise des Bundeskanzlers soll Deutschland und andere EU-Länder in Südamerika wieder auf der Weltkugel markieren: Hier sind Geschäfte zu machen, hier sind mögliche Partner und willige Investoren. Die Pläne der Ampelkoalition und vor allem der Ukraine-Krieg haben die fossile Energieversorgung erschüttert. Die Länder Südamerikas sehen deshalb die womöglich historische Chance, sich durch die neuen Energieträger mehr Wohlstand erarbeiten zu können.

Dreifacher Stromverbrauch

Dann erklärt Scholz. Ruhig, einfach, kausal. Russland habe die Lieferungen des Übergangsenergieträgers Gas eingestellt, auch Öl von dort gebe es nicht mehr. Also habe man die bereits vorhandenen alten Kraftwerke wieder angeworfen, aber bis 2024 begrenzt. Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt habe eine Industrie mit enormem Energieverbrauch von 600 Terrawattstunden, der werde auf das Dreifache anwachsen, weil alle auf Strom umstellen werden, auch die Schwerindustrie, etwa Stahlwerke. Aber man müsse Trassen bauen, denn der komplette Wechsel auf Erneuerbare Energien brauche Zeit, man habe sich aber zeitlich verpflichtet, für den Übergang gebe es schon neue LNG-Terminals in der Nordsee; und, und, und.

So geht das fast eine Stunde lang. Der Bundeskanzler blüht auf. Bei einer Frage zu Gewerkschaften erzählt er über seine berufliche Vergangenheit, bevor er in die Politik ging, zur Migration erzählt er von Hamburg und den deutschen Auswanderern, die auf Dampfern nach Montevideo und Buenos Aires kamen. Sorgen über die Folgen engerer wirtschaftlicher Kooperation versucht er mit dem Lieferkettengesetz zu entkräften. Dies garantiere auch saubere Produktion anderswo, denn etwas anderes dürfen deutsche Unternehmen in Lateinamerika gar nicht kaufen. "Und die Welt wird eine bessere sein", sagt er irgendwann. Man will es ihm glauben.

Argentinien und Chile gehören gemeinsam mit Bolivien zum Lithium-Dreieck, wo die größten Vorkommen des so begehrten Rohstoffs für den Wechsel zur Elektromobilität lagern. Ab 2035 dürfen in der EU keine Autos mit Verbrennermotor mehr neu zugelassen werden. Der Bedarf an Batterien wird also - falls keine andere Technik entwickelt wird - stetig wachsen. Auch wäre Südamerika ein exzellenter Standort für die Produktion von erneuerbarer Energie und grünem Wasserstoff: Es gibt viel Sonne, viel Wind, und lange Küsten. Kurz vor Ende hält es Scholz nicht mehr auf seinem Sitz, er schlendert ein wenig mit seinem Mikrofon auf die Fragenden zu.

Ängste auf beiden Seiten

af8137ec544647bc7923675b97c75eac.jpg
af8137ec544647bc7923675b97c75eac.jpg

Olaf Scholz kennt Argentiniens Präsident Alberto Fernández schon von vorherigen Treffen, zuletzt beim G7-Gipfel.

(Foto: dpa)

Tags zuvor läuft es viel formaler ab, als Scholz mit militärischen Ehren von Argentiniens Außenminister Santiago Cafiero und Präsident Alberto Fernández empfangen wird. Da bewegte er sich bedächtiger, sagte nicht viel anderes, aber weniger nahbar. Ein offizielles Umfeld. Der Scholzomat läuft deutlicher mit. Auch wenn er, ganz Genosse, Fernández mit Du anspricht.

Das EU-Mercosur-Abkommen mit dem Abbau von Handelshemmnissen solle zügig in Kraft treten, sagen die beiden Staatschefs. Das Bekenntnis von Fernández ist so deutlich noch nicht zu hören gewesen. Zu groß war bislang die Angst seines sozial orientierten peronistischen Bündnisses, dass die heimische Industrie nur Nachteile haben würde, europäische Waren sie vom Markt und in den Ruin drängen könnten.

Der unterzeichnete Vertragstext war von Fernández' marktliberalem Vorgänger Mauricio Macri mit ausgehandelt worden. Zusatzvereinbarungen sollen das Abkommen retten. Scholz konnte Fernández offenbar glaubhaft versichern, dass Deutschland in gutem Willen gekommen ist und ein Kompromiss nicht unmöglich ist. Die Peronisten brauchen zudem händeringend positive Ergebnisse. Im Oktober finden Präsidentschaftswahlen statt. Die Inflation ist hoch, die Armutsrate verfestigt und dem Bündnis laufen die jungen Wähler davon.

Scholz beruhigt: Beide Seiten sollen von Zusammenarbeit profitieren, deshalb werde man die Kritikpunkte auch gemeinsam angehen und das Abkommen zügig Abschluss kommen. Es wäre ein Gegengewicht zu den Chinesen, die auf dem Kontinent ebenfalls sehr aktiv sind. Aus dem Umfeld der Bundesregierung ist zu hören, dass Scholz' breite Initiative für größere Zusammenarbeit als so etwas wie die letzte Chance für Deutschland gesehen wird. Sonst sei man eben einfach zu spät dran gewesen.

8ec6bfc2ad2dacf6476ee9165ee7679f.jpg
8ec6bfc2ad2dacf6476ee9165ee7679f.jpg

Scholz wirft Blumen ins Meer, für die Opfer der Diktatur, die darin starben.

(Foto: dpa)

Neben Scholz' Zusicherungen dürfte auch der Amtsantritt Lula da Silvas in Brasilien ein Grund für die neue Offenheit für das Abkommen sein, das seit über 20 Jahren verhandelt wird. Der neue brasilianische Präsident will das Abkommen unbedingt. Brasilien ist Argentiniens größter Handelspartner. Zugleich will Lula ohnehin einen viel stärkeren Schutz des Amazonas-Regenwaldes durchsetzen, den etwa Frankreich zur Bedingung genannt hat, um das Abkommen zu ratifizieren. Aber in der EU sperren sich auch Österreich und Irland bislang aus Angst billiger Agrarimporte, die ihrer Landwirtschaft schaden könnten.

Gedenken am Meer

Nach der Fragerunde steigt der Kanzler samt Wirtschaftsdelegation und Journalisten in die wartende Fahrzeugkolonne, sie fährt zum Parque de la Memoria, dem Park der Erinnerung, wo der 30.000 Opfer der letzten argentinischen Militärdiktatur gedacht wird. Scholz hört den Erklärungen zu, er steckt eine Blume in das Schild mit dem Namen der Deutschen Elisabeth Käsemann, er redet mit Angehörigen, wirft eine Lilie ins Meer, und bevor es wieder weitergeht, nimmt er sich sogar einen Moment allein; legt die Hand auf eine hunderte Meter lange Mauer mit Namen der Toten und blickt weg vom Tross aufs Wasser.

Die Kolonne setzt sich wieder in Bewegung, rast zu einem Besuch bei der Volkswagenfabrik in der Provinz Buenos Aires, die für den Rundgang des hohen Besuchs ihre komplette Werksschicht auf Sonntag verschoben hat. Es ist eines der modernsten Werke Südamerikas, hier rollen auch Autos für den Export nach Australien und Afrika vom Band. Erst vor wenigen Jahren investierte der Autobauer 600 Millionen Dollar ins Werk. Es bleibt noch Zeit für ein Kennenlernen mit Gewerkschaftsvertretern, dann geht es schon wieder weiter - zurück zum Flughafen, in die Kanzlermaschine nach Santiago de Chile, dann nach Brasilien. Und am Mittwoch zum Tagesgeschäft in Berlin.