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Wieduwilts Woche: Hans-Georg Maaßen ist ein Gewinn für diese CDU

Der frühere Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz ist nun Vorsitzender der "Werteunion". Das ist erstaunlich praktisch für die CDU - aber für die deutschen Debatten um Woke, Migration und Identität eine Katastrophe.

Jede Partei hat ihr Schmuddelkind, ein Mitglied, mit dem man nicht zu spielen hat. Die SPD hatte bis ins Jahr 2020 Thilo Sarrazin, die Grünen haben Boris Palmer, die FDP Thomas Kemmerich, nur in der AfD ist es aus naheliegenden Gründen schwierig, das Schmuddelige vom Rest zu trennen - und nun, als frisch gewählter Chef der "Werteunion", hat die CDU schon wieder Hans-Georg Maaßen am Hals.

Wie das Schmuddelkind aus dem alten Schlager von Franz-Josef Degenhardt befinden sich die enfants terribles der Parteien in derselben Stadt, wenn auch einer anderen, schlechteren Nachbarschaft: Boris Palmer etwa störte sich offenbar an der Hautfarbenauswahl auf Werbebildern der Deutschen Bahn ("welche Gesellschaft soll das abbilden?"), Kemmerich ließ sich mit Hilfe der AfD zum Ministerpräsidenten wählen, Sarrazin kritisierte die Fertilität vermeintlich dummer Ausländer in Deutschland und versuchte sich als Hobbywissenschaftler auf dem zumal für Deutsche nicht allzu geeigneten Feld der Judengenetik.

So weit, so unangenehm.

Abends am Familientisch, nach dem Gebet zum Mahl
Da hieß es dann: "Schon wieder riechst du nach Kaninchenstall
Spiel nicht mit den Schmuddelkindern
Sing nicht ihre Lieder

Wie schlimm sind die Schmuddelkinder für die Mutterparteien? Bei Kemmerich ist die Sache klar: Sein Flirt mit der AfD in Thüringen hat der FDP einen geradezu möllemännischen Schaden zugefügt. Die FDP hat über den Ausschluss Kemmerichs zwar debattiert, sich aber nicht dazu durchgerungen.

Bei Boris Palmer und den Grünen ist die Lage verworren: Er hat seine Parteimitgliedschaft ruhen lassen und ist zugleich rasend erfolgreich - kürzlich setzte er sich bei der Oberbürgermeisterwahl durch. Was sollen die Grünen da tun? Abgrenzen fällt da doppelt schwer.

"So sind wir nicht!"

Und auch für die SPD ist nicht eindeutig, ob Sarrazin ihr geschadet hat. Schmuddelkinder bieten nämlich auch eine Chance, nämlich zur lautstarken Distinktion: "So sind wir nicht, so wollen wir nicht sein, hinaus mit dir!" kann die jeweilige Parteiführung rufen und die eigene Position mit einem Parteiausschlussverfahren untermauern.

Deshalb ist auch Hans-Georg Maaßen für die CDU unter Friedrich Merz im Grunde ein Hauptgewinn. Er hat nichts zu sagen, auch wenn er seit Neuestem als Frühstücksdirektor einem Club von etwa 4000 verbitterten überwiegend männlichen Konservativen präsidiert.

"Herrn Doktor Maaßen ist offenkundig nicht am Wohl der CDU gelegen", sagte Merz. "Er verstößt im Gegenteil laufend gegen die Grundsätze und die Ordnung der Partei." Die Junge Union fordert einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Werteunion. Anders gesagt: "So sind wir nicht!"

Kann Anti-Rassismus zu weit gehen?

Wenn mit Merz wieder der innere Alfred Tetzlaff durchgeht ("Sozialtourismus", "kleine Paschas"), dient der Ex-Beamte als ockerfarbenes Kontrastmittel - die CDU auf Kulturkampfkurs mag muffig sein, aber auf Maaßens Niveau ist sie noch nicht abgesackt: "Rot-grüne Rassenlehre", da kommt auch Merz nicht rechts vorbei.

Diese Dreingabe von Kontrastmittel führt allerdings dazu, dass erkenntnisreiche Grautöne komplett untergehen. Die deutsche Debatte über Wokeismus, Rassismus und Identitätspolitik verläuft überwiegend auf peinlich flachem Niveau.

Da reicht es, wenn in einem Youtube-Interview die FDP-Politikerin Katja Adler ins Stammeln gerät, weil sie auf die maliziöse Frage, ob man zu sehr gegen Rassismus sein könne, keine klare Antwort weiß. Dabei ist es so schwierig nicht.

Amerika debattiert klüger

Wer Urlaub braucht von diesen deutschen, platten Kulturkampfdebatten, der möge nach Amerika schauen: Dort ringt man schon länger mit dem "Wokeismus" und das bringt auch Zwischentöne hervor. In einem Podcast der "New York Times" etwa kam diese Woche Maurice Mitchell der linken Kleinpartei "Working Families Party" zu Wort, Sohn karibischer Einwanderer. Er warnte Aktivisten davor, nur aufgrund ihrer eigenen Identität keine Widersprüche zuzulassen. Wörtlich:

"Als Schwarzer tue ich mir keinen Gefallen, wenn ich als schwarzer Sohn von Einwanderern sage, die Weißen sollen die Hände in den Schoß legen und den Mund halten. Ich muss durch die Debatte geschärft werden. Vielleicht bin ich am Ende des Tages der Meinung, dass Sie im Unrecht sind. Aber ich brauche das Hin und Her, um meinen Standpunkt zu schärfen oder meine Meinung zu ändern."

Wäre es nicht großartig, wenn wir auf diesem Niveau über Migration, Identitätspolitik und Debattenkultur sprechen könnten? Wenn man über die Bedeutung von Migration bei Gewalttaten an Silvester und in Schleswig-Holstein ohne Schaum vor und Paschas im Mund sprechen könnte? Und auch ohne völkisch konnotierte Rassismustheorien des HGM?

Maaßen erspart der Partei gewissermaßen die Modernisierung - der kulturkämpferische Kurs lässt sich so halten, die Abgrenzung zum Schmuddelkind sorgt für bürgerliche Selbstvergewisserung. Für die Partei unter Merz wäre es also ganz praktisch, wenn der Ex-Geheimdienstler das Ultimatum verstreichen ließe.

Für Deutschland und unsere Debatten bleibt Maaßen allerdings das, was er schon an der Spitze des Verfassungsschutzes war: eine Katastrophe.