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81 Jahre lang im Verkauf: Die Zwillingsschwestern «chrämerle» fürs Leben gern

81 Jahre lang im VerkaufDie Zwillingsschwestern «chrämerle» fürs Leben gern

Sie arbeiten als Coop-Verkäuferinnen und sind mit Eifer bei der Sache. Kritik an der Tieflohnbranche Detailhandel? Sie ist Esther und Ruth Hofer fremd. 

Die eine bringt es auf 40, die andere gar auf 41 Jahre: Esther (links) und Ruth Hofer in der Coop-Filiale Konolfingen.

Die eine bringt es auf 40, die andere gar auf 41 Jahre: Esther (links) und Ruth Hofer in der Coop-Filiale Konolfingen.

Foto: Raphael Moser

Wenn die Zwillingsschwestern Ruth und Esther Hofer mit ihrem Krämerladen spielten, waren ihre Rollen stets klar verteilt. Die kleine Ruth verkaufte, die kleine Esther kaufte ein – «ich habe fürs Leben gern ‹gchrämerlet›», erinnert sich Ruth Hofer an ihre Kindheit in Stalden bei Konolfingen. Sie strahlt.

Mittlerweile hat auch Esther Hofer das «Chrämerle» entdeckt. Und wie, heuer feiert sie ihr 40-Jahr-Jubiläum als Verkäuferin bei Coop. Zusammen mit ihrer Schwester bringt sie es auf eine Zahl, die im Detailhandel nur selten anzutreffen ist: Die zwei 58-jährigen Frauen halten dem Grossverteiler seit 81 Jahren die Treue.

Denn Ruth Hofer steht noch ein Jahr länger in den Diensten des Konzerns, sie «chrämerlet» seit 41 Jahren bei Coop. Was die beiden so lange in der Branche hält? «Es gefällt uns einfach», tönt es wie aus der Kanone geschossen von beiden gleichzeitig.

Die Branche hat Probleme

Erstaunlich eigentlich für eine Branche, die als nicht sonderlich attraktiv gilt. Tiefe Löhne bei gleichzeitig hohen Anforderungen an die Flexibilität für Abend- und Wochenendeinsätze sowie nicht zuletzt auch an die körperliche Fitness prägen das Image, das dem Verkauf schon lange zu schaffen macht.

Die Zeit von Corona habe der Bevölkerung zwar vor Augen geführt, wie wertvoll die Arbeit im Detailhandel sei, sagt die Gewerkschaft Unia dazu. Trotzdem sei es schwierig, gute und motivierte Schülerinnen und Schüler für eine Lehre im Verkauf zu begeistern. Erschwerend komme dazu, dass gerade jüngere Berufsleute die Pandemie für eine Neuorientierung genutzt hätten und der Branche nun fehlten.

Den Coop-Verantwortlichen hält die Gewerkschaft zugute, dass sie einen Gesamtarbeitsvertrag abgeschlossen haben. Das führt zu Löhnen, die über dem Durchschnitt liegen – und weckt bei den langjährigen und qualifizierten Angestellten eine Loyalität, die ebenfalls über dem Durchschnitt liegt.

Die Jahre sind verflogen

Auch bei Ruth und Esther Hofer, den beiden Zwillingsschwestern aus Stalden, ist eine tiefe Verbundenheit zur Arbeit und zum Unternehmen zu spüren. «Die Jahre sind nur so verflogen», schwärmt Ruth Hofer. Die Arbeit bringe viel Abwechslung, mal sitze man an der Kasse, mal sei man im Rayon tätig. «Mir liegt viel daran, die Ware schön zu präsentieren. Und wenn es dann gut läuft, freue ich mich.»

«In einem Büro hätte ich nicht arbeiten können, das wäre mir zu langweilig gewesen.»

Ruth Hofer

Die Schulzeit jedenfalls sei ihr viel länger vorgekommen. Und nein, «in einem Büro hätte ich nicht arbeiten können, das wäre mir zu langweilig gewesen» – wieder zeigt sich, wie sehr Ruth Hofer das «Chrämerle» im Blut liegt.

Bei Esther Hofer lief es etwas anders. Als sie 1981 aus der Schule kam, hätte sie gern als Damenschneiderin oder vielleicht auch als Floristin gearbeitet. Doch heute, betont sie, mache der Verkauf auch ihr viel Freude. «Ich berate sehr gern.»

Die Mutter telefonierte

Dass Esther Hofer ihr Arbeitsjubiläum später feiert als ihre Schwester, hat just mit ihren Berufswünschen zu tun. Zuerst liebäugelte sie tatsächlich mit dem Schneiderhandwerk, hatte gar eine Stelle in Zürich in Aussicht. Doch dann kam ihr in die Quere, dass sie so klein gewachsen ist. «Für meinen Vater kam es nicht infrage, mich allein in die Stadt zu schicken.»

Also begann sie in einer Mercerie in Utzenstorf zu arbeiten, wo sie Nähutensilien und Stoffe wenigstens verkaufen konnte. Nach einem Jahr wurde die Chefin krank, unvermittelt war der Job in Gefahr. «Nun gehe halt auch ich zu Coop», dachte sie. Ihre Mutter rief beim Grossverteiler an, und sie konnte anfangen.

Ruth Hofer (rechts) hat schon als Kind leidenschaftlich gern «gchrämerlet». Esther Hofer musste dann die Kundin spielen.

Ruth Hofer (rechts) hat schon als Kind leidenschaftlich gern «gchrämerlet». Esther Hofer musste dann die Kundin spielen.

Foto: Raphael Moser

Ruth Hofer arbeitete damals schon ein Jahr beim Grossverteiler. Auch bei ihr hatte die Mutter den Kontakt hergestellt. «Ich wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und ging gleich mit einem Arbeitsvertrag heim», erinnert sie sich. Ob eine Lehre für die beiden kein Thema war? «Bei uns war das damals nicht Brauch.»

Zwillinge waren unerwünscht

Dass den beiden wohl im Beruf ist, hat viel mit dem Umfeld zu tun, in dem sie arbeiten. Seit Jahr und Tag sind sie zu je 60 Prozent im Coop Konolfingen angestellt, dort also, wo sie aufgewachsen sind. Man kennt und grüsst sich, regelmässig wechselt man im Geschäft auch ein paar Worte. «Die Leute schätzen das», sagen Ruth und Esther Hofer einmütig – und lassen keinen Zweifel offen, dass es ihnen genau gleich ergeht.

«Wir sind hier halt noch auf dem Land», fährt Esther Hofer fort, wohl wissend, dass es näher an der Stadt ganz anders sein kann. Anders als ihre Schwester, die stets in Konolfingen tätig war, pendelte sie die ersten 13 Jahre in die Filiale Gümligen. «Die Kunden kauften einfach ein und gingen wieder.» Der Kontakt sei viel lockerer gewesen.

«Noch heute kommt es vor, dass jemand mich anspricht und meine Schwester meint.»

Esther Hofer

Ruth und Esther Hofer fingen nicht von ungefähr an verschiedenen Orten an. Damals kam es nicht infrage, eineiige Zwillinge in der gleichen Filiale arbeiten zu lassen. Zu gross schien die Verwechslungsgefahr. Und tatsächlich: «Noch heute kommt es vor, dass jemand mich anspricht und meine Schwester meint», sagt Esther Hofer. «Dabei trage ich doch mittlerweile eine Brille», ergänzt Ruth Hofer – die beiden lachen. 

Die Pensionierung naht

Tiefe Löhne? Flexible Einsätze? Körperliche Anstrengung? Für Ruth und Esther Hofer sind all die Themen, die der Branche so zu schaffen machen, kein Thema. Gerade den letzten Punkt gehen die beiden ganz praktisch an: «Wenn ich mit einer Kollegin Ware einräume, übernehme ich die unteren Regale und sie die oberen», erklärt Ruth Hofer, die genauso klein gewachsen ist wie ihre Schwester. «Und sonst hole ich mir halt eine Leiter.»

Genauso gelassen nehmen die beiden die Veränderungen im Berufsalltag. Dass die Kundschaft von heute bewusster einkauft, halten sie einfach fest, und dass Selfscanner einen Teil ihrer Arbeit an der Kasse übernommen haben, stört sie auch nicht weiter. Wichtig ist ihnen, dass es im Team stimmt – dann, so sagen sie, werden sie die paar Jahre bis zur Pensionierung wohl im Coop Konolfingen bleiben.

Eine wichtige Rolle im Leben der Zwillingsschwestern spielt das elterliche Bauernhaus mit seinem Garten, wo auch ihr Bruder, ihr Hund und ihre Kaninchen daheim sind. Ihre Freizeit widmen die beiden zu einem schönen Teil dem Schwingen, ein paar Schwinger kennen sie sogar persönlich. Der eine oder andere kaufe auch schon mal im Coop Konolfingen ein, sagen sie. Und lachen erneut.

Stephan Künzi ist Journalist und Redaktor und als solcher seit über dreissig Jahren im Kanton Bern unterwegs. Er schreibt über alles, was die Leserinnen und Leser im Alltag bewegt. Sein besonderes Interesse gilt dem öffentlichen Verkehr.Mehr Infos

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