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Wohnungsnot: „Lasst uns möglichst viel Wohnraum im Bestand schaffen“

Als „Wohnwendeökonom“ bezeichnet sich Daniel Fuhrhop. Im Interview kritisiert er den Fokus auf Neubauten im Koalitionsvertrag, der korrigiert werden müsse. Von der Wiederbelebung ländlicher Regionen hält er dagegen viel und hat auch schon ein paar Ideen

Daniel Fuhrhop ist Wirtschaftswissenschaftler, Autor und Berater. Er beschäftigt sich mit sozialem Wohnen, nachhaltigem Stadtwandel und lebenswerten Städten.

Daniel Fuhrhop ist Wirtschaftswissenschaftler, Autor und Berater. Er beschäftigt sich mit sozialem Wohnen, nachhaltigem Stadtwandel und lebenswerten Städten.

© PR

Als Wohnwendeökonom, wie Sie sich bezeichnen, setzen Sie sich für soziales und nachhaltiges Wohnen ein. Hat Sie der Vorschlag von Bauministerin Geywitz begeistert?
DANIEL FUHRHOP: Begeisterung wäre übertrieben. Nur mit einem Appell wird es nicht gelingen, Menschen zum Umzug aufs Land zu bewegen. Aber vielleicht ziehen weniger weg. Das würde schon helfen. Auf dem Land gibt es in der Tat viel Leerstand. Ob dieser aber auch genutzt wird, wenn der Bund das Land fördert, ist nicht gesagt. Leider wird auch sehr oft in schrumpfenden Orten neu gebaut, auch wenn man es nicht bräuchte.

Fangen wir von vorne an: Die Rede ist von 1,7 Millionen leerstehenden Wohnungen in Deutschland. Wie viele davon sind denn wirklich bewohnbar, bringt das was?
Die Gesamtzahl der leerstehenden Wohnungen schwankt über die Jahrzehnte und es ist sehr schwierig zu beurteilen, welche nun bezugsfertig sind und welche nicht. Die Definitionen verschiedener Institute, die das schätzen, sind nicht immer gleich. Aber Leerstand zu nutzen, ist zweifellos eine sinnvolle Lösung für die Probleme auf dem Wohnungsmarkt. Anstatt zu fragen, wie viel das bringt, kann man ja einfach mal anfangen, Erfolgsmodelle umzusetzen, die es bereits gibt.

Sie meinen Lockprogramme. Was wäre denn so eins?
Das Programm „Jung kauft Alt“ beispielsweise. Damit unterstützen Kommunen Personen, die in ein leerstehendes altes Haus ziehen. Dafür bekommen sie sechs Jahre lang jeden Monat Geld. Das Programm gibt es seit 15 Jahren und mittlerweile in über 100 Kommunen in Deutschland, unter anderem in Hiddenhausen bei Herford. Es wäre an der Zeit, so ein Fördermodell in ganz Deutschland auszurollen.

Auf dem Land fehlt es vielleicht nicht an Wohnraum, dafür aber an vielem anderen: Internet, Jobs, denn nicht alle können im Homeoffice arbeiten, Schulen, Kindergärten, Ärzte, Verkehrsanbindung. Können 790 Mio. Euro, die investiert werden sollen, das Leben auf dem Land wirklich attraktiver machen?
Die 790 Mio. Euro sind erst mal nur Mittel aus dem Programm für Städtebauförderung. Das ist schon mal nicht schlecht. Aber in der Tat ist da noch viel mehr Geld erforderlich, um zum Beispiel Bahnstrecken zu aktivieren, wie es ja auch der Städte- und Gemeindebund fordert. Was mir noch fehlt, ist der Ausbau von Radschnellwegen, denn es gibt viele kleinere Orte, nicht weit weg von boomenden Orten. Rund um Kopenhagen sind Orte im Umland mit 30 bis 40 Kilometer langen Radschnellwegen angebunden, vier Meter breit, kreuzungsfrei, beleuchtet und glatt! Das wäre in Berlin eine super Lösung. Denn je weiter man nach Brandenburg kommt, desto mehr Leerstand gibt es auch.

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Sie sind Berater für neue Wohnkonzepte. Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
Ich beschäftige mich damit, unsichtbaren Wohnraum, das heißt ungenutzte Zimmer oder Einliegerwohnungen nutzbar zu machen, und zwar auf dem Land und in der Stadt. Beispielsweise, wenn eine ältere Person allein in einem Haus lebt, weil die Kinder ausgezogen sind oder der Partner gestorben ist. Wichtig ist dabei, verschiedene Lösungen für unterschiedliche Wohnwünsche der Menschen anzubieten. Dabei arbeite ich mit dem Büro Nonconform zusammen. Die sind spezialisiert auf die Wiederbelebung von aussterbenden Orten und entwickeln vor Ort und mit der Bürgerschaft zusammen Ideen, die am besten passen.

Und was kostet so eine Beratung?
Das hängt von der Größe der Orte und der Projekte ab. Weitere Baugebiete zu entwickeln und neu zu bebauen in Gegenden, in denen die Preise bereits explodiert sind, ist immer die teurere Alternative.

Warum hat die Bundesregierung angekündigt, 400.000 Wohnungen neu zu bauen, ohne Altbestand und Leerstand bei Immobilien mit einzukalkulieren?
Ich nenne es einen Schreibfehler im Koalitionsvertrag. Hier heißt es, das Ziel sei der „Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr“. Es geht also ausschließlich um Neubau. Wenn das Statistische Bundesamt Zahlen vorlegt, geht es um Fertigstellungen von Wohnraum. Da ist dann zwar im Wesentlichen auch Neubau enthalten, aber etwas über ein Zehntel, rund 30.000 Einheiten im Jahr werden im Bestand fertiggestellt. Das heißt, in Altbauten durch den klassischen Umbau, den Ausbau eines Dachgeschosses oder auch das Aufstocken eines Hauses. Und das ist verrückterweise im Koalitionsvertrag nicht erwähnt. Mir fehlt, dass man sagt, lasst uns möglichst viel Wohnraum im Bestand schaffen. Das ist erheblich klimafreundlicher und obendrein flächenschonend. Das war von Anfang an ein Fehler.

Gibt es Anlaufstellen, wo ich mich beraten lassen kann, wenn ich offen bin für neue Wohnkonzepte?
Leider nicht in Berlin. In 30 anderen Städten gibt es aber „Wohnen für Hilfe“ zur Vermittlung von Wohnpartnerschaften von Jung und Alt. Da helfen jüngere Leute älteren beispielsweise beim Einkaufen. Dafür zahlen sie dann keine normale Miete, sondern beteiligen sich oft nur an den Kosten. Gut funktionieren diese Agenturen in Freiburg, Köln und München, noch viel besser aber in Belgien, Frankreich, Großbritannien. In Brüssel werden jährlich 350 junge Leute mit älteren Menschen zusammengebracht. Auf Berlin übertragen, hätten wir schätzungsweise 1000 dieser Wohnpartnerschaften, in ganz Deutschland wären 30.000 pro Jahr möglich.

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Haben Sie weitere Beispiele, wie man die vorhandenen Strukturen besser nutzen und ländliche Regionen fördern könnte?
Ich habe zwei Hände voll: Von 1971 bis 1994 gab es in West-Berlin die Berlin-Zulage. Arbeitnehmer erhielten acht Prozent vom Bruttolohn obendrauf. Wenn wir schrumpfende Orte gezielt mit so einer „Wohnen in der Pampa“-Zulage für acht oder zehn Jahre fördern würden, wäre das gut. Dann gibt es noch die sogenannten Willkommens- oder Rückkehragenturen. Im Harz oder in der Uckermark wird gezielt denjenigen geholfen, die aus der Gegend stammen, dann weggezogen sind und jetzt überlegen, zurückzukehren. Das ist eine gute Idee, weil es extrem schwierig ist, Menschen zum Umzug in eine schrumpfende Region zu bewegen. Wer eine persönliche Verbindung zu einem Ort hat, kommt eher zurück. Rückkehrer sollten am besten auch gleich eine finanzielle Starthilfe für Gründungen erhalten.

Warum liegen solche Initiativen gewissermaßen im toten Winkel der Betrachter?
Es ist nicht so, dass die Politik nicht sehen würde, was bisher nicht funktioniert hat. Wir wissen, dass Bauen teuer und nicht gut fürs Klima ist. Aber wir haben eine jahrzehntelange Tradition, im Zweifel immer das nächste Baugebiet auszuweisen. Umzuschalten, eine Struktur zu entwickeln, die den Bestand unterstützt und bestimmte Gegenden und Altbauten wiederbelebt, das erfordert ein Umdenken im Kopf aller Beteiligten in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Das braucht Zeit.

Das Interview ist zuerst auf ntv.de erschienen

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