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Analyse zum 9-Euro-Ticket: Was die DB besser macht als die SBB

Analyse zum 9-Euro-TicketWas die DB besser macht als die SBB

Deutschlands Sparbillett kann auch für die Schweiz ein Vorbild sein – trotz der völlig überlasteten Züge.

Von Berlin an die Ostsee nach Stralsund: Das wird kein uneingeschränktes Vergnügen mit dem 9-Euro-Ticket.

Von Berlin an die Ostsee nach Stralsund: Das wird kein uneingeschränktes Vergnügen mit dem 9-Euro-Ticket.

Foto: Monika Skolimowska (DPA/Keystone)

Wer regelmässig mit der Deutschen Bahn (DB) im Berliner Umland unterwegs ist, kennt dieses Gefühl der Erleichterung, zwischen bis auf den letzten Platz besetzten Sitzen eine dieser Freiflächen zu entdecken, die für Gepäck gedacht sind – und die noch frei ist. Man kann sitzen! Zwar auf dem Boden kauernd mit freiem Blick auf Kniekehlen, Schuhsohlen und Chipskrümel mitsamt der dazu passenden Duftkomposition. Aber immerhin. So eine Fahrt an die Ostsee, etwa von Berlin Hauptbahnhof nach Stralsund, dauert drei Stunden. Stehend ist das kaum auszuhalten.

Völlig überfüllte Züge sind in Deutschland schon an normalen Wochenenden im Sommer nicht ungewöhnlich. Jetzt, mit dem 9-Euro-Ticket, das die Menschen aus dem Auto in den Zug lockt, bricht die überlastete Bahn immer wieder zusammen. Das gilt von Hamburg an die Nordsee, von München in die Alpen oder eben von Berlin an die Ostsee. Dann meldet die DB-App auf dem Smartphone lapidar: «Wegen des aussergewöhnlich hohen Fahrgastaufkommens ist der Zustieg weiterer Personen und die Mitnahme von Fahrrädern nicht mehr möglich. Bitte wählen Sie eine andere Verbindung.» Einzelne überfüllte Züge konnten erst abfahren, nachdem die Bahnpolizei Passagiere zum Verlassen der Waggons zwingen musste.

Was die Berliner S-Bahn nicht davon abhält, unter dem Hashtag «#letsdothisverkehrswendeding» freche T-Shirts anzubieten, die das 9-Euro-Feeling zelebrieren – also das Gefühl der Reisefreiheit, nicht das des Eingepferchtseins.

Für 9 Euro quer durch Deutschland fahren? Die Luxusinsel Sylt äusserte sich im Vorfeld bereits skeptisch.

Video: Tamedia

Sehnsüchtig blicken Deutsche schon lange auf das Bahn-Schlaraffenland Schweiz, wo die Züge pünktlich sind, gut in Schuss, selten überfüllt, wo Bahnreisen allermeistens entspannt und sogar vergnüglich sind – selbst auf einer Intensivstrecke wie Zürich–Bern. In Deutschland erreichen nur noch etwa 60 Prozent der Züge pünktlich ihr Ziel.

Grund: Seit Jahrzehnten wird die Deutsche Bahn kaputtgespart. Mehrere konservative Regierungen unter Ex-Kanzlerin Angela Merkel förderten den Autoverkehr, wollten die Bahn aber privatisieren und auf Effizienz trimmen. Ein marktwirtschaftliches Programm, das in der liberalen Schweiz eigentlich ganz ähnlich denkbar wäre. Aber die SBB haben einen Sonderstatus: Sie gehören so sehr zum Schweizer Selbstverständnis, dass auch wirtschaftsnahe Parteien kein Problem damit haben, sie grosszügig auszustatten. Die SBB haben, pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, fünfmal so viel Geld zur Verfügung wie die Deutsche Bahn.

Trotzdem könnten die SBB noch etwas aus der 9-Euro-Initiative lernen: Die Menschen sind bereit, das Auto stehen zu lassen, wenn die Konditionen stimmen. Auch der Schweiz würden weniger Staus, weniger Autobahnausbau helfen, ihre Klimaziele zu erreichen – etwa 80 Prozent des motorisierten Verkehrs wird bei uns noch auf der Strasse abgewickelt. Als Anreiz reicht das Halbtax-Abo nicht aus.

Auch mit einem 9-Franken-Ticket am Wochenende müsste wohl niemand auf dem Boden hocken.

Natürlich, auch die SBB bieten Spartickets an, aber um die zu finden, muss man entweder lange im Voraus buchen oder in den Randzeiten reisen. Auf manchen Schweizer Strecken, etwa Richtung Genf, bieten die Österreichischen Bundesbahnen günstigere Tickets an als die SBB, wie der «SonntagsBlick» berichtete.

Sicher, im Vergleich zur Deutschen Bahn sind wir mit den SBB sehr gut unterwegs. Beim Beitrag der SBB zum Kampf gegen den Klimawandel gibt es aber durchaus noch Optimierungspotenzial – und auch mit einem 9-Franken-Ticket am Wochenende müsste wohl niemand auf dem Boden hocken.

Hans Brandt ist Inlandredaktor und seit 1987 bei Tamedia, mit Stationen als Teamleiter Analyse und Hintergrund, Auslandredaktor und Korrespondent im südlichen Afrika.

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