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Für immer pubertär? Til Schweiger zeigt in Zürich sein wahres Gesicht

Hier sehen wir die Marilyn Monroe und den James Dean des deutschen Films. Beziehungsweise Tina Ruland und Til Schweiger 1991 in «Manta, Manta».

Hier sehen wir die Marilyn Monroe und den James Dean des deutschen Films. Beziehungsweise Tina Ruland und Til Schweiger 1991 in «Manta, Manta».Bild: www.imago-images.de

Eine Stunde lang hat der angebliche Tom Cruise des deutschen Films am ZFF über sich und seine Arbeit geredet. Auch Starallüren waren ihm dabei nicht fremd.

Was teilt sich Til Schweiger mit Brad Pitt und Johnny Depp? Genau: das Alter! Nächstes Jahr werden alle drei 60, und gerade bei Til und Brad, die ja gemeinsam für Quentin Tarantinos «Inglourious Basterds» vor der Kamera standen, muss man sagen: Respekt, ausgezeichnet gehalten, Jungs.

Wie das denn damals war, will ZFF-Direktor Christian Jungen wissen, als sie alle gemeinsam am Filmfestival von Cannes die «Inglourious Basterds»-Premiere feierten, es ist eine typische Festivaldirektoren-Frage. Schweiger sitzt vor einer leeren Riesenleinwand im Kino Arena, am vergangenen Sonntag sass Eddie Redmayne hier vor 400 Leuten, bei Schweiger sind es vielleicht 100.

Schweiger am Freitagnachmittag in Zürich.

Schweiger am Freitagnachmittag in Zürich.Bild: keystone

Zu seinem 50. hatte Dana Schweiger, Tils Exfrau, der deutschen Presse ein paar pikante Geheimnisse verraten, etwa, dass alles an ihm, ähm, ja, sie hat das tatsächlich so gesagt, «petit» sei. Trotzdem gehört er mit Pitt, Depp und Hugh Grant zu den vier männlichen Sexsymbolen, die uns im Kino die 90er-Jahre verschönerten. Man kann sogar sagen, dass Schweiger damals das einzige Sexsymbol des deutschen Films weit und breit war, und er scheute erfreulicherweise auch nicht davor zurück, sich auszuziehen, was nahe lag, schliesslich hatte er eine Weile lang als Synchronsprecher für Pornofilme gejobbt.

Doch zurück zu Cannes: «Ich muss schon sagen, das war schon geil zu sehen, da hab ich schon gesagt: cool», sagt Schweiger, «ich sass mit Daniel Brühl im Auto, und er sagte, fuck, ich scheiss mir in die Hosen! Ich sagte so, wieso, hier sind wir nur Komparsen, sogar Quentin ist nur Komparse. Es war alles nur Brangelina. Quentin ist noch so über den roten Teppich gestolpert und hat nach einem Fotografen gesucht, der ihn fotografiert, aber alle waren nur bei Brangelina.»

Und das waren Brangelina 2009 an Tarantinos Cannes-Premiere.

Und das waren Brangelina 2009 an Tarantinos Cannes-Premiere.Bild: AP AFP Pool

Statt Komparse könnte er auch Nebendarsteller sagen, aber er benutzt das Wort genauso wenig wie Nebenrollen, lieber braucht er «supporting role, Nebenrolle finde ich so despektierlich». Til Schweiger weiss ganz genau, was er mag und was nicht, das macht ihn einerseits sympathisch, andererseits nicht. Das Hotel, in dem er am Donnerstag in Zürich eincheckte, mag er zum Beispiel gar nicht, es ist in den falschen Farben dekoriert: «Ich mag halt keine krachenden Farben, ich habe gestern hier im Hotel XY (Name der Redaktion bekannt) direkt wieder ausgecheckt. Wenn ihr mal wissen wollt, was mir nicht gefällt, dann macht mal 'ne Führung durchs Hotel XY, ich hasse das.»

«Die Kommissarin» (1994) mit Hannelore Elsner und Til Schweiger. Ein ausnehmend schönes Ermittlerpaar.

«Die Kommissarin» (1994) mit Hannelore Elsner und Til Schweiger. Ein ausnehmend schönes Ermittlerpaar.Bild: www.imago-images.de

Zum Film gekommen ist der Lehrersohn aus Giessen «über eine Million Umwege»: Eigentlich wollte er selbst Lehrer werden, «konnte aber nicht, weil eine Lehrerschwemme herrschte». Er studierte erst ein bisschen Medizin, dann ein bisschen Germanistik und Geschichte, wusste da aber bereits, dass er Schauspieler werden wollte, weil ihn seine damalige Geliebte, eine Schauspielerin, dazu überredet hatte.

Er liebte amerikanischen und französische Thriller, Cop-Filme, «Kriegsfilme habe ich auch gemocht», war Fan von Belmondo und Paul Newman. Das deutsche Kino hatte für ihn «null Komma null Bedeutung, die meisten Filme sahen nicht aus wie Kinofilme, die sahen aus wie Fernsehfilme.» Umso schlimmer war es, dass er als Erstes beim TV und dort bei der «Lindenstrasse» landete, «das war so das Unterste».

Alle wollen Axel (Schweiger), aber der ist gerade auf einem Trip hängen geblieben. Schweiger 1994 in «Der bewegte Mann».

Alle wollen Axel (Schweiger), aber der ist gerade auf einem Trip hängen geblieben. Schweiger 1994 in «Der bewegte Mann».bild: imago/ United archives

Und dann kam «Manta, Manta» (1991), der Autofilm, an dem Schweiger vieles gefiel – bis auf die krachenden Farben, in denen sein Manta gestrichen war. Schweiger gefiel dem ganz, ganz breiten Publikum. Und Deutschland hatte einen neuen Filmstar. Einen, der sich für keinen Mainstreamstreifen und keine Komödie zu schade war. Einen auch, der als Regisseur und Drehbuchautor ein riesiges, wenn auch gelegentlich etwas unebenes Talent besass.

«Barfuss», «Keinohrhasen», «Zweiohrkücken», «Kokowääh», «Honig im Kopf» ... das Millionenpublikum strömte in Schweigers eigene Filme, das Feuilleton stöhnte und Schweiger beschloss, den «Scheissfressen» aus den Kulturteilen der Zeitungen keine Pressevorführungen mehr zu organisieren, sondern sie dazu zu zwingen, Kinoeintritte zu bezahlen und seine Filme mit dem normalen Publikum mitzuerleben. Im Arena kriegt er dafür Applaus.

Er kann's nicht nur mit Autos, sondern auch ganz anderen Maschinen: Schweiger 2007 in seinem wirklich total geglückten Publikumsliebling «Keinohrhasen».

Er kann's nicht nur mit Autos, sondern auch ganz anderen Maschinen: Schweiger 2007 in seinem wirklich total geglückten Publikumsliebling «Keinohrhasen».Bild: www.imago-images.de

Schweiger und die Kritik werden sich auch über seinem neuen Film «Lieber Kurt» nicht versöhnen und vermutlich auch nicht über seinem «Manta, Manta»-Remake. Es ist eine Wunde, die in ihm schwärt und immer wieder mal sehr weh tut, das ist aus seinen Statements rauszuhören, das reine Entertainment-Dasein ist eben doch nicht das reine Glück. «Wenn ich jetzt ein Land rauspicken sollte, in dem der Neid höchstwahrscheinlich erfunden worden ist, dann nehme ich Deutschland», sagt er dazu.

Amerika mag er übrigens auch nicht. Sieben Jahre lang lebte er mit seiner Familie in Malibu: «Schönes Wetter, schöne Landschaft, aber absolut hohl.» Die Leute würden nach einem gemeinsamen Dreh nicht feiern, die seien «total asketisch», Aufstehen um drei Uhr, Gym um vier Uhr, überlegen, welche Freundschaft sich lohne, wer «the next step on the ladder» sein könnte. Und dann die Autofahrten! «Da stehst du fünf Stunden im Stau auf der Autobahn. Parkplätze mit Toiletten gibt's da auch nicht. Fünf Stunden ohne zu strullern! Ich musste immer so eine leere Evian-Flasche dabeihaben.»

Hier sehen wir ihn 2022 in seinem Kindstod-Drama «Lieber Kurt».

Hier sehen wir ihn 2022 in seinem Kindstod-Drama «Lieber Kurt».Bild: Praesens film

Manchmal tickt Til Schweiger aus. Nimmt besoffen einen Award entgegen. Äussert während der Pandemie krude Verschwörungstheorien. Setzt sich aber auch sehr lautstark für Geflüchtete ein und gegen rechts. Nie würde er einen Nazi spielen, das ist sein Grundsatz, das hat er auch Tarantino gesagt.

Was man ihm glaubt, an diesem Nachmittag: Er mag Menschen, er arbeitet enorm gern, er liebt es, Talente zu entdecken und zu fördern, wahrscheinlich ist er beim Dreh eher zu locker als zu genau. «Das macht einfach Spass, anderen Menschen zu helfen, das verstehen viele nicht, denen macht es nur Spass, wenn ihnen geholfen wird, die nennt man dann Egozentriker oder Egoisten.»

Er gibt sich nahbar und die Leute im Saal lieben ihn dafür sehr, umringen ihn nach dem einstündigen Talk, er umarmt eine Frau, schreibt Autogramme, beantwortet noch viele, viele Fragen und gehört so sehr seinem Publikum, wie das am ZFF wohl noch kein Star getan hat. Einer für alle. Er sei «der Tom Cruise des deutschen Kinos», sagt Christian Jungen, nein, das stimme nicht, sagt Schweiger, Cruise würde ja immer nur in den Filmen der anderen spielen, aber nie selbst Regie führen.

Eine seltene und interessante Aufnahme von Corinna Harfouch und Til Schweiger 1999 in «Der grosse Bagarozy».

Eine seltene und interessante Aufnahme von Corinna Harfouch und Til Schweiger 1999 in «Der grosse Bagarozy».bild: imago/ united archives

Würde ihn trotz des «Lindenstrassen»-Traumas und seiner umstrittenen «Tatort»-Präsenz das Serienwesen nicht doch wieder einmal reizen? Auch als Macher? Doch, sagt Schweiger, er habe eine Serie entwickelt, geiles Thema, der Strom fällt aus in Europa, eine dysfunktionale Familie sei ganz auf sich gestellt. «Eine richtig tolle Drama- und Endzeitserie, ich habe die immer als ‹Walking Dead› ohne Zombies gepitcht, aber dann fiel sie direkt in den Lockdown und war den Produzenten zu dystopisch.»

Draussen sagt ein junger Mann, Til Schweiger wirke auf ihn, als ob er in der Pubertät hängengeblieben sei, im Guten wie im Schlechten, im Charme wie im Trotz. Und wahrscheinlich ist dies die beste Antwort auf die Frage, was denn eigentlich das ebenso unwiderstehliche wie lästige Phänomen Til Schweiger ausmacht.