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"Wie können Sie damit schlafen?": Bachs Russland-Argumentation bröckelt massiv

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Thomas Bach gerät wegen seiner Russland-Haltung immer stärker unter Druck.

(Foto: AP)

Kehren Russlands Sportlerinnen und Sportler in den Weltsport zurück? Die Entscheidung in der ebenso brisanten wie spaltenden Frage soll in der kommenden Woche fallen. In Essen verteidigt Präsident Thomas Bach die IOC-Linie - und stößt auf heftigen Widerstand.

Thomas Bach hatte genug vom Frage-und-Antwort-Spiel, bei dem er nur noch verlieren konnte. "Ich weiß nicht, ob wir das künstlich verlängern müssen", sagte der IOC-Präsident, fand aber kein Gehör. Sein Gastgeber in der Essener Philharmonie ließ noch drei weitere Einlassungen zu, auch die des polnischen Generalkonsuls Jakub Wawrzyniak, der Bach angesichts der sportpolitischen Dimension des Krieges in der Ukraine fragte: "Wie können Sie damit schlafen?"

Die Debatte um die Rückkehr russischer und belarussischer Athletinnen und Athleten in die olympische Familie spaltet längst nicht nur die Sportwelt. Sie ist zu einem Politikum geworden und wird nicht nur im Ruhrgebiet hochemotional geführt. Immerhin kündigte Bach, der am Mittwochabend in Essen von 150 Demonstrierenden unfreundlich empfangen wurde, eine Entscheidung des IOC bei der kommenden Exekutivsitzung an.

Bachs Solidarität kennt Grenzen

"Warten Sie bis Mitte nächster Woche. Ich bin zuversichtlich, dass wir dann mit entsprechenden Leitlinien kommen werden", sagte er und versicherte, wie schwer sich das IOC die Arbeit mache. Dies sei "keine beneidenswerte Aufgabe", denn: Bei allem Verständnis für das "unfassbare Leid" durch die "menschenverachtenden Verbrechen" kennt Bachs viel beschworene Solidarität mit der Ukraine Grenzen.

Von seiner Argumentationslinie rückte Bach nicht ab: Weder die UN- noch die olympische Charta ließen Diskriminierung von Athletinnen und Athleten aufgrund ihrer Herkunft zu. Bach warnte vor dem "Zerfall des internationalen Sportsystems", er verwies auf die weltweite Mehrheit für die Wiedereingliederung mit Blick auf die Spiele 2024 in Paris. Und überhaupt: Im Tennis funktioniere die friedliche Koexistenz zwischen Ukrainern, Russen und Belarussen doch ganz hervorragend.

Die Szene ist in Aufruhr

Das mag Bach in der Olympia-Zentrale in Lausanne so zugetragen werden, die Realität jedoch sieht anders aus: Die Ukrainerin Marta Kostjuk brach nach einem Match gegen eine Russin, das Bach auch in Essen als leuchtendes Beispiel verkaufte, weinend zusammen und verweigerte den Handschlag, ihre Landsfrau Lessja Zurenko trat gegen Aryna Sabalenka gar nicht erst an. Eine Panikattacke habe sie kaum noch atmen lassen.

Sabalenka selbst, Gewinnerin der Australian Open und als Belarussin wie vom IOC gewünscht neutralisiert, spricht von "Hass". Die Russin Anastassja Potapowa provozierte im Trikot des Fußballklubs Spartak Moskau. Branchenführerin Iga Swiatek aus Polen beklagte die mangelnde Unterstützung der ukrainischen Spielerinnen. Die Szene ist in Aufruhr. Und Bachs Argumentation bröckelt.

"Legitime Gründe" für einen Ausschluss

Ein vom DOSB in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zur Frage der Diskriminierung zieht die IOC-Behauptung der Alternativlosigkeit in Zweifel. Rechtsprofessorin Patricia Wiater von der Universität Erlangen-Nürnberg sieht "legitime Gründe" für einen Ausschluss - auch "friedenspolitische", indem "einer kriegspropagandistischen Instrumentalisierung von Sportereignissen" entgegengewirkt wird. "Das IOC nimmt die Position des DOSB zur Kenntnis", sagte ein Sprecher der Ringe-Organisation. Nur: "Was die Auslegung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen betrifft, so vertraut das IOC auf die Interpretation durch die dafür eigens bestellten UN-Sonderberichterstatterinnen." Diskussion beendet.

Der Weg ist bereitet, die Frage ist nicht mehr, ob Russen und Belarussen während der Angriffe ihres Regimes auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine auf die Sportbühne zurückkehren, sondern nur noch: wie? Strenge Neutralität, keine aktive Unterstützung des Krieges und die Einhaltung des Anti-Doping-Codes sind Bachs Schlagworte. Ob und wie das alles kontrolliert werden kann? Unklar bis undenkbar.

Auch für Christian Keller, Bronzemedaillengewinner im Schwimmen bei den Sommerspielen 1996 und Essener Urgestein. Keller konfrontierte Bach direkt: "Würden Sie es akzeptieren, dass die Ukraine die Spiele 2024 boykottiert und neutrale Athleten aus Russland zugelassen sind?" Bach wich der Frage aus, seine Antwort hätte Keller und vielen der Zuhörer in Essen nicht gefallen.