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WM 2022: Deutschland schlägt Costa Rica: Millimeter und doch Meilen von der Weltspitze entfernt

Antonio Rüdiger sitzt nach dem WM-Rasen allein auf dem Rasen des Al-Bait-Stadions

Antonio Rüdiger sitzt nach dem WM-Rasen allein auf dem Rasen des Al-Bait-Stadions

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Dean Mouhtaropoulos / Getty Images

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Die kleinsten Unterschiede: Hätte der Platzwart im Chalifa-International-Stadion in Doha die Spielfeldbegrenzung eine Spur dünner gezogen, Fußball-Deutschland würde zur Stunde die Wiederauferstehung des eigenen Nationalteams bejubeln. Vielleicht würde der WM-Unmut in manchen Städten ersten Autokorsos weichen, Bundestrainer Hansi Flick dafür gelobt werden, seine Mannschaft von Spiel zu Spiel verbessert zu haben. Doch diese dicke, weiße Torauslinie im katarischen Nationalstadion erlaubte es Japans Kaoru Mitoma, den Ball für Ao Tanaka querzulegen. Tanaka, der in Deutschland zweitklassig bei Fortuna Düsseldorf spielt, schoss seine blauen Samurai zum Sensationssieg gegen Spanien (51. Minute) – und Deutschland im Fernduell aus dem Turnier.

Das Ergebnis: Die deutsche Mannschaft schaffte es trotz eines Rückstandes, Costa Rica 4:2 (1:0) zu besiegen. Doch aufgrund dieser Japaner, die erst das direkte Duell gewannen und nun auch noch den Topfavoriten Spanien bezwangen, steht unterm Strich doch das zweite Vorrundenaus bei einer WM in Folge. Ein deutsches Debakel. Hier geht es zum Spielbericht.

Einer gegen 80 Millionen: Der Job des Bundestrainers gestaltet sich zu WM-Zeiten doppelt schwer: Nicht nur muss man Aufstellung und Taktik an Gegner und Form der eigenen Spieler anpassen. Man darf sich auch nicht von den zahlreichen Stimmen aus der Heimat treiben lassen. Flick schien die öffentliche Debatte darum, wer denn nun für Niclas Füllkrug, den Helden des Spanien-Spiels, auf die Bank müsse, perfekt ausgeblendet zu haben: Der Bremer blieb Reservist.

Große Entscheidungen müssen manchmal allein getroffen werden, das weiß gewiss auch Hansi Flick

Foto: Christian Charisius / dpa

Ein bisschen Lahm muss sein: Und nicht nur das: Um Platz für Leroy Sané zu schaffen, wurde Joshua Kimmich kurzerhand zum Rechtsverteidiger in der Viererkette umfunktioniert. Im Nationalteam war das seit der Niederlage gegen Südkorea bei der WM 2018 nicht mehr vorgekommen. Es bleibt Kimmichs Los, wie einst Vorgänger Philipp Lahm sowohl zentral als auch rechts defensiv der beste Spieler zu sein, den Deutschland zur Verfügung hat.

Die Acht muss stehen: Es gab ihn ja, den Weg, wie Deutschland ohne spanische Schützenhilfe das Achtelfinale hätte klarmachen können. Nur wollte niemand über ihn reden, aus Respekt vor Costa Rica. Ein 8:0 gegen den Underdog aus Zentralamerika – und das Weiterkommen wäre gewiss gewesen. 15 Minuten lang ließ die DFB-Elf dieses Unterfangen denkbar erscheinen, mit Chancen im Minutentakt: Jamal Musiala (2. Minute), Thomas Müller per Flugkopfball (9.). Dann Serge Gnabry mit der Führung (10.), und sofort der Sprint mit Ball zur Mittellinie, als wollte der Bayern-Profi sagen: Kommt, Jungs, nur noch sieben Stück.

Rein mit dem Ball, dann Vollsprint zurück zum Anstoßpunkt: Serge Gnabry will nach seinem Tor keine Zeit verlieren

Foto: IMAGO/Markus Ulmer / IMAGO/Ulmer/Teamfoto

Immer wieder Musi angespielt: Zum notwendigen Scheibenschießen kam es nicht, und das, obwohl die DFB-Elf sich mühelos in die gefährlichen Räume spielte. Vor allem auf Jamal Musiala fand Costa Rica keinen Zugriff, immer wieder wurde der 19-Jährige zwischen den Linien gefunden. Nach 90 Minuten plus Nachspielzeit hatte Musiala zweimal den Pfosten getroffen, drei Torschüsse vorgelegt und 24 Mal im Strafraum den Ball am Fuß geführt – WM-Rekord seit Beginn der Datenerfassung 1966.

Die Slalom-Saison ist eröffnet: Jamal Musiala schlängelte sich immer wieder gewandt zwischen den Gegenspielern hindurch

Foto: KIRILL KUDRYAVTSEV / AFP

Neue Bestmarke: Und für noch einen Rekord sorgte ein DFB-Profi: Kapitän Manuel Neuer ist mit seinem 19. Einsatz bei einer Weltmeisterschaft nun offiziell WM-Rekordtorhüter. Ob für den 35-Jährigen in vier Jahren weitere Partien hinzukommen, ist offen. Eine Glanzleistung war der bis hierhin letzte Auftritt nicht: Einer starken Rettungstat gegen Keysher Fuller nach Fehlern von Antonio Rüdiger und David Raum (43.) stand eine schwache Abwehraktion vor der costa-ricanischen Führung entgegen, die die Fifa letztlich gar als Eigentor wertete (70.).

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Erst Japan 2.0... Ohnehin zeigten sich in der zweiten Hälfte gegen die Ticos Schwächen, die sich schon bei der Niederlage gegen Japan angedeutet hatten. Wie schon zum WM-Auftakt verlor die DFB-Elf nach der Herausnahme İlkay Gündoğans jedwede Spielkontrolle, der Viererkette fehlte mindestens ein Fixpunkt neben Antonio Rüdiger, in der Rückwärtsbewegung wirkte die deutsche Mannschaft unreif und verwundbar.

...dann Spanien 2.0: In der jetzigen Verfassung braucht das Team dringend einen Sturm, der im Stile von später Kai Havertz und dem wie gegen Spanien eingewechselten Füllkrug die vielen Chancen – 23 Abschlüsse pro Spiel sind mit Abstand der Top-Wert aller WM-Teilnehmer – auch verwerten. Denn: Eine turniertaugliche Defensive sieht anders aus.

Drei Tore, keine Hoffnung: Auch die Joker Kai Havertz und Niclas Füllkrug konnten das Fiasko nicht verhindern

Foto: Christian Charisius / dpa

Ein ganz normaler Donnerstag: Ganz nebenbei schrieb übrigens Stéphanie Frappart Fußballgeschichte, die Französin leitete als erste Frau ein Spiel bei einer Männer-WM. Die Beiläufigkeit dieser Leistung ist Frappart hoch anzurechnen: Sie bereitete dem Sport das Feld. Protagonistin wurde sie nur im Notfall, etwa um in einer Kabbelei zwischen Kai Havertz und Kendall Waston ein Machtwort zu sprechen (73.) oder in der Schlussphase, als sie den Videobeweis rund um Füllkrugs Tor zum 4:2 trotz defekter Funkverbindung souverän moderierte.

Unterschiedlichste Aufgaben: Japan bekommt es im Achtelfinale nun mit Kroatien zu tun, Spanien trifft im mediterranen Nachbarschaftsduell auf Marokko. Und Deutschland? Hat knapp zwei Jahre, um rechtzeitig zur Heim-Europameisterschaft wieder konkurrenzfähig zu sein. Dafür muss Flick »nur« einen zuverlässigen Torjäger auftreiben und auch einsetzen, die Viererkette grundlegend stabilisieren und dafür sorgen, dass die Mannschaft nicht stets sofort in sich zusammenbricht, sobald in Gündoğan einer der wenigen Weltklassespieler wegfällt. All das, so viel ist sicher, wird auch ohne die Einwände der übrigen 80 Millionen Bundestrainer kein leichtes Unterfangen.