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Reto Weibel erkämpfte teure Therapie: «Nur schon deshalb musste ich überleben»

Reto Weibel erkämpfte teure Therapie«Nur schon deshalb musste ich überleben»

Die Schweiz hat als eines der ersten Länder ein hochwirksames, aber sehr teures Medikament zur Behandlung der zystischen Fibrose zugelassen. Dafür kämpfte einer, der die Pillen selber nicht einnehmen kann.

Reto Weibel erinnern die Preisverhandlungen der Gesundheitsbehörden mit den Pharmafirmen an ein Pokerspiel.

Reto Weibel erinnern die Preisverhandlungen der Gesundheitsbehörden mit den Pharmafirmen an ein Pokerspiel.

Foto: Christian Pfander

Reto Weibel gehört zu den rund tausend Menschen in der Schweiz, die an zystischer Fibrose (CF) leiden. Die Krankheit greift die Lunge an, verklebt sie mit zähflüssigem Schleim. Die Schädigung beginnt bereits im Kindesalter. Die Betroffenen kämpfen mit täglicher Physiotherapie und Inhalieren gegen das Fortschreiten der Krankheit an. Oft blieb bisher als letzte Hoffnung nur eine Lungentransplantation.

Doch seit zwei Jahren heisst die Hoffnung Trikafta. Das Medikament des US-Unternehmens Vertex zeigt hervorragende Wirkung. Bei den meisten Patientinnen und Patienten verbessert sich der Gesundheitszustand innert weniger Tage und kommt fast einer Heilung gleich, wenn auch der ursächliche Gendefekt nicht behoben wird. Drei Pillen am Tag verhelfen den Menschen zu einem nahezu beschwerdefreien Leben. Manche, die bereits auf der Warteliste für eine Lungentransplantation waren, brauchen kein Fremdorgan mehr.

Weibel gehört zu den 20 Prozent der CF-Betroffenen, die nicht von der neuen Therapie profitieren können, weil er vor acht Jahren eine Lungentransplantation hatte. Doch er hat massgeblich dazu beigetragen, dass die Schweiz zu den ersten Ländern gehört, in denen das sehr teure Medikament von der Krankenkasse bezahlt wird. Obwohl der Präsident des Vereins Cystische Fibrose Schweiz (CFS) nicht am Verhandlungstisch sass, schaffte er es, Einfluss auf den Zulassungsprozess zu nehmen.

Verzicht auf Geld von der Pharmaindustrie

Einen Schlüssel zum Erfolg sieht Weibel darin, dass der Verein CFS im Jahr 2020 den Verzicht auf Sponsoring durch Pharmafirmen beschloss und der Firma Vertex sogar die bereits erhaltenen Gelder für 2019 zurückzahlte. Zwar machten die Gelder von Vertex nur 0,7 Prozent des Vereinsbudgets aus. «Doch der Verzicht war ein klares Zeichen an das Bundesamt für Gesundheit (BAG), dass wir Betroffene uns nicht von der Pharmabranche instrumentalisieren lassen», sagt Weibel.

Statt wie bisher vor allem das BAG für seine harte Position in den Preisverhandlungen anzuprangern, appellierte Weibel nun an Vertex, allen Patienten einen gleichberechtigten Zugang zu Trikafta zu ermöglichen. «Uns war klar, dass das BAG das neue Medikament nicht zu jedem Preis zulassen kann.» Denn laufend kommen neue und immer noch teurere Medikamente auf den Markt, die häufig der Heilung seltener Krankheiten dienen. 220’000 Franken pro Behandlungsjahr beträgt der offizielle Listenpreis für Trikafta.

Das BAG und Vertex hatten vor der Kassenzulassung von Trikafta schon über drei Jahre über die Kassenzulassung von zwei anderen CF-Medikamenten verhandelt. Auch hier war der Streitpunkt der Preis von rund 160’000 Franken. Im Januar 2020 befürchtete Weibel, dass Vertex die Verhandlungen mit dem BAG platzen lässt und die Zulassungsgesuche für ihre CF-Medikamente in der Schweiz zurückzieht – mit fatalen Folgen für die Patientinnen und Patienten. Nun drohte Weibel damit, dass die Betroffenen die CF-Vereinigung dafür nutzen würden, aus Argentinien ein Trikafta-Nachahmerpräparat zu importieren, das ohne Lizenz hergestellt wird und das für rund 20’000 Franken pro Jahr erhältlich ist.

Im April 2020 akzeptierten das BAG und Vertex schliesslich einen Vorschlag von Weibel: Statt für jedes Medikament Preisverhandlungen zu führen, einigte man sich auf eine Globallösung für die zwei älteren Vertex-Medikamente und Trikafta. Auf dieses Modell war Weibel in Irland gestossen, dem Land mit dem höchsten Anteil an CF-Patienten. 

Zudem vereinbarte das BAG mit Vertex ein Vergütungsmodell, das den Preis des Medikaments von der verkauften Menge abhängig macht. Ab Februar 2021 wurde Trikafta den Patientinnen und Patienten ab 12 Jahren bezahlt, sofern bei ihnen bereits eine Lungenschädigung vorlag.

Wie ein Pokerspiel

Doch kurz darauf ging der Kampf erneut los. Denn seit Anfang 2022 ist die Behandlung mit Trikafta von der Arzneimittelbehörde Swissmedic bereits für Kinder ab 6 Jahren zugelassen. Dass mit den Regeln des BAG zur Kostenübernahme die rund 150 betroffenen Kinder zuerst einen Lungenschaden hätten erleiden müssen, bevor sie mit Trikafta behandelt worden wären, erschien Weibel unethisch. «Wir hätten das niemals akzeptieren können, und ich habe das den BAG-Verantwortlichen auch klargemacht.» Seit Mai nun erhalten auch Kinder ab 6 Jahren Trikafta bezahlt, ohne dass eine Schädigung der Lunge vorliegen muss.

«Ich kann mich am Abend sehr gut fühlen, und am Morgen bin ich derart kraftlos, dass ich kaum aufstehen kann.»

Reto Weibel

Der Kampf um die Kassenpflicht der CF-Medikamente hat Weibels Sicht auf die Pharmaindustrie nachhaltig verändert. Er vergleicht die Preisverhandlungen mit einem Pokerspiel. Aber auch das BAG nimmt er nicht von Kritik aus. Die Behörde habe lange nicht eingesehen, dass mit Trikafta jährliche Behandlungskosten von mehreren Zehntausend Franken entfielen.

Ein CF-Patient muss im Endstadium sechs- bis achtmal im Jahr ins Spital zur intravenösen Antibiotikatherapie. Denn die Betroffenen sind enorm anfällig auf Infektionen jeder Art. 14 Tage Spitalaufenthalt kosten 20’000 bis 30’000 Franken. Auch die anderen Therapiekosten, die der Krankenkasse dank Trikafta erspart bleiben, belaufen sich auf mehrere Zehntausend Franken im Jahr. Dazu kommen die Kosten der Invalidenversicherung. Viele CF-Patienten, die das Erwachsenenalter erleben, sind früher oder später arbeitsunfähig und bekommen eine Rente.

Er freut sich über jeden guten Tag

Beim Besuch bei ihm zu Hause in Steffisburg macht Reto Weibel den Eindruck eines lebensfrohen und tatkräftigen Menschen. Doch der Eindruck täusche, sagt er. Der 52-Jährige muss trotz Spenderlunge mit starken Einschränkungen leben. Dazu gehören die Immunsuppressiva, die verhindern, dass sein Körper das fremde Organ abstösst. «Ich kann mich am Abend sehr gut fühlen, und am Morgen bin ich derart kraftlos, dass ich kaum aufstehen kann.» Der ausgebildete Primarlehrer bezieht seit zehn Jahren eine IV-Rente. An eine regelmässige Erwerbsarbeit ist nicht mehr zu denken.

Bei rund einem Fünftel der Erkrankten ist die Wirksamkeit von Trikafta nicht nachgewiesen, weil sie eine spezielle Genmutation haben. Für Reto Weibel kam bisher die Trikafta-Therapie nicht infrage, weil es noch keine Studien über die Nebenwirkungen bei Menschen gibt, die eine Lungentransplantation hinter sich haben. Zu gross ist die Befürchtung, dass es wegen der Immunsuppressiva zu unerwünschten Nebenwirkungen kommt.

Dennoch hadert Weibel nicht mit dem Schicksal. Er freut sich über jeden Tag, an dem es ihm gut geht. Wenige Monate nach der Lungentransplantation hätte ihn ein Infektionsherd auf der Lunge fast das Leben gekostet. Wochenlang lag er damals auf der Intensivstation. Heute erfüllt es ihn mit Stolz, dass er mit seinem Einsatz für die Kassenzulassung von Trikafta dazu beitrug, dass sich die Lebensperspektive vieler Betroffener total verändert hat. «Manchmal denke ich, dass ich nur schon deshalb überleben musste.»

Markus Brotschi ist Bundeshausredaktor von Tamedia, Schwerpunkt seiner Berichterstattung ist die Sozial- und Gesundheitspolitik. Er arbeitet seit 1994 als Journalist und Redaktor. Mehr Infos

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