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„Wir haben in der Baubranche eine hohe Korruptionsrate in der Türkei“

Mitten in der Nacht überraschte das erste Erdbeben die Menschen in der türkisch-syrischen Grenzregion. Verzweifelt rannten sie auf die Straße, versuchten, sich in Sicherheit zu bringen. Viele suchten mit bloßen Händen nach Verschütteten. Die Schäden sind enorm, die Zahl der Opfer steigt stündlich.

„Wie können wir helfen?“, fragte Louis Klamroth die Gäste seiner Sendung „Hart aber fair“. Eingeladen waren Wissenschaftsjournalist und Autor Ranga Yogeshwar und der Präsident des Technischen Hilfswerks (THW) Gerd Friedsam. Sie erklärten, wie solche Erdbeben einzuschätzen sind und welche ersten Hilfsmaßnahmen nun ergriffen werden.

Falah Elias, Reporter und Moderator beim WDR, sprach über die besonderen Schwierigkeiten in den syrischen Erdbebenregionen. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler führte aus, welche Hilfsmöglichkeiten die Politik hat, während Landwirtschaftsminister Cem Özdemir betonte, dass „schnelle Hilfe nun das Wichtigste“ sei. Die Co-Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, berichtete aus Ankara, wie sie den Montagmorgen in der Türkei erlebt hatte.

Wie es zu den Erdbeben in der türkisch-syrischen Region gekommen war, erklärte Wissenschaftsjournalist Yogeshwar direkt zu Beginn der Sendung: Es gebe „die anatolische Platte und die arabische Platte, und die reiben aneinander“, begann seine seismologische Exkursion. So entstünden „enorme Drücke“, die am Montag schlussendlich zu „einer Verschiebung auf mehreren Metern auf einer Strecke von 200 Kilometern“ geführt hätten. Das sei „eine Menge Energie, die da freigesetzt wird“, so Yogeshwar. Das Schlimme sei, dass es in der Region keine erdbebensicheren Häuser gegeben habe.

Für viele sei dies ein „trauriger Tag, weil viele Menschen gestorben sind“, berichtete der aus Syrien stammende Journalist Falah Elias. Teile seiner Familie lebten in den betroffenen Grenzregionen. Er habe sofort versucht, sie zu erreichen, aber „erst kam keine Reaktion von ihnen“. Dann erfuhr er, dass das Funknetz schwach sei. „Da hat man gezittert“, sagte Elias. Erst einige Stunden später habe er erfahren, dass es allen den Umständen entsprechend gut gehe.

Die betroffene Region in Syrien sei ein „Niemandsland“, schilderte Elias die spezielle Problematik auf syrischer Seite. Da diese Region „außerhalb der Kontrolle des Assad-Regimes“ sei, leisteten die „Weißhelme enorme Arbeit“ bei der Ersthilfe. „Bis jetzt haben sie keine Unterstützung aus dem Ausland bekommen“, bemängelte Elias.

72 Stunden nach dem Beben gebe es „reelle Chancen“

„Die Sicherheitslage ist im Moment so, dass ich nicht garantieren kann, dass die Sicherheit meiner Einsatzkräfte gewährleistet ist“, erwiderte THW-Chef Friedsam sein Dilemma. Er schlussfolgerte daraus, dass die Hilfe auf die Frage fokussiert werden müsse: „Wie kann man Kräfte, die vor Ort tätig sind, unterstützen mit Hilfslieferungen?“

Normalerweise, so Friedsam, gelte die Faustregel, dass man in den 72 Stunden nach dem Erdbeben „reelle Chancen“ habe, Menschen aus Trümmern zu retten. Es gebe aber auch Fälle, in denen man „nach fünf Tagen oder zwei Wochen“ noch Überlebende finde. „Die größte Hilfe, die im Moment vor Ort gefragt wird, ist Muskelkraft“, sagte er.

Die Linke-Politikerin Janine Wissler hatte den Montagmorgen in der türkischen Erdbebenregion miterlebt. Aus Ankara zugeschaltet berichtete sie von ihren Erfahrungen: Die Menschen, auf die sie getroffen sei, hätten ihr erzählt, so etwas „noch nie erlebt“ zu haben, „erstens in der Heftigkeit, zweitens in der Länge“. Das Wetter erschwere die Lage. „Es ist eiskalt, es schneit die ganze Zeit, das heißt also, es ist ein Wettlauf gegen die Zeit“, so Wissler. „Die Menschen werden nicht eine oder mehrere Nächte in den Trümmern überleben können“.

In der Türkei brauche es mehr „Einsicht, Neubauten wirklich erdbebensicher zu bauen und Altbauten nachzurüsten“, appellierte Yogeshwar mit Blick auf die Zukunft. „Wir haben in der Baubranche eine hohe Korruptionsrate in der Türkei“, sagte Güler. „Auf dem Papier mögen die Bauvorschriften erdbebensicher sein“, ob das in der Praxis auch so sei, zweifelte die Bundestagsabgeordnete aber an: „Da sind wir ganz schnell bei Baupfusch.“

Einen kleinen hoffnungsvollen Ausblick wagte Yogeshwar gegen Ende der Sendung: „Mobiltelefone“ seien eine Chance – mit Hilfe einer App können sie mit Bewegungssensoren kleine Ausschläge wahrnehmen. Daraus ließe sich eine „kurze, aber effektive Vorwarnzeit“ entwickeln. „Das ist nicht viel, aber es ist immerhin ein Schritt in die Richtung von ein bisschen mehr Vorwarnung“, sagte der Wissenschaftsjournalist.