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Das schreibt die Schweizer Presse zum knappen AHV-Ja

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Sechs Männer werfen den Gewerkschaften Angstmacherei im Abstimmungskampf vor. Jetzt wehren sich sechs Frauen.

Vergangene Woche wandten sich Unterstützer der AHV21-Reform in einem offenen Brief an die Gewerkschaften. Sie warben für die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre. Ihren politischen Gegnern warfen sie vor, im Abstimmungskampf mit frei erfundenen Zahlen zu hantieren, Fakten zu verdrehen und eine Angstkampagne zu führen. «So nicht», reklamierten sie und forderten eine sachliche Debatte. Die Unterzeichner des gepfefferten Briefes: sechs Männer.

Die hauchdünne Zustimmung zur Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65 Jahre wird in der Schweizer Presse mit Verständnis aufgenommen. Die Zeit für eine Angleichung des Rentenalters von Mann und Frau sei reif gewesen, so der übereinstimmende Tenor.

«Der 25. September 2022 wird in die Geschichte der Schweizer Altersvorsorge eingehen – als ein guter Tag. 75 Jahre nach der Gründung der AHV erbringt die Mehrheit den Beweis dafür, dass sie bereit ist, das Sozialwerk an die Anforderungen der Gegenwart anzupassen und dafür auch eigene Nachteile in Kauf zu nehmen.

Die Erhöhung des Rentenalters ist kein schöner Schritt, weder für die Frauen noch für viele Ehemänner. Die höhere Mehrwertsteuer wird die verfügbaren Einkommen schmälern, in einer Zeit, in der das Leben ohnehin spürbar teurer wird. Umso positiver ist die Zustimmung an der Urne zu werten. Dass sie nicht deutlicher ausfiel, haben sich die Befürworter teilweise selbst zuzuschreiben. Ihrer Kampagne mangelte es mitunter an Herzblut und Überzeugungskraft.»

«Es ist das erste Mal seit 1995 (!), dass eine AHV-Revision durchkommt. Die Sozialwerke sind eben doch reformfähig!

Diese Erkenntnis ist enorm wichtig: Die AHV ist in Finanznot, weil die Menschen immer älter werden und länger Rente beziehen. So wie bisher geht es nicht weiter.Das Ja ist auch machtpolitisch ein Schnitt. Bisher waren Reformen gegen die Linke unmöglich durchzubringen. Ihre Kampagne gegen die AHV-Reform setzte auf Angstmacherei und Lügen – gut, wurde das nicht mit einem Sieg belohnt.

Doch die Bürgerlichen haben keinen Grund zum Hochmut. Die Frauen haben die AHV-Revision klar abgelehnt. Jetzt steht die noch wichtigere Reform der zweiten Säule an, und auch da geht es viel um die Frauen. Die Bürgerlichen haben ihnen versprochen, sie würden bessergestellt, weil sie heute wegen Teilzeit und kleinen Löhnen Nachteile haben.Bei den Beratungen im Parlament ist von diesen Versprechungen nicht mehr viel zu spüren. Wenn das nicht ändert, wird es für die Linke ein Leichtes, die Vorlage zu bodigen. Das Ja zur AHV-Reform würde für die Bürgerlichen zum Pyrrhussieg.»

«Früh zeichnete sich hingegen ab: Die grosse Schlappe für die SP, sie bleibt aus. Links-grüne Kräfte haben weit über die eigenen Reihen hinaus mobilisiert und einen imposanten Endspurt hingelegt. Trotzdem bedeutet dieser Abstimmungssonntag eine Zäsur: Sozialreformen sind neu auch ohne die SP und die Gewerkschaften möglich – gar gegen deren expliziten Willen.

Im bürgerlichen Lager knallen deswegen (noch) keine Champagner-Korken. Der Sieg an der Urne war allzu knapp. Aber er war wichtig, um eine jahrzehntelange Blockade zu lösen. (...) Die Frauen tragen nun wesentlich dazu bei, die AHV-Finanzen zu stabilisieren. Eine Mehrheit von ihnen empfindet das als ungerecht. Viele stimmten aber auch dafür. Denn Frauen sind innerhalb des Systems AHV nicht schlechter gestellt als Männer, sie werden älter, beziehen über eine längere Frist Renten und erst noch leicht höhere Beiträge. Gleichzeitig zahlen sie weniger ein.

Das Ja ist insofern auch dem jahrelangen Kampf der Linken zu verdanken, sie haben über Betreuungsgutschriften und Ehegattensplitting erreicht, dass die AHV-Renten der Frauen nicht kleiner sind als jene der Männer. Dieser Kampf um Gleichberechtigung ist aber nicht am Ziel, erreicht ist die Gleichstellung gerade in der zweiten Säule nicht. Männer beziehen deutlich höhere Pensionskassenrenten. Mit dem knappen Entscheid zur Erhöhung des Frauenrentenalters geht denn auch ein grosses Versprechen einher: Gleiche Arbeitszeit für gleiche Löhne und gleiche Renten.»

«Eine überaus knappe Mehrheit der Stimmberechtigten will die AHV finanziell stabilisieren und dazu das Referenzalter von Frauen und Männern angleichen. Das ist richtig so. (...)
Das System Pensionskasse ist dringend reformbedürftig. Trotzdem hat die Gegnerschaft der AHV-Reform einen Punkt. Manche Befürworter, darunter viele bürgerliche Männer, haben hinter vorgehaltener Hand argumentiert: Ich bin ja schon für Gleichstellung, aber halt auch dann, wenn Frauen etwas verlieren! Sie sind nun in der Pflicht, zu ihren Worten zu stehen. Und zwar dort, wo Frauen heute tatsächlich stark benachteiligt sind.

Das gilt zuerst für die zweite Säule der Altersvorsorge. Das System Pensionskasse ist dringend reformbedürftig. Viele Frauen erhalten heute tiefere Rentenbeiträge – zum Beispiel, weil sie Kinder bekamen und deshalb zeitweise nicht oder weniger arbeiteten. Das Parlament beschäftigt sich zurzeit mit einem Umbau, um die Frauenrenten anzuheben, hat aber bisher keine tragfähige Lösung vorgelegt. Das knappe Abstimmungsergebnis verstärkt hier den Druck massiv.

Und dann muss der breitere Kampf um die Gleichstellung mit neuer Energie weitergehen. Dazu nur ein paar Stichworte: Individualbesteuerung, externe Kinderbetreuung, männlich geprägte Parlamente und Regierungen (Beispiel Kanton Luzern: 5 Männer, 0 Frauen).»

«Das eigentliche Problem ist die zweite Säule, die für Frauen tatsächlich schockierend ist, da die Leistungen, die sie erhalten, nur halb so hoch sind wie die der Männer. Die Reform dieser Versicherung, die derzeit im Parlament diskutiert wird, ist die eigentliche Baustelle, auf der sie sich zu gegebener Zeit engagieren müssen. (...)

Die AHV ist bei weitem die sozialste und gerechteste Versicherung, von der Frauen profitieren. (...) Warum sollte ein Mann ein Jahr länger arbeiten als eine Frau? Warum soll eine Frau in leitender Position mit 64 Jahren aufhören, in die Ausgleichskasse einzuzahlen, während ein männlicher Arbeiter bis 65 Jahre arbeiten muss? Die Wiederherstellung der Gleichheit in diesem Bereich ist gerecht und für künftige Generationen unerlässlich, während die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Schweiz heute bereits erreicht ist. Wir brauchen mehr Krippenplätze (auch für junge Väter!), wir müssen die Reform der beruflichen Vorsorge fortsetzen, um Teilzeitarbeit besser zu schützen, und wir müssen alle notwendigen Kämpfe gegen die rückständige Mentalität und die ungerechten Löhne führen. Aber wir dürfen unseren Kindern nicht das vergiftete Geschenk einer AHV machen, die wegen eines anachronistischen Kampfes eines Teils der Linken in die roten Zahlen gerät.»

«Frauen werden also bis zum Alter von 65 Jahren arbeiten. Sie werden auch weiterhin die Kosten einer wackeligen zweiten Säule tragen und weniger verdienen als die Männer. Ein seltsames Volk ist das unsere, das am Vorabend einer Energie- und damit Wirtschafts- und Inflationskrise Ja zu zusätzlichen Opfern durch die Verlängerung der Arbeitsjahre und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sagt. (...)

Nun ist es an der Rechten und den Bürgerlichen, ihr Versprechen einer Reform der zweiten Säule einzuhalten, die die Interessen der Frauen berücksichtigt, die immer noch und grösstenteils Teilzeit arbeiten. Das Parlament als Ganzes muss die Lohngleichheit wieder auf den Tisch bringen, indem es von den Arbeitgebern starke Kontrollen und Sanktionen für säumige Zahler verlangt. (...) Nach dieser historischen Abstimmung, die mehr als nur einen knappen Sieg verdient hätte, haben Frauen keine andere Wahl, als den im Wahlkampf wiederholten Versprechungen Glauben zu schenken. Sie können einfach abwarten. Sie können aber auch weiterhin ihre Faust erheben und Forderungen stellen.»