Switzerland
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

Abstimmung über Annexion: Scheinreferenden für beendet erklärt – mehr als 90 Prozent «Ja»-Stimmen

Abstimmung über AnnexionScheinreferenden für beendet erklärt – mehr als 90 Prozent «Ja»-Stimmen

Nach Angaben der russischen Wahlkommission zeichent sich eine deutliche Zustimmung für eine Annexion durch Moskau ab. Die EU hat bereits Sanktionen in der Mache.

Wählerinnen in Donezk verlassen nach der Stimmabgabe die Wahlkabinen.

Wählerinnen in Donezk verlassen nach der Stimmabgabe die Wahlkabinen.

Foto: AP

Die russischen Besatzer haben die Scheinreferenden in mehreren ukrainischen Gebieten für beendet erklärt und erste Ergebnisse der völkerrechtswidrigen Abstimmungen präsentiert.

Nach Auszählung erster Stimmzettel in Wahllokalen in Russland hätten jeweils mehr als 97 Prozent der aus den Gebieten Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja stammenden Wähler für einen Beitritt ihrer Heimatregionen zu Russland gestimmt, meldeten russische Agenturen am Dienstag.

Aus Wahllokalen in den besetzten Gebieten selbst gab es zunächst keine Angaben. Zur Stimmabgabe aufgerufen waren seit vergangenem Freitag auch ukrainische Flüchtlinge in Russland. Damit dürfte noch in dieser Woche eine beispiellose Annexionswelle beginnen.

Zwang zum Urnengang

Die Scheinreferenden werden weltweit nicht anerkannt, weil sie unter Verletzung ukrainischer und internationaler Gesetze und ohne demokratische Mindeststandards abgehalten werden. Beobachter hatten in den vergangenen Tagen auf zahlreiche Fälle hingewiesen, in denen die ukrainischen Bewohner der besetzten Gebiete zum Urnengang gezwungen wurden.

In einem nächsten Schritt wird erwartet, dass die von Moskau eingesetzten Besatzungsverwaltungen offiziell bei Kremlchef Wladimir Putin die Aufnahme in russisches Staatsgebiet beantragen. Der Kreml hatte mitgeteilt, dass dies schnell geschehen könnte. Putin hatte vor Beginn der Scheinreferenden betont, dass die Gebiete danach komplett unter dem Schutz der Atommacht Russland stünden.

EU hat Sanktionen schon in der Mache

Kiew wird sich von den Referenden nach eigenen Angaben nicht beeinflussen lassen. «Diese Massnahmen, diese Entscheidungen von Putin werden keinen Einfluss auf die Politik, Diplomatie und das Handeln der Ukraine auf dem Schlachtfeld haben», sagte Kiews Aussenminister Dmytro Kuleba am Dienstag auf einer Pressekonferenz.

Die Europäische Union hat weitere Sanktionen bereits in Vorbereitung. «Wenn Russland diese illegalen Referenden durchführt, werden Sanktionen der Europäischen Union folgen, mit der vollen Unterstützung meines Landes», sagte Frankreichs Aussenministerin Catherine Colonna am Dienstag bei einem Besuch in Kiew. «Diese Sanktionen werden wie die vorangegangenen in einem europäischen Rahmen getroffen.»

«Wir haben bereits ohne das Ende dieser Pseudoreferenden abzuwarten die Arbeit unter Europäern aufgenommen, die Konsultationen sind im Gange, um so schnell wie möglich zu einer neuen Serie von Sanktionen zu kommen», sagte Colonna nach Beratungen mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba. «Diese werden einerseits individuell sein, um die Verantwortlichen dieser illegalen Operationen ins Visier zu nehmen und betreffen zweifellos andere Sektoren, die bisher noch nicht von Sanktionen betroffen waren und die dies nun sein werden.»

Am Dienstag hatte Grossbritannien bereits weitere Sanktionen als Reaktion auf die Referenden angekündigt, die an ihrer Durchführung beteiligte Funktionäre sowie weitere Oligarchen treffen sollen. Die USA hatten am Freitag schon für den Fall einer Annexion der besetzten Gebiete in der Ukraine mit Wirtschaftssanktionen gedroht.

Diplomatenkreise: Selenski-Rede vor UNO-Sicherheitsrat erwartet

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski soll an diesem Dienstag bei einer Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrats zu den russischen Scheinreferenden in seinem Land sprechen. Diplomatenkreise bestätigten der Deutschen Presse-Agentur, dass Selenskis Ansprache von der ukrainischen UNO-Vertretung beantragt wurde. Es werde erwartet, dass Russland die Videobotschaft mit einer Abstimmung verhindern wolle.

Der ukrainische Präsident soll sich an einer Sondersitzung zur aktuellen Lage äussern.

Der ukrainische Präsident soll sich an einer Sondersitzung zur aktuellen Lage äussern.

Foto: Ukrainisches Präsidialamt (AP)

In ähnlichen Situationen war Moskau damit zuletzt vor dem mächtigsten UN=-Gremium gescheitert. Bei solchen sogenannten prozeduralen Abstimmungen haben ständige Mitglieder kein Vetorecht, sondern brauchen eine Mehrheit von 9 der 15 Stimmen der Ratsmitglieder. Die Sitzung ist für 21 Uhr (MEZ) geplant.  UNO-Generalsekretär António Guterres hatte eine mögliche Annexion der Gebiete zuletzt als Verletzung des Völkerrechts bezeichnet.

Kreml schwingt die Atom-Keule

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte am Dienstag, nach den Abstimmungen «wird sich die Situation aus rechtlicher Sicht radikal ändern, aus Sicht des Völkerrechts, mit allen damit einhergehenden Konsequenzen für den Schutz dieser Gebiete und der Gewährleistung ihrer Sicherheit». Putin hatte seit der letzten Woche versucht, den Druck weiter zu erhöhen, indem er über die Möglichkeit eines russischen Atomwaffenangriffs sprach.

Diese Position bekräftigte der Vizevorsitzende des russischen Sicherheitsrats, Ex-Präsident Dmitri Medwedew, am Dienstag – und spekulierte mit Blick auf die Versuche der Ukraine, von Russland besetzte Territorien zurückzuerobern, unverblümt über den Einsatz von Atomwaffen gegen das Land. Die USA und ihre Nato-Verbündeten verstünden, dass «wenn eine Bedrohung für Russland eine bestimmte Gefahrengrenze überschreitet, wir reagieren müssen werden, ohne Irgendjemandes Zustimmung einzuholen und lange Konsultationen abzuhalten». Dies sei «sicherlich kein Bluff», fügte er hinzu.

Die USA und ihre Nato-Verbündeten würden es nicht wagen, im Falle eines Atomschlags gegen die Ukraine auch Russland atomar anzugreifen, sagte er. Der nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, hatte Russland im Fernsehsender NBC für den Fall eines Atomwaffeneinsatzes in der Ukraine mit «katastrophalen Konsequenzen» gedroht. Zugleich sehen die USA die Nukleardrohungen des Kreml als Strategie an, Angst zu verbreiten.

Die fünftägigen Abstimmungen in den Donbass-Regionen Donezk und Luhansk sowie in Cherson und Saporischschja verliefen unterdessen alles andere als frei und fair. Zehntausende Einwohner sind aus den Regionen wegen des Kriegs bereits geflüchtet. Aufnahmen von jenen, die geblieben sind, zeigten bewaffnete russische Soldaten, die von Tür zu Tür gingen, um Druck auf Ukrainer auszuüben, abzustimmen. Am Dienstag war dies an fest eingerichteten Wahllokalen möglich.

Wie es nun weitergehen könnte

Nach den Referenden über einen Anschluss an Russland in vier von Moskau kontrollierten Gebieten in der Ukraine könnte die Annexion bereits Ende der Woche verkündet werden. So soll der Anschluss russischen Medien zufolge ablaufen:

SCHNELLE ERGEBNISSE:  Obwohl es sich nach Ansicht westlicher Länder um blosse Scheinreferenden handelt, versucht der Kreml den Anschein einer echten Abstimmung zu wahren. Daher ist eine gewisse Zeit für die Auszählung der Stimmen angesetzt. Nach Ende der Abstimmung am Dienstag wird erwartet, dass die von Moskau eingesetzten «Wahlkommissionen» in den vier Gebieten frühestens am Dienstagabend oder in den darauffolgenden Tagen «vorläufige Ergebnisse» bekannt geben.

SONDERSITZUNG DES PARLAMENTS: Sollten die «Ja»-Stimmen laut offiziellem Ergebnis überwiegen – woran kein Zweifel besteht -, wird das russische Parlament über den Vertrag zur Aufnahme der Regionen in das russische Staatsgebiet abstimmen. Ein entsprechender Gesetzentwurf könnte der Duma bereits am Dienstagabend vorgelegt werden, berichteten die russischen Nachrichtenagenturen TASS und RIA Nowosti unter Berufung auf Parlamentsquellen.

Am Mittwoch könnte er demnach in einer Sondersitzung verabschiedet werden. Anschliessend muss das Oberhaus des Parlaments, der Föderationsrat, noch seine Zustimmung geben. Eine Formalität, die laut russischen Agenturen am Mittwoch oder Donnerstag vollzogen werden könnte.

VERKÜNDUNG DURCH DEN PRÄSIDENTEN: Nach Abschluss des parlamentarischen Verfahrens könnte Präsident Wladimir Putin möglicherweise schon am Freitag in einer Rede die Annexion der vier ukrainischen Gebiete verkünden. Einige Medien berichten von einer geplanten Rede vor den im Kreml versammelten Parlamentariern, andere von einer Ansprache vor einer der beiden Parlamentskammern. Laut TASS wurden die Senatoren aufgefordert, in Vorbereitung auf ein «wichtiges Ereignis» am Freitag drei Corona-Tests zu machen – eine Vorsichtsmassnahme, die für alle gilt, die Putin treffen.

Auch ein früherer Auftritt des Präsidenten ist nicht ausgeschlossen. 2014 hatte Putin nur zwei Tage nach dem «Referendum» auf der besetzten Krim bei einer Zeremonie im Kreml den Annexionsvertrag unterzeichnet – noch vor der Abstimmung des Parlaments.

AFP/SDA

Fehler gefunden? Jetzt melden.