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Ob Columbus Sehnsucht hatte? [premium]

Kannten die großen Eroberer jenen innigen Wunsch nach dem, was wir bis heute so romantisch als Ferne bezeichnen? Oder waren sie nichts als Eroberer und Auftragsmörder einer höheren Ordnung? Büchner-Preis-Trägerin Felicitas Hoppe über das Sehnen – und den Größenwahn.

Don't live basic – live iconic!

Fabel

Unser Leben ist von der Sehnsucht nach Erfüllung grundiert; und zugleich von der großen Angst davor, die der russische Dichter Daniil Charms bündig in folgender Fabel vorführt: „Ein Mensch von kleinem Wuchs sagt: ,Ich wäre mit allem einverstanden, wenn ich nur ein kleines bisschen größer wäre.‘ Kaum hat er das gesagt, da sieht er, vor ihm steht eine Zauberin. ,Was willst du?‘, fragt die Zauberin. Und der Mensch von kleinem Wuchs steht da und bringt vor Angst kein Wort über die Lippen. ,Nun?‘, sagt die Zauberin. Der Mensch von kleinem Wuchs steht da und schweigt. Die Zauberin verschwindet. Da bricht der Mensch von kleinem Wuchs in Tränen aus und fängt an, sich die Nägel abzubeißen. Erst beißt er sich alle Fingernägel ab, dann auch die Zehennägel. Leser, denk dich hinein in diese Fabel, und dir wird ganz schlecht.“

Endstation Sehnsucht

Das ist, je nach Bedarf, so persönlich wie politisch zu lesen; schließlich haben den Dichter der Fabel die Karikatur seiner Sehnsucht und sein vages Versprechen, für den Fall der Erfüllung „mit allem einverstanden“ zu sein, bekanntlich mehr als nur ein paar Nägel gekostet, sondern realiter wenig später das ganze Leben. Umso schwerer wiegt des Wünschers notorisches Schweigen; und seine Selbstbestrafung im Angesicht einer Zauberin, die offenbar alles andere als eine gute Fee ist. Er hat die Chance des Augenblicks nicht ergriffen und die Gelegenheit zur Selbstoptimierung verpasst.

Jeder Märchenleser kann ein Lied davon singen, wie schnell wir uns voreilig beim Wünschen verwünschen und im Licht des Alltags als die Gefoppten dastehen. Menschen von kleinem Wuchs sind wir schließlich alle, auch wenn wir uns gern etwas größer wähnen. Wunsch und Sehnsucht sind allerdings zweierlei; denn der Wunsch bringt lediglich sprachlich zum Ausdruck, was die Sehnsucht selber nicht sagen kann, und dringt folglich in ihr Zentrum nicht vor. Er reduziert sie notdürftig auf das scheinbar Erfüllbare, während sie selbst bekanntlich am liebsten bei sich bleibt. Unstillbarkeit ist ihr hungriger Adel und ihr unersättliches Markenzeichen.