Switzerland
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«Momentan gibt es so viele Pilze, wie schon lange nicht mehr»

Interview

Fürs Pilze-Sammeln im Wald braucht es keine Erfahrung, meint die Expertin Eva Grosjean-Sommer – wichtig ist vor allem die anschliessende Kontrolle beim Profi. Sie beantwortet die drängendsten Fragen rund ums Pilze-Sammeln.

Die Pilze-Saison hat begonnen: Von Ende August bis Ende Oktober spriessen die Schwämme wie wild in unseren Wäldern. In der Schweiz sind über 10'000 Pilzarten bekannt, jedes Jahr werden laut der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) «Dutzende neue Arten dokumentiert». Die Pilz-Expertin Eva Grosjean-Sommer beantwortet die wichtigsten Fragen:

Wir hatten einen heissen, sehr trockenen Sommer. Hat das einen Einfluss auf die Pilzsaison?
Eva Grosjean-Sommer: Das ist immer schwierig zu sagen. Lange war die Lage 2022 aufgrund der andauernden Trockenheit sehr kritisch. Jetzt, wo die Temperaturen tiefer sind und auch der Regen wieder zurück ist, spriessen die Pilze um die Wette. Es gibt momentan eine so grosse Vielfalt an Pilzen, wie es sie lange nicht mehr gab. Das freut uns natürlich sehr!

Zur Person

Eva Grosjean-Sommer ist Präsidentin der Vapko Deutschschweiz, der Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane der Schweiz.

Also haben wir dieses Jahr besonders Glück?
Es ist wirklich ein ausserordentlich gutes Pilzjahr – das zeichnet sich jedoch erst seit ungefähr zwei Wochen ab. Das Pilzaufkommen ist von Region zu Region sehr unterschiedlich, da es darauf ankommt, wie viel Regen fällt.

Pilze spriessen wie wild.

Pilze spriessen wie wild.Bild: APA

Welche Arten haben zurzeit gerade Saison?
Ich kann für den Grossraum Bern sagen, dass es momentan gerade massenhaft Flockenstielige Hexenröhrlinge, viele Maronenröhrlinge, Rotfussröhrlinge, Eierschwämme oder Parasole gibt. Auch Steinpilze zeigen sich nun langsam. Im Gegensatz zu anderen Jahren wird dieses Jahr auch immer wieder der Anhängsel-Röhrling gefunden. Welche Sorten gerade auffindbar sind, kann innerhalb zwei Wochen ändern und ist je nach Region anders. Zum Gedeihen brauchen Pilze Wärme und Feuchtigkeit – deshalb ist deren Vorkommen stark wetterabhängig.

Wann darf man Pilze sammeln?
Das ist kantonal geregelt. Es gibt Kantone, wie beispielsweise Graubünden, die sogenannte Schonfristen haben, während derer keine Pilze gesammelt werden dürfen. Immer mehr Kantone verzichten aber auf solche Schonfristen. Es gibt auch Regionen, wo man nur tagsüber sammeln darf und in der Nacht nicht.

Eine Übersicht zu den kantonalen Bestimmungen siehst du hier:

Wie sinnvoll sind diese Schonfristen?
Lange dachte man, dass es diese brauche, damit die Pilze nicht schneller gesammelt werden, als sie nachwachsen können. Im Kanton Bern zum Beispiel wurden sie aber abgeschafft, weil deren Nutzen nicht wissenschaftlich belegbar ist. In Graubünden ist die Lage eine andere: Hier kommen viele Menschen aus Italien, wo man nicht einfach Pilze sammeln kann im Wald, weil dieser Privateigentum ist – dann macht diese Regel wieder mehr Sinn.

Die Regeln fürs Pilze-Sammeln sind überall anders.

Die Regeln fürs Pilze-Sammeln sind überall anders.Bild: shutterstock

Welche Ausrüstung brauche ich?
Ganz sicher braucht man ein Gefäss für die gesammelten Pilze. Das sollte gut durchlüftet sein – viele Sammler sind mit Körben unterwegs, in denen die Luft gut zirkulieren kann. In einem verschlossenen Behälter oder einem Plastiksack beginnen die Pilze zu «schwitzen» und werden aufgrund ihres hohen Eiweissgehaltes schnell schlecht – richtiger Transport und korrekte Lagerung sind wichtig.

Was brauche ich sonst noch?
Weiter gehört zur richtigen Ausrüstung ein gutes Messer – damit kann man die Pilze möglichst weit unten am Stiel abschneiden. Es geht aber auch ohne, indem man den Fungus einfach herausdreht. Wichtig ist, dass man die Pilze bereits im Wald noch einer ersten Reinigung unterzieht – an vielen Pilzmessern hat es eigens dafür eine kleine Bürste. Ebenfalls wichtig ist die passende Kleidung, gutes Schuhwerk und Schutz vor Zecken.

Welche Regeln gibt es ausserdem zu beachten?
Wichtig ist sicher der Wald-Knigge. Man muss sich bewusst sein, dass der Wald jemandem gehört, auch wenn er mit der Öffentlichkeit geteilt wird. Die Regeln und Verbote in einem Wald sind also einzuhalten. In der Schweiz dürfen alle den Wald besuchen und alles, was nicht geschützt ist, darf mit Mass gepflückt und mitgenommen werden. Das ist ein grosser Vorteil hierzulande und sollte meines Erachtens Grund genug sein, den Wald zu respektieren.

Was heisst das, «mit Mass»?
Mit Mass pflücken bedeutet, nicht zu hamstern und nur so viele Pilze mitzunehmen, wie man auch innert kurzer Zeit essen kann.

Braucht es einen Guide oder kann man als Anfänger auch auf eigene Faust sammeln gehen?
Auch als Anfänger kann man sich alleine auf die Suche nach Pilzen machen. Es gibt jedoch ein grosses Aber ...

Und das wäre?
Wenn man vorhat, die gesammelten Pilze auch zu verspeisen, kommt man nicht an der Pilzkontrolle vorbei: Auf keinen Fall sollte man Pilze essen, die man nicht vorher von Experten kontrollieren lassen hat, sonst kann es schnell gefährlich werden.

Champignon ist nicht gleich Champignon.

Champignon ist nicht gleich Champignon.Bild: shutterstock

Was ist mit Pilz-Apps?
Soweit ich weiss, gibt es bisher noch keine Pilz-App, die mit 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit jede Art bestimmen kann. Je mehr Bilder hinterlegt werden, desto genauer kann die App abgleichen und bestimmen – zum jetzigen Zeitpunkt sind diese Apps jedoch noch nicht zuverlässig genug.

Haben Sie solche Pilz-Apps schon ausprobiert?
Ja, vor einigen Tagen haben wir eine App getestet. Wir liessen sie einen Violettstieligen Pfirsichtäubling und einen ihm sehr ähnlich sehenden Grünen Knollenblätterpilz bestimmen – die App erkannte nicht, welcher von beiden der tödlich giftige Knollenblätterpilz ist. Die App ist gut für Hinweise und Hintergründe. Den Gang zur Pilzkontrolle ersetzen sie aber nach heutigem Stand nicht.

Wie viele giftige Sorten gibt es in der Schweiz?
Meines Wissens gibt es in der Schweiz etwa 300 essbare Arten von Pilzen. Dann gibt es noch giftige und wenige tödlich giftige Pilze. Von einer grossen Anzahl Sorten hingegen weiss man gar nicht so recht, ob sie essbar sind. Laut dem WSL gibt es 200 für den Menschen giftige Sorten.

Ein tödlich giftiger Frühlings-Knollenblätterpilz.

Ein tödlich giftiger Frühlings-Knollenblätterpilz.Bild: 123pilze.de

Der oben erwähnte Knollenblätterpilz beispielsweise ist tödlich giftig – wer ihn verspeist, muss sich dringend zu einem Arzt oder ins Spital begeben. Bei der Giftpilzprüfung müssen die Pilzkontrolleure verschiedene Giftpilze kennen, die in der Schweiz verbreitet sind. Zum Teil sind sogar ganze Gattungen giftig.

Wie erkennt man einen giftigen Pilz?
Man muss die Merkmale eines Pilzes sicher kennen, was als Laie fast unmöglich ist. Es gibt viele Ammenmärchen, die besagen, dass man beispielsweise durch einen Silberlöffel im Kochtopf herausfinden kann, ob giftige Pilze mitgekocht wurden. Oder, dass Pilze, die von Schnecken angefressen werden, nicht giftig sind – dabei mögen Schnecken giftige Pilze ganz gerne. Man sollte deshalb seine Pilze immer in die Kontrolle bringen, um sicherzugehen, dass nichts Giftiges dabei ist.

Was wird besonders oft verwechselt?
Das kommt natürlich immer darauf an, welche Pilze gerade so auffindbar sind. Essbare Champignons sind zum Beispiel einfach zu verwechseln mit den Giftigen.

Wie bemerkt man eine Pilzvergiftung?
Die Symptome variieren je nach Pilz stark, da die Giftstoffe nicht immer dieselben sind. Oft wird es einem übel und man bekommt Durchfall. Das Herz kann entweder extrem verlangsamt schlagen oder man hat Herzrasen. Besonders gefährlich sind die Fälle, in welchen man nicht viel bemerkt – und dann sind plötzlich Leber oder Niere betroffen und man erleidet langfristige Schäden.

Auch Fliegenpilze sind leicht giftig.

Auch Fliegenpilze sind leicht giftig.Bild: wikimedia

Wie geht man in einem Verdachtsfall vor?
Eine sehr wichtige Anlaufstelle ist «ToxInfo»: Bei Verdacht auf eine Vergiftung kann man dort unter der Telefonnummer 145 anrufen und wird beraten. Dort sollte man angeben, dass man Pilze gegessen hat und welche Symptome gerade auftreten.

Je nachdem geht man dann mit seinen Rüstabfällen zu einem Notfall-Pilzexperten. Dieser kann wegen seiner Spezialausbildung beurteilen, ob es sich dabei um amatoxinhaltige – also tödlich giftige – Pilze handelt. Sollte dies der Fall sein, muss man direkt ins Spital.

Und zuletzt: Welchen Profi-Tipp können Sie einem Anfänger mitgeben?
Pilzlen braucht sehr viel Erfahrung. Man muss immer wieder in den Wald gehen und sein Auge schulen: Wie sieht der Boden aus? Welche Bäume stehen hier? Wie ist die Umgebung? Mit der Zeit weiss man, welche Pilze wo vorkommen. Wer sich die Zeit nimmt und sucht, wird dafür mit einem Ort belohnt, an dem noch niemand vorher Pilze gepflückt hat.