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Das Ende einer Reise – Rafael Nadal: «Mit Federer geht ein Teil meines Lebens»

Weshalb Roger Federer mit seinem Abschied das Ende einer goldenen Ära im Männertennis einläutet. Welche Bedeutung der Schweizer für seinen früheren Rivalen Nadal und die nächste Generation hat.

Simon Häring, London / ch media

Ein Abschied mit Tränen.

Ein Abschied mit Tränen.Bild: keystone

Wer hätte gedacht, dass Sportler für ihre Rivalen, ihre erbittertsten Feinde in den grössten Arenen der Welt, ihre Kontrahenten um Ruhm und Ehre, Widersacher um die Zuneigung des Publikums so füreinander empfinden können, wie es Roger Federer und Rafael Nadal füreinander tun?

Als der letzte Ball gespielt, der letzte Applaus danach verhallt ist, sitzen die beiden in der Londoner O2-Arena auf einer Bank, dahinter ihre Kollegen. Und sie weinten beide hemmungslos, hielten sich an den Händen. Federer aus Wehmut, weil er das Tennis niemals hatte aufgeben wollen, aber mit 41 Jahren anerkennen musste, dass er am Ende seiner Reise angelangt war.

Für alle anderen war es eine Erinnerung an ihre eigene Vergänglichkeit – allen voran für die anderen Mitglieder der goldenen Ära im Männertennis: Für Novak Djokovic und Andy Murray, 35-jährig und seit drei Jahren mit Hüftprothese spielend. Vor allem aber für Rafael Nadal, 36-jährig, der Zeit seines Lebens mit Verletzungen und Schmerzen zu kämpfen hatte, die er nur deshalb auszuhalten bereit war, weil er nichts so sehr liebt wie Tennis.

Hier kannst du die 20 Grand-Slam-Siege von Roger Federer nacherleben

Video: watson/een

Federer, Djokovic, Nadal und Murray gewannen 66 Grand-Slam-Turniere, duellierten sich 234 Mal, führten die Weltrangliste während 933 Wochen an. Konkurrenten, verbunden durch die Geschichte. Federer und Nadal sind nicht nur deshalb Freunde. Weil sie beide gemeinsame Werte teilen, als Sportler für Hingabe, Demut, vor allem aber für Respekt stehen.

Ein Sportler stirbt zwei Mal

Als die ersten Tränen getrocknet sind, sagte Nadal nicht weniger berührt: «Es war eine grosse Ehre für mich, Teil dieses Moments in der Geschichte unseres Sports zu sein. Für mich war Roger immer derjenige, den es zu schlagen galt. Mit Roger geht ein wichtiger Teil meines Lebens.»

Maler führen den Pinsel, Schriftsteller formulieren Sätze, Architekten kreieren Bauwerke bis an ihr Lebensende. Nicht selten erreichen sie den Zenit ihrer Schaffenskraft erst im hohen Alter. Tennisspielern wie Roger Federer aber, die sich nicht nur als Sportler, sondern eben auch Künstler verstehen, wird das Ende aufgezwungen. Sie sterben zwei Mal, wie es der österreichische Literat Friedrich Torberg schrieb: «Das erste Mal, wenn sie ihren Sport nicht mehr ausüben können. Das zweite Mal halt noch ganz.»

Zwei Rivalen, die zu Freunden wurden: Federer und Nadal.

Zwei Rivalen, die zu Freunden wurden: Federer und Nadal.Bild: keystone

«Ich fühle Glück und grosse Zufriedenheit»

Federer wird weiterhin Tennis spielen, er wird weiter Tausende begeistern – aber eben nicht mehr in einem kompetitiven Umfeld, nicht bei Grand-Slam-Turnieren. Spätnachts, als sein letzter Tanz getanzt war, sagte er: «Es ist mir gelungen, mich daran zu erinnern, wie wundervoll dieser Moment ist. Dass ich diesen Weg nicht alleine, einsam auf dem Platz, oder in einer kleinen Kammer gehen musste. Sondern auf einem Platz, vor tausenden Zuschauern. Das ist nicht das Ende, das Leben geht weiter. Ich bin gesund, ich bin glücklich. Ich fühle Glück und eine grosse innere Zufriedenheit.»

Federer und Nadal verloren das gemeinsame Doppel im Laver Cup gegen die beiden Amerikaner Jack Sock und Frances Tiafoe nach vergebenem Matchball mit 6:4, 6:7, 6:7 (9:11). Doch es gab ein letztes Ass, ein letztes «Come On», letzte Zauberschläge, letzte Geniestreiche eines Künstlers.

Die Spielerkollegen liessen Federer am Freitag hochleben.

Die Spielerkollegen liessen Federer am Freitag hochleben.Bild: keystone

Danach flossen die Tränen. Bei Federer, bei Nadal, bei seiner Frau Mirka, den Eltern Robert und Lynette, den Kindern, unter den Zuschauerinnen und Zuschauern. Novak Djokovic sagte am Tag danach: «Das ist einer der schönsten Momente, die ich erleben durfte.» Der 15 Jahre jüngere Matteo Berrettini erzählte, wie er sich in Rom als Kind ohne Ticket auf den Centre Court geschlichen hatte, um Federer zu sehen. «Er ist der Grund, weshalb ich Tennisspieler geworden bin. Nun konnte ich nicht schlafen, weil er an meiner Schulter geweint hat und ich dachte: Ist das wirklich wahr?»

Federers Angst vor dem Mikrofon

Den Moment, in dem er zum Mikrofon greifen und das Wort ergreifen muss, hatte Federer gefürchtet. «Weil ich weiss, wie unmöglich ich bin, wenn ich emotional werden.» Doch er tat es – und er tat es, wie er es immer getan hatte und ohne den Versuch, die Ergriffenheit zu verstecken.

Er dankte seiner Familie – seinen Eltern Robert und Lynette – allen voran aber seiner Frau Mirka. Es war eine Liebeserklärung, in der Federer sagte: «Es ist grossartig, dass alle hier sind, die ganze Familie, die Mädchen, die Jungs, meine Frau. Sie hätte mich schon vor langer Zeit stoppen können. Sie hat es nicht. Sie hat es mir ermöglicht, weiterzuspielen. Danke!» Als er diese Worte sprach, warf Mirka ihm Kusshände zu. Und es flossen Tränen.

Ehefrau Mirka nimmt Federer nach seinem letzten Spiel in den Arm.

Ehefrau Mirka nimmt Federer nach seinem letzten Spiel in den Arm.Bild: keystone

Auch bei seinen Kindern, den inzwischen 8-jährigen Leo und Lenny und den 13-jährigen Charlene und Myla. Federer sagt zu ihnen: «Weint nicht. Ich weine nicht, weil ich traurig bin, sondern weil ich glücklich bin. Ich habe es einfach geliebt, das zu tun, was ich tun konnte. Alles ist gut.»

Auch bei Federers Töchtern bleibt kein Auge trocken.

Auch bei Federers Töchtern bleibt kein Auge trocken.Bild: keystone

Als Tennisspieler begeisterte Federer mit seiner Leichtigkeit, mit der er wie ein Tänzer über den Platz zu schweben schien. Er verzauberte mit Eleganz, und Kreativität, mit Leidenschaft und Hingabe. Mit seinem Spiel schenkte schenkte er Millionen von Menschen die Illusion der Vollkommenheit.

Als Mensch schenkte er ihnen Zeit und Respekt, vor allem aber das Gefühl, trotz seiner Gabe, Tennis zu spielen, ein bisschen wie sie zu sein. Weil er weinte, wenn er gewann. Weil er weinte, wenn er verlor. Weil er im Herbst seiner Karriere, in dem er kein Seriensieger mehr war, sondern einer, der mit den grossen Entscheidung im Leben rang. Und vor allem darum, weil er kein Geheimnis daraus gemacht hat, wie schwer ihm der Abschied fällt von dem, was er am liebsten bis an sein Lebensende auf höchstem Niveau getan hätte: Tennis zu spielen. Er ist den Menschen damit näher gerückt.

Grosse Emotionen im Publikum bei Roger Federers letztem Tanz.

Grosse Emotionen im Publikum bei Roger Federers letztem Tanz.Bild: keystone

Nackte Zahlen verlieren an Bedeutung, Zahlenreihen verblassen, Rekorde werden gebrochen und stehen in Büchern, die Staub ansetzen. Emotionen und Erinnerungen aber bleiben haften. Bei uns - und bei Federer. Was ihm vom Abschied in Erinnerung bleiben werde, wurde er gefragt. «Alles, was nach dem Matchball war», antwortete er. «An die Umarmungen und die Gesichter. An die Gelegenheiten, Menschen meinen Dank auszusprechen und ihnen nur das Beste auf Erden zu wünschen. Und an die Tränen.»

66 Grand-Slam-Titel und eine goldene Ära im Männertennis: Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray.

66 Grand-Slam-Titel und eine goldene Ära im Männertennis: Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray.Bild: keystone

Er habe sich nicht einsam fühlen wollen, draussen auf dem Platz. «Es war ein fantastischer Abend, nach dem ich mich genau so gefühlt habe, wie ich es mir erhofft hatte. Es war eine Feier und ich konnte es geniessen. Ich hätte niemals erwartet, dass es sich schön anfühlen wird», sagte Federer.

Als der letzte Vorhang gefallen war, sagte Federer, es fühle sich richtig an, dass er sich als erster verabschiede. Vor Rafael Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray. Er läutet damit das Ende einer goldenen Ära ein, über die Federer sagt: «Es war die perfekte Reise. Ich würde es wieder so machen.»