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Würzburger Fries-Chronik: Der alte Krimi über Frankens Bischöfe - und eine erstaunlich neue Kopie

In seiner Stimme liegt Erstaunen, Stolz und Freude: "Wir haben gleich erkannt, was es ist", sagt Dr. Hans-Günter Schmidt. Zwei Mal im Jahr gehen der Direktor der Würzburger Universitätsbibliothek und sein Team die Kataloge der großen Antiquariate und Auktionshäuser durch. Und schauen, was angeboten wird an alten Stücken. Welche kleineren und größeren bibliophilen Schätze sind zu haben, kursieren in der Szene?

Als Schmidt vor zwei Jahren diesen einen Katalogeintrag entdeckte, war für ihn klar: "Diese Handschrift müssen wir haben!" Die Chronik von Lorenz Fries, das große und bedeutendste Werk seiner Zeit aus und über Würzburg, in einer Handschrift aus dem 18. Jahrhundert. "Das ist eigenartig", sagt Schmidt. Denn, 18. Jahrhundert? Eine Handschrift aus der Zeit, als der Buchdruck längst erfunden und auch die Fries-Chronik schon gedruckt war?

Aus dem Jahr 1713 stammt die erste Druckausgabe der großen Würzburger Bischofschronik. Warum also sollte Jahrzehnte später dieses Werk noch aufwendig von Hand abgeschrieben und üppig illustriert werden? Dass die Universitätsbibliothek Würzburg diese wohl jüngste bekannte Handschrift der Bischofschronik haben sollte – für den Direktor keine Frage.

"Richtig gute Geschichten, szenisch wie ein Drehbuch: Kaiser, Bischof und viel Crime."

Kerstin Kornhoff, Bibliothekarin in der Direktion der UB Würzburg

Denn es ist nicht irgendein Werk. Sondern, wie Bibliothekarin Kerstin Kornhoff von der UB-Direktion mit Augenzwinkern sagt: "Crime! Nicht nur bloße Politik, ein richtiges Drehbuch." Angefangen mit der brutalen Geschichte um Kilian und Gailana. Und über Jahrhunderte eben "das" zentrale Werk über und aus Würzburg.

Wie hatte Lorenz Fries, 1489 in Mergentheim geboren, Sekretär, Archivar und Rat dreier Fürstbischöfe im 16. Jahrhundert "zu dem leser vermanung" zu Beginn seiner opulenten Geschichte geschrieben: "Ain wergk schlecht, ungeschmucket, taub, schal, losz, blosz, elck, lam, treg, zag, dünckel, hincket, zerstücket".

Schiere Untertreibung und plakative "Bescheidenheit", sagt Historiker und Handschriftenspezialist Hans-Günter Schmidt. Was Geschichtsschreiber Lorenz Fries da zusammengetragen und verfasst hatte, wurde zum Standard und "Pflichtstoff" für alle, die der Oberschicht angehörten und in der Domstadt etwas auf sich hielten.

"Unser Bild vom Mittelalter in und um Würzburg ist noch heute geprägt von der Bischofschronik mit ihren vielen pittoresken Illustrationen", sagt Schmidt. Als Kanzleivorstand war Fries für die fürstbischöflichen Archivbestände zuständig gewesen und hatte seine Aufgaben als Diplomat mit der Arbeit als Chronist verknüpft, die ihm am Herzen lag. Sein Werk, das von Kilian und den Anfängen des Christentums in Franken bis 1495 reichte und alle dramatischen Episoden umfasste: "Hoher literarischer Anspruch, aber in deutscher Sprache, verständlich verfasst", sagt Schmidt. Und dazu detailliert mit farbigen Szenen bebildert – ein Werk für die privaten Bibliotheken der wohlhabenden Bürgerschaft.

Und der historischen Forschung galt Fries bis tief ins 20. Jahrhundert als die maßgebliche und wertvolle erzählende Quelle zur Geschichte Frankens und des Hochstifts. Auf Anordnung von Fürstbischof Konrad von Bibra war die Chronik in nur drei Exemplaren angefertigt worden. Die Handschrift für den Bischof sollte schon 1572 mitsamt der Hofbibliothek auf der in Flammen stehenden Festung Marienberg verbrennen.

Erhalten blieb die mit 176 Miniaturen vom Würzburger Maler Martin Seger illustrierte Originalhandschrift, die heute im Stadtarchiv (als Ratsbuch 412) verwahrt wird. Und dann gibt es die von Julius Echter 1574 in Auftrag gegebene, bis 1584 angefertigte Abschrift mit 171 meist kolorierten Federzeichnungen sowie 181 Wappen. Diese Prachthandschrift ist seit 1987 im Besitz der Würzburger Universität – und gehütet in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek, gesichert in einem Extratresor im Tresorraum.

"Die Leute haben das gern gehabt, die Fries-Chronik hatte eine besondere Qualität."

Dr. Hans-Günter Schmidt, Direktor der Unibibliothek Würzburg

"Bis in die jüngste Vergangenheit ist die Fries-Chronik in den unterschiedlichsten Versionen fortgeführt, verkürzt, neu komponiert, illuminiert, nachgedruckt, um- und überschrieben worden", sagt Schmidt. Auch, weil es eben "so gute Geschichten" sind, wie Kerstin Kornhoff sagt. Wie breit der Traditionsstrom war, macht die jetzt im Antiquariatshandel aufgespürte Bilder-Handschrift aus der Mitte des 18. Jahrhunderts deutlich, die ein Würzburger Domherr für sich hatte fertigen lassen: Obwohl der Chronik-Text schon längst im Druck erschienen war, gehörte eine handgeschriebene Chronik in traditioneller Form wohl noch immer zum guten Ton. Volksnah, spannend, auch blutrünstig – "die Leute haben das gern gehabt".

Mit 10.000 Euro Schätzwert kam die Handschrift zur Auktion. Die Unibibliothek musste mitbieten bis zur Schmerzgrenze – und ersteigerte die überraschende Fries-Kopie schließlich. "Für einen niedrigen fünfstelligen Betrag", sagt Hans-Günter Schmidt – stolz wie erleichtert.

Veranstaltungs-Tipp:  "Wer schreibt, der bleibt – die bunte Welt der Würzburger Fries-Chronik(en) ganz nah" – Bei einer Sonderführung in der Würzburger Unibibliothek am Donnerstag, 8. Dezember, um 18 Uhr kann man die kostbaren Handschriften aus der Nähe betrachten. Die Teilnahme ist kostenlos, Anmeldung online unter bibliothek.uni-wuerzburg.de