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Frauen mit Kind wird nichts verziehen – Männern alles hoch angerechnet

Wenn der Satiriker Patrick Karpiczenko aka Karpi seine Tochter im Kinderwagen durch Zürich schiebt, fliegen ihm alle Herzen zu. Hazel Brugger hingegen gilt seit ihrer Mutterschaft als humorlos und bieder. Warum Künstlerinnen mit Kind es immer noch schwer haben.

Julia Stephan / ch media

Dass Patrick «Karpi» Karpiczenko, 36, auch Vater ist, hat seiner Karriere nicht geschadet. Im Gegenteil: Im SRF-Gesellschaftsmagazin «G&G» fährt der Satiriker neuerdings in einem knallgelben Regenmantel seine bald zweijährige Tochter im Kinderwagen durch Zürich. Lara Stoll, Gülsha Adilji, die Aktivistin Anna Rosenwasser und Mike Müller durften ihn schon auf einem «Babywalk» begleiten.

Während Karpi ihnen die Veränderungen im Stimmungshaushalt seines Kindes so detailliert erklärt, als sei er der Mamablogger vom Dienst, helfen ihm seine Gäste beim Kinderwagenschieben und Kleinkindentertainment. Dokumentiert werden die Gespräche, in denen der ehemalige «Deville»- Sidekick auch mal über die Schattenseiten des Vaterseins spricht, von einer Drohne und von einer am Kinderwagen angebrachten GoPro-Kamera.

Das Format kommt an, und auch Karpi mag diesen «Akt der Selbstsabotage», der dem Konzept des «Babywalk» zugrunde liegt. Denn die kleine Tochter bringt nörgelnd und schreiend jede seriöse Gesprächsführung durcheinander. «Konzentration ist unmöglich. Meistens bin ich, meine filmende Partnerin und auch das Baby während des Drehs viel zu müde. Die Überforderung sorgt dann aber gerade für gutes Fernsehen», ist Karpi überzeugt. Zum «Babywalk» inspiriert hatte ihn Hazel Brugger, 28. «Wir liefen mit unseren Kinderwagen vor einigen Monaten gemeinsam durch Köln und machten zynische Kommentare über unsere Kinder», erinnert er sich. Leider war die Kamera nicht an.

«Babywalk» mit Gülsha und Patrick Karpiczenko: Konzentration ist unmöglich.

«Babywalk» mit Gülsha und Patrick Karpiczenko: Konzentration ist unmöglich.Bild: zvg

Brugger, die vor gut einem Jahr Mutter einer Tochter wurde, ist genau dieses bei Karpi so locker inszenierte Nebeneinander von Kind und Karriere zum Verhängnis geworden. Mitte März wandte sich die erfolgreichste Comedienne der Schweiz auf Twitter an ihre Fangemeinde: Sie wolle beruflich kürzertreten. Habe das Touren mit Kind, die «Hotelnächte mit durchstückeltem Schlaf», massiv überschätzt.

«An alle jungen Mütter, die sich im letzten Jahr gefragt haben: ?Wie schafft Hazel das nur alles? Ist das nicht zu viel?? Ich habe es nicht geschafft und es war zu viel.» Dabei haben Brugger und Karpi mehr gemeinsam als dass sie trennt. Sie sind nicht nur Eltern. Beide verstehen ihre Partnerschaft als Kreativ- und Geschäftsbeziehung. Während Brugger mit ihrem Ehemann Thomas Spitzer für die gemeinsame Firma exklusive Inhalte für eine zahlende Community produziert und im Spotify-Podcast «Nur verheiratet» intime Einblicke ins Familienleben gibt, betreibt Karpi mit seiner Partnerin Natascha Beller, 40, eine Filmproduktionsfirma und vermarktet die Beziehung ähnlich publikumswirksam für den Boulevard.

Doch während Karpi als progressivem Vater die Herzen zufliegen, wird Hazel seit ihrer Mutterschaft pausenlos kritisiert. Die einst «böseste Frau der Schweiz», der erfolgreichste Comedy-Export, den die Schweiz vorzuweisen hat, gilt in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit auf einmal als bieder und humorlos. Ängste werden laut, Brugger könnte künftig nur noch Witze über Kinder reissen - dass ein Michael Mittermeier oder ein Gabriel Vetter in ihren intensivsten Familienvaterjahren das ganz ähnlich gehandhabt haben, wird ignoriert.

Mutterschaft ist an allem Schuld

1950er-Jahre Groove: Das Cover zum Podcast «Nur verheiratet» mit Hazel Brugger und Thomas Spitzer.

1950er-Jahre Groove: Das Cover zum Podcast «Nur verheiratet» mit Hazel Brugger und Thomas Spitzer.Bild: Spotify

Die «NZZ am Sonntag» nannte Brugger kürzlich eine «konservative Familienministerin», die «angekommen» sei in «Elternschaft, Kleinfamilie, Eheleben». Der männliche Autor des Artikels fühlt sich vom «Terror des privaten Familienglücks» belästigt, den Brugger mit ihrem Mann Thomas Spitzer im Spotify-Podcast «Nur verheiratet» verbreite.

Die «Sonntags-Zeitung» stellte im letzten Winter die haarsträubende These auf, Bruggers Ehemann habe das lose Mundwerk der Künstlerin gezähmt, sie in die vier Wände einer kleinbürgerlichen Existenz gesperrt und nahm damit - bewusst oder unbewusst - den Fünfzigerjahre-Groove des Fotos, mit dem der «Nur verheiratet»-Podcast augenzwinkernd beworben wird, etwas gar zu ernst.

Die erfolgreiche Geschäftsfrau Hazel Brugger, der fast 390'000 Menschen auf Instagram folgen, sollte plötzlich Opfer eines nach Aufmerksamkeit süchtigen Ehemannes sein. Und als sei dies nicht Sexismus genug, vermutete der Autor weiter, dass Bruggers Mutterschaft eine Mitschuld an ihrer Humorlosigkeit tragen könnte. Im Magazin der «NZZ am Sonntag» wünscht sich eine Autorin sehnsüchtig die alte Hazel Brugger in «pur» zurück. Es ist offensichtlich: Die private Seite der Künstlerin passte nicht ins Bild, das die Öffentlichkeit bisher von ihr hatte.

Dass die Reaktionen so heftig ausfallen, hat viel mit dem männlich geprägten Künstlerideal zu tun. Dieser Künstler ist ein autonomes Wesen, das nur in der Kunst und für die Kunst lebt. Das keine Kompromisse kennt. Und auch ein wenig rücksichtlos bei der Durchsetzung seiner Vision ist.

Die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach schreibt in ihrem Buch «Die Erschöpfung der Mütter», dass in unserer Gesellschaft bis heute «männlich konnotierte Erfolgsideale» kursieren würden, die sich schlecht mit Körperlichkeit und Verantwortung für andere verbinden liessen. «Du bist Unternehmerin, Künstlerin oder Wissenschafterin aus Berufung, daneben kannst du nichts anderes sein, und schon gar nicht so etwas Profanes wie Mutter.» Ein Bild des Künstlers, das die Schweizer Autorin Julia Weber in ihrem Roman «Die Vermengung» kürzlich erfolgreich abgetragen hat (siehe Interview unten), von dem sich aber erfolgreiche Künstlerinnen bis heute nicht gelöst haben.

Performancekünstlerin Marina Abramovic: Kinder wären eine Katastrophe für ihre Karriere gewesen, ist die Künstlerin überzeugt.

Performancekünstlerin Marina Abramovic: Kinder wären eine Katastrophe für ihre Karriere gewesen, ist die Künstlerin überzeugt.Bild: keystone

Die weltbekannte Performancekünstlerin Marina Abramovic begründete noch im Jahr 2016 ihre drei Abtreibungen gegenüber dem «Tagesspiegel» damit, dass Kinder eine Katastrophe für ihre Karriere gewesen wären: «Man hat nur so viel Energie in seinem Körper, und die hätte ich teilen müssen. Das ist meiner Ansicht nach der Grund, warum Frauen in der Kunstwelt nicht so erfolgreich sind wie Männer.»

Für den Fall Hazel Brugger heisst das: Man verband ihr rastloses Leben zwischen Kleinkunstbühnen, Fernsehstudios und vollen Messehallen bisher lieber mit vollen Aschenbechern, Bierflaschen im Backstage-Bereich und Hotelzimmern als mit einem Einfamilienhaus im Grünen - ein solches bauen Brugger und Spitzer gerade um. Dass Kinder so ein solides Umfeld brauchen und nicht jeder Bühnenkünstler versoffen in den Tag schläft, interessiert die Kritiker nicht. Die Zurschaustellung dieser soliden Bürgerexistenz, wie sie Brugger und Spitzer in ihrem Podcast zelebrieren, wirkte auf sie wie eine Provokation.

Dass Brugger mit ihren stark gesteuerten Einblicken ins Familienleben auch Geld verdient - sie veröffentlicht entgegen dem von ihr in den Medien gezeichneten Bild nur selten relativ unspektakuläre, verpixelte Bilder ihrer Tochter -, ist ein weiterer Tabubruch, mit dem sich schon andere Frauen unbeliebt gemacht haben. Schauspielerin Angelina Jolie wurde erst kürzlich dafür kritisiert, dass sie ihre Kinder auf den roten Teppich mitnimmt. Dass der Nachwuchs bei einer Promo-Tour die alten Kleider der Mutter trug und damit ein Zeichen für Nachhaltigkeit setzte, machte Jolie in den Augen der Öffentlichkeit doppelt verdächtig.

Da instrumentalisiert eine Frau ihre Kinder fürs eigene Image - geht gar nicht! Die empirische Kulturwissenschafterin Petra Schmidt, die über die ästhetischen Praktiken von Mütterbloggerinnen forscht, verwundert das nicht. Vermarktung von Mutterschaft sei zwar in der Momblogging-Community die Norm, im gesellschaftlichen Diskurs würden sich Vermarktung und Mutterschaft aber nach wie vor nicht vertragen.

In der Kritik: Angelina Jolie posiert mit fünf ihrer sechs Kinder bei der «Eternals»-Premiere.

In der Kritik: Angelina Jolie posiert mit fünf ihrer sechs Kinder bei der «Eternals»-Premiere.Bild: keystone

Bei Karpi hat man hingegen keinen Zweifel daran, dass er den Kinderwagen nicht nur aus einem Akt der Selbstlosigkeit durch die Gegend schiebt. Cool findet man ihn trotzdem. Bleibt zu hoffen, dass Künstlerinnen wie Hazel Brugger in Zukunft wegen ihrer Mutterschaft nicht gleich ihre eigene Künstlerinnenexistenz hinterfragen müssen, sondern - ganz nebenbei - auch Mütter sind. (aargauerzeitung.ch)