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Zu hohe Klimaziele? Gebäude-Sanierung nach Plan würde drei Billionen Euro kosten

Auf die Hausbesitzer und Mieter in Deutschland rollt eine gewaltige Kostenlawine zu. Wenn die Klimaschutzziele für den Gebäudesektor bis 2030 und 2045 tatsächlich erreicht werden sollen, müssen enorme Finanzmittel investiert werden, für mehr Effizienz, neue Heizungen, Energieerzeugung und Speicher. Die Beratungsgesellschaft EY schätzt in einer aktuellen Analyse die notwendigen Sanierungskosten allein bei Wohngebäuden auf drei Billionen Euro.

Das entspricht 88 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts der Bundesrepublik im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. „Nur ein kleiner Teil des Gebäudebestands ist in den letzten 20 Jahren voll modernisiert worden und entspricht damit den Ansprüchen, die ab 2030 oder sogar bis 2045 gelten sollen“, sagt Jan Ohligs, Partner und Immobilien-Finanzierungsspezialist bei EY. „Wir schätzen deshalb, dass etwa 80 Prozent aller Gebäude noch einmal saniert werden müssen.“

Der Betrag von 3000 Milliarden Euro sei dabei sogar noch „sehr konservativ“ geschätzt. Die EY-Experten haben für die Analyse, die WELT vorliegt, die generellen bekannten Kosten für eine Modernisierung im Wohnungssektor überschlagen. Heute üblich sind Beträge zwischen 800 und 1500 Euro pro Quadratmeter für neue Fenster, Dächer, Fassadendämmung und eventuell eine neue Heizung. Aufwendige Anlagentechnik für besonders niedrige Effizienzklassen wie etwa Wärmerückgewinnung oder Niedrigtemperaturheizungen sind in dieser Schätzung nicht einmal enthalten.

EY legt einen Kostendurchschnitt von 1000 Euro pro Quadratmeter zugrunde, für eine durchschnittliche Wohnungsgröße von 65 Quadratmetern. Bei rund 3,2 Millionen Mehrfamilienhäusern in Deutschland sowie knapp 16 Millionen Ein- und Zweifamilienhäusern mit insgesamt gut 43 Millionen Wohneinheiten entsteht so ein vierstelliger Milliardenbetrag. Sollten die Bau- und Materialkosten aber weiter steigen und die Vorgaben des Gesetzgebers für eine energetische Sanierung im Bestand noch strenger werden, könnten auch mehr als drei Billionen Euro fällig werden.

Die Klimaziele im Gebäudesektor sind ehrgeizig. 1990 machten die Treibhausgasemissionen von Gebäuden noch 210 Millionen Tonnen aus. Bis 2018 sank dieser Wert auf rund 120 Millionen Tonnen. 2030 sollen es 72 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente sein. Das sieht auf den ersten Blick nach einer lösbaren Aufgabe aus. Doch die Geschwindigkeit der CO₂-Reduktion nimmt ab. Denn viele Häuser sind, wie EY-Experte Ohligs unterstellt, schon mindestens einmal energetisch saniert worden, und die größten Einspareffekte wurden bereits erzielt.

Quelle: Infografik WELT

Im vergangenen Jahr wurde dem Gebäudesektor – inklusive Gewerbe- und Industriebauten – noch eine Emissionsmenge von 115 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten zugeschrieben. Der Rückgang um fünf Millionen gegenüber dem Vorjahr ist laut Umweltbundesamt allerdings nicht den weiterhin fleißig sanierenden Hauseigentümern, sondern einem Sondereffekt zuzuschreiben: Die Besitzer von Ölheizungen hätten wegen besonders günstiger Preise und in Erwartung des neuen Brennstoffemissionshandelsgesetzes ihre Tanks bereits 2019 und 2020 reichlich gefüllt.

2021 hielten sie sich dann zurück, was sich positiv in der Statistik niederschlägt. Ersparnisse durch Sanierung oder geändertes Nutzerverhalten waren demzufolge zu vernachlässigen. Vielmehr sei der Gasverbrauch wegen kälterer Witterung sogar gestiegen, im Vergleich zu 2020.

Immer geringerer CO₂-Einspareffekt – trotz höherer Sanierungskosten

Dass immer höheren Sanierungskosten ein im Verhältnis dazu immer geringerer CO₂-Einspareffekt gegenübersteht, lässt auch eine weitere Statistik vermuten, die allerdings bereits etwas älter ist: Laut dem Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) flossen von 2010 bis 2018 rund 342 Milliarden Euro in energetische Modernisierungsmaßnahmen in Deutschland – also etwa ein Zehntel dessen, was EY für die nächsten Jahre als notwendig erachtet.

Im gleichen Zeitraum stellte der GdW jedoch fest, dass der gemessene Raumwärmeverbrauch der privaten Haushalte kaum zurückging: 2010 hätten die Deutschen im Schnitt 130 Kilowattstunden (kWh) Wärmeenergie pro Quadratmeter und Jahr verbraucht. Acht Jahre später waren es immer noch 130 kWh.

Die Zahlen gingen unter anderem auf Erhebungen des Bundeswirtschaftsministeriums sowie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zurück – und dürften sich auch bis heute nicht grundlegend geändert haben.

Quelle: Infografik WELT

Zwar sollte der Anteil der nachhaltig erzeugten Wärmeenergie gestiegen sein, etwa durch Fotovoltaik und Wärmpumpen, was in dieser Erhebung nicht untersucht wurde. Das wiederum dürfte die CO₂-Bilanz aufgebessert haben. Doch wenn der Energieverbrauch selbst weiter gesenkt werden soll, sind enorme Anstrengungen nötig. „Das Sanierungstempo muss deutlich erhöht werden, von gegenwärtig etwa einem Prozent auf drei Prozent pro Jahr“, sagt EY-Partner Ohligs unter Berufung auf eine Schätzung des Fraunhofer-Instituts.

Das Ende Juni geänderte Gebäude-Energiegesetz (GEG) macht strenge Vorgaben für Sanierungen im Bestand. Wer beispielsweise eine Fassade erneuert, muss für einen sehr niedrigen Wärmedurchgangswert von 0,24 pro Quadratmeter sorgen, was in älteren Gebäuden nur mit einer dicken Dämmschicht erreicht werden kann.

Gleichzeitig wurde jedoch die Sanierungs-Förderung zurückgefahren, die umfangreichsten KfW-Programme etwa wurden gestrichen. Zuschüsse für einzelne Maßnahmen gibt es beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), auch hier wurden die Fördersätze allerdings im Sommer gekürzt. Für das kommende Jahr arbeitet die Bundesregierung an neuen Förderprogrammen.

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