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Joschka Fischer: Europa wird gerade zu einer Macht [premium]

Der deutsche Ex-Außenminister Joschka Fischer und der bulgarische Starpolitologe Ivan Krastev über den Ukraine-Krieg, den radikalen Wandel, vor dem die EU steht, und die Gefahr eines Kalten Krieges zwischen China und dem Westen.

Danke, dass Sie zu dem Gespräch bereit sind. Karl Schwarzenberg war es ein großes Anliegen, dass Sie gemeinsam analysieren, welche geopolitischen Auswirkungen der Ukraine-Krieg hat, insbesondere auf die EU. Lassen Sie mich zu Beginn fragen: Was halten Sie für das wahrscheinlichste Szenario, wie der Krieg endet?

Joschka Fischer: Ich habe, ehrlich gesagt, keine Vorstellung, wie und wann dieser Krieg endet. Aber ich denke, der Krieg wird chaotische Folgen haben, sowohl für die Ukraine als auch für Russland. Und die große Frage für uns alle wird sein, was mit Russland in einer Post-Putin-Ära geschieht. Das wird Europa für eine lange Zeit vor große Herausforderungen stellen.

Ivan Krastev: Ich glaube nicht, dass es am Ende eine Kapitulation wie nach dem Zweiten Weltkrieg oder einen Friedensvertrag wie nach dem Ersten Weltkrieg geben wird, sondern einen Waffenstillstand wie nach dem Korea-Krieg 1953. Das Timing ist schwer vorherzusagen. In den ersten Kriegsmonaten war Russland stark daran interessiert, den Konflikt lokal einzugrenzen und möglichst schnell zu beenden. Mit der Mobilisierung im Herbst ging die Spezialoperation in einen totalen Krieg über. Nun ist vor allem die Ukraine an einem schnellen Ende des Krieges interessiert. In seiner Rede an die Nation klang der russische Präsident Wladimir Putin neulich, als verspräche er einen niemals endenden Krieg. Er sprach nicht über Frieden oder Sieg, sondern sagte den russischen Soldaten zu, alle sechs Monate zwei Wochen mit ihren Familien verbringen zu können. Was mir Sorge macht: Je länger der Krieg dauert, desto globaler wird die Dimension.


Befürchten Sie, der Konflikt gerät außer Kontrolle?

Joschka Fischer: Ich glaube nicht, dass der Krieg komplett außer Kontrolle gerät. Denn China ist definitiv nicht an einer globalen Eskalation interessiert. China will keine Disruption seiner wirtschaftlichen Entwicklung. Der Hauptunterschied zwischen Putin und Xi ist: Die Chinesen sind im 21. Jahrhundert angekommen, Putin lebt immer noch in der Vergangenheit. Europa wiederum kann nicht permanent mit der russischen Drohung leben, ohne sich in einen geopolitischen Faktor zu verwandeln. Das wird die größte Konsequenz des Ukraine-Krieges für die EU sein: Europa wird sich in einen geopolitischen Faktor verwandeln. Die Europäer müssen auf eine andere Welt vorbereitet sein. In Zukunft wird der gemeinsame Markt wichtig bleiben, aber wichtiger für Europa wird die gemeinsame Sicherheit. Sogar die Schweiz rückt nun näher an die Nato.


In Österreich habe ich noch keine Bewegung in diese Richtung wahrgenommen.