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Putin annektiert ukrainische Gebiete – den Menschen in Russland ist so bange wie nie zuvor

Die Nord-Stream-Röhren sind nach den Sabotageakten unbenutzbar. Ausgerechnet durch die Ukraine aber fliesst weiterhin russisches Gas nach Westen. Nun aber droht eine Eskalation.

In jedem Krieg gibt es Entwicklungen, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben. Es kann vorkommen, dass zwei Parteien, die sich auf dem Schlachtfeld bekämpfen, weiterhin miteinander im Geschäft sind. Im Fall des Ukraine-Kriegs betrifft dies die Lieferung von Erdgas aus Russland via die Transgas-Pipeline durch das angegriffene Land.

Mit seiner Unterschrift, vier ukrainische Gebiete für russisch zu erklären, unterzeichnet Russlands Präsident Putin faktisch ein Dokument, dass er im Kampf um seine eigene Macht nicht zurückweichen wird.

Inna Hartwich, Moskau / ch media

Am Ende legen sie ihre Hände einzeln aufeinander, Russlands Präsident Wladimir Putin und die sogenannten Chefs der sogenannten Republiken Donezk und Luhansk sowie der von Russland okkupierten ukrainischen Gebiete Cherson und Saporischschja. Sie halten sich aneinander fest und schreien: «Russland, Russland!» Als wäre es ein Fussballspiel, bei dem sie ihre Mannschaft antreiben. All die Menschen vor ihnen, Russlands gesamte politische und religiöse Elite, springen von ihren Stühlen im blank geputzten Georgsaal des Kremls und stimmen mit ein: «Russland, Russland!»

Feiern, obwohl es nichts zu feiern gibt

Putins Freitagsrede vor der Unterzeichnung seines Anschlusses von vier ukrainischen Gebieten an Russland soll feierlich wirken. Letztlich aber bleibt sie eine lahme psychologische Attacke voller Hass auf die USA. Sie zeigt, dass der Plan des russischen Präsidenten, sich die Ukraine zu unterwerfen, gescheitert ist. Auch legt sie dar, dass Putin, der nie nachgibt, sich und vielen anderen im Saal und ausserhalb diese Niederlage nicht eingestehen wird.

Annexionsfeier in Moskau nach der Unterzeichnung der Verträge im Kreml.

Annexionsfeier in Moskau nach der Unterzeichnung der Verträge im Kreml.Bild: keystone

Deshalb braucht er die Hunderte von Abgeordneten, Ministern, Gouverneuren, Muftis und Priestern im Kreml, die ihm applaudieren. Ihnen allen signalisiert er: Ihr seid mit in diesem Boot, in das ich euch am 24. Februar hineingehievt habe. Deshalb braucht er die Tausenden von herbeigekarrten Menschen draussen auf dem Roten Platz, die mit ihren russischen Fähnchen in die Fernsehkameras zujubeln. «Endlich sind unsere Leute zu Hause», sagt da so mancher und kann doch kaum erklären, wer da eigentlich in welchem Zuhause sei. «Die Wahrheit ist unsere. Russland ist unser», ruft Putin in den Kremlsaal hinein. Standing Ovations.

Während auf Moskaus Bühnen der Putin'sche Anschluss inszeniert wird, gibt es auf dem Schlachtfeld in der Ukraine und letztlich in jeder russischen Familie kaum etwas zu feiern. Die Mobilisierung, die Putin euphemistisch «Teilmobilisierung» nennt, hat Moskaus «militärische Spezialoperation» zu einem wohl lang anhaltenden Volkskrieg gemacht. Den Menschen in Russland ist plötzlich so bange wie nie zuvor in den vergangenen Monaten.

Putin unterzeichnet im Rahmen einer feierlich inszenierten Zeremonie im Kreml die Annexionsverträge.

Putin unterzeichnet im Rahmen einer feierlich inszenierten Zeremonie im Kreml die Annexionsverträge.Bild: keystone

Die einen schicken ihre Söhne mit letztem Geld ins Ausland, die anderen voller Fatalismus in den Tod. Und Putin sagt: «Wollen wir statt Mama und Papa Elternteil 1 und Elternteil 2 sagen? Wollen wir statt Frauen und Männer irgendein drittes Geschlecht anerkennen?» Wie all das mit seinem Landraub zusammenhängt, erklärt er freilich nicht. Er hält sich an alles, woran er sich nur halten kann. Ein bisschen Homophobie hier, viel Anti-Amerikanismus dort. Dem Westen bescheinigt er Totalitarismus und politischen Rassismus. «Sie brauchen Russland nicht, sie wollen es in Stücke zerbrochen sehen. Wir aber brauchen Russland», ruft er.

Kampf um den eigenen Machterhalt

Ukrainische Truppen umstellen derweil die russische Armee bei Lyman. Auch damit ist die Eile des Kremls zu erklären, die vier Gebiete zu annektieren. Es soll eine Art Status quo geschaffen werden. Soll der Welt zeigen, dass 20 Prozent der Ukraine nun russisch sein sollen. Moskau beansprucht damit eine Westgrenze, die es nicht kontrolliert. Keine der vier Regionen ist in russischer Hand, völkerrechtlich anerkannt sind die sogenannten Referenden von Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja, die Putin als «freie, von der UN geschützte Willensbekundung von Millionen von Menschen» bezeichnet, ohnehin nicht.

Das hindert ihn nicht daran, die Ukraine und den Westen dazu aufzurufen, die Kampfhandlungen «sofort einzustellen und den Krieg zu beenden, den Kiew 2014 angefangen hat». Er wolle zum Dialog zurück, sonst könne es zu einem «Kollaps» kommen, sagt er und droht an, die annektierten - er nennt sie «befreite» - Gebiete «mit allen Mitteln zu verteidigen». Von atomaren Waffen spricht er dieses Mal explizit nicht.

Ein ukrainischer Panzer passiert einen verlassenen russischen Checkpoint im befreiten Isjum. Die Ukraine befindet sich in der Ostukraine weiterhin in der Offensive.

Ein ukrainischer Panzer passiert einen verlassenen russischen Checkpoint im befreiten Isjum. Die Ukraine befindet sich in der Ostukraine weiterhin in der Offensive.Bild: keystone

Putin zeigt mit seiner Rede einmal mehr, welche spiegelverkehrte Welt er für sich und viele in seinem Land geschaffen hat und wie gut er sich darin eingerichtet hat. Es ist stets der Westen, dem er Gewalt vorwirft, Lügen, Zerstörungswut. Jedes Land sei ein Vasall der USA, manche freiwillig, andere gezwungenermassen. Russland aber werde seinen «Kampf für ein grosses historisches Russland führen» und sich «nie auseinanderdividieren lassen».

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Letztlich aber führt Putin – in die Ecke getrieben und damit immer gefährlicher – seinen Kampf um den eigenen Machterhalt. Andere Mittel als immer grössere Gewalt, als Angst und Schrecken, die Respekt ersetzen sollen, hat er nicht mehr. Viele in Russland bejubeln ihn dafür – manche freiwillig, andere gezwungenermassen. (aargauerzeitung.ch)