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Wenig Lohn, viele Probleme: watson-Umfrage zeigt, woran der Wohnungsmarkt wirklich krankt

Wenig Lohn, viele Probleme: watson-Umfrage zeigt, woran der Wohnungsmarkt wirklich krankt

Bild: shutterstock/imago/watson

Dreieinhalb Zimmer für 5600 Franken in Zürich? Fälle wie diese prägen die Debatte über die Wohnsituation in der Schweiz. Doch das eigentliche Problem liegt ganz woanders.

Wie gross ist die Wohnungsknappheit in der Schweiz wirklich? Unsere exklusive Umfrage zeigt: Während rund die Hälfte der Menschen in der Deutschschweiz für ihre aktuelle Wohnung nur gerade eine Bewerbung verschickt haben, sind viele andere auch nach der 20. Besichtigung noch nicht fündig geworden. Besonders schwierig ist die Situation für Menschen mit geringem Einkommen.

Gemeinsam mit dem Sozialforschungsinstitut DemoSCOPE sind wir der Situation auf den Grund gegangen. Die für die Deutschschweiz repräsentative Umfrage lief zwischen dem 10. und 14. März 2023. Gut 2000 Menschen haben daran teilgenommen. Mehr zur Methodik findest du am Schluss des Artikels.

Los geht's.

Die Wohnungsnot trifft Geringverdienende am härtesten

Neben dem gut bekannten Zusammenhang, dass sich Menschen in den grösseren Schweizer Städten deutlich schwerer tun, eine Wohnung zu finden, zeigt sich in den Daten unserer Befragung vor allem ein relativ starker Trend: Je tiefer das sogenannte standardisierte Haushaltseinkommen, desto schwieriger gestaltet sich die Wohnungssuche. Das zeigt sich unter anderem in diesen Beobachtungen:

Umfrage Wohnungsnot

Besonders für Menschen mit geringerem Haushaltseinkommen gestaltet sich die Wohnungssuche oft als schwierig. Bild: imago/watson

Standardisiertes Haushaltseinkommen

Für jede Person der Stichprobe wurde basierend auf ihrer Angabe zur Haushaltszusammensetzung eine entsprechende standardisierte Haushaltsgrösse berechnet: Eine erwachsene Person zählt dabei als 1 Person, jede weitere Person ab 16 Jahren zählt als 0,5 Personen und jede weitere Person bis 15 Jahre zählt als 0,3 Personen.
Mittels dieser Haushaltsgrösse wurde dann die erfragte Angabe zum Brutto-Haushaltseinkommen so standardisiert, dass sich die Einkommen unterschiedlich grosser und unterschiedlich zusammengesetzter Haushalte besser vergleichen lassen.
Rechenbeispiel: Monatliches Brutto-Haushaltseinkommen (CHF 8500.-) / standardisierte Haushaltsgrösse (1.8; also 2 Erwachsene, 1 Kind unter 15 Jahren) = Standardisiertes Haushaltseinkommen (CHF 4722.-).

Mittleres Einkommen in der Schweiz

Der Bund berechnet jährlich ein sogenanntes Äquivalenzeinkommen der Schweizerinnen und Schweizer. Dieses ist am ehesten vergleichbar mit dem standardisierten Haushaltseinkommen, das bei unserer Umfrage errechnet wurde.
Das Median-Äquivalenzeinkommen liegt gemäss Bundesamt für Statistik in der Schweiz bei etwa 5650. Weiter ist bekannt, dass 40 Prozent der Bevölkerung ein Äquivalenzeinkommen von bis zu 4'390 Franken aufweist. Um den Bezug zu unseren Daten herstellen zu können, kann man sich also etwa Folgendes vorstellen: Der Anteil der Personen in der deutschsprachigen Schweiz in einem Haushalt mit Äquivalenzeinkommen von unter 5000 Franken liegt entsprechend zwischen 40 und 49,9 Prozent.

50 Prozent mussten nur eine einzige Bewerbung schreiben

Die Menschen in der Deutschschweiz scheinen grundsätzlich zufrieden mit ihrer Wohnungssituation: Über die Hälfte gab an, «vollkommen zufrieden» mit ihrer Wohnung oder ihrer Unterkunft zu sein. Nur 8 Prozent sind eher nicht zufrieden und 3 Prozent sind es «überhaupt nicht». Rund ein Drittel gibt als Grund für die Unzufriedenheit eine zu hohe Miete an.

Umfrage Wohnungsnot Ebikon

Über die Hälfte der Menschen in der Deutschschweiz ist zufrieden mit ihrer aktuellen Wohnungssituation. Bild: keystone/watson

Immerhin 33 Prozent aller Befragten bewohnen ihre aktuelle Unterkunft schon seit über zehn Jahren, 13 Prozent leben seit weniger als einem Jahr dort. Über die Hälfte (54 Prozent) der Befragten bezahlt zwischen 1000 und 2000 Franken für ihre Unterkunft. Bis sie diese Unterkunft gefunden haben, sind die meisten (45 Prozent) in ihrem Erwachsenenleben zwei- bis viermal umgezogen (den letzten Umzug mit eingerechnet). 38 Prozent haben fünf- bis zehnmal ihren Wohnort geändert und 8 Prozent schon mehr als zehnmal.

Wir wollten von den Menschen in der Deutschschweiz auch erfahren, wie lange ihre letzte Wohnungs-/Unterkunftssuche gedauert hat. Dabei zeigt sich: Fast 40 Prozent haben nur wenige Tage bis wenige Wochen gesucht, bis sie ihre aktuelle Wohnung gefunden haben. Immerhin 20 Prozent benötigten dafür länger als ein Jahr, 7 Prozent sogar mehrere Jahre. Verhältnismässig am längsten haben Personen gesucht, die aktuell in einer Wohnung mit fünf oder mehr Zimmern leben.

Mehr als die Hälfte der Menschen in der Deutschschweiz hatte sich lediglich um die aktuelle Wohnung/Unterkunft beworben und entsprechend ihre «Wunschunterkunft» auch bekommen.

Dabei zeigt sich ein Trend: je tiefer das Haushaltseinkommen, desto mehr Bewerbungen waren nötig, und je kleiner die gesuchte Wohnung, desto mehr Bewerbungen mussten bis zur Zusage geschrieben werden.

Glück und Vitamin B sind gleich wichtig wie Suchabos

Ein Grossteil hat seine derzeitige Unterkunft via Suchabo respektive direkt auf einer Wohnungsplattform gefunden. Auffallend ist, dass fast genauso viele ihre aktuelle Wohnung/ihr Haus über Beziehungen oder einfach durch Glück oder Zufall gefunden haben. Dabei zeigt sich, dass Menschen mit tieferem Haushaltseinkommen den Erfolg viel eher dem Glück oder Zufall zuordnen als dem «Vitamin B». Umgekehrt heisst das, je höher das Haushaltseinkommen, desto eher waren es Beziehungen, die zum Erfolg führten – und weniger das Glück.

Umfrage Wohnungsnot st. Moritz

Bei der Wohnungssuche spielen auch Glück, Zufall und Beziehungen eine Rolle – insgesamt geben 42 Prozent an, ihre Wohnung auf diese Weise gefunden zu haben.Bild: keystone/watson

Nur gerade zwei Prozent sind via Schaltung eines Inserats fündig geworden. Befragte, die «Andere, nämlich:» ankreuzten, gaben unter anderem an,

Fast die Hälfte sucht schon länger als ein Jahr

Der zweite Teil der Umfrage beschäftigte sich mit Menschen, die derzeit auf der Suche nach einer neuen Mietwohnung oder einer Immobilie sind. Gemäss unserer Stichprobe sind dies 23 Prozent.

Selbstselektion in einer Umfrage

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass in diesem Fall eine sogenannte Selbstselektion die Stichprobe verzerrt. Der Wert von 23 Prozent muss in Bezug auf seine Generalisierbarkeit daher mit Vorsicht genossen werden. Der Grund: Menschen, die auf der Suche sind (also Betroffene), fühlten sich möglicherweise eher angesprochen, bei der Umfrage teilzunehmen. In der Grundgesamtheit (also in der ganzen Deutschschweiz) werden weniger als 23 Prozent gerade auf der Suche nach einem neuen Zuhause sein.

Personen, die in der Stadt wohnen, sind eher auf der Suche als Personen in der Agglomeration oder auf dem Land. Insgesamt sind 9 Prozent auf der Suche, weil ihnen die aktuelle Wohnung gekündet wurde. Der grösste Teil aller Befragten (34 Prozent) sucht seit einigen Monaten, 23 Prozent seit mindestens einem Jahr und immerhin 18 Prozent schon seit über zwei Jahren.

Dabei legen sich viele Menschen mächtig ins Zeugs: Ein Drittel hat im Zuge der derzeitigen Suche eine bis fünf Bewerbungen geschrieben, 13 Prozent schon sechs bis zehn, 5 Prozent zwischen elf und 20 – und ganze zwölf Prozent sogar schon mehr als 20 Bewerbungen.

Dasselbe Muster zeigt sich bei den besichtigten Wohnungen: Mehr als zehn Prozent hat sich bereits über 20 Wohnungen angeschaut. Menschen, die in städtischen Gemeinden einer grossen Agglomeration wohnen – also in den grössten Städten der Schweiz – sind in dieser Sparte übervertreten.

Viele Menschen haben über die Zeit ihrer Suche und aufgrund fehlenden Erfolgs ihre Kriterien anpassen müssen. Am häufigsten wurde das Kriterium der Mietkosten angepasst (49 Prozent), viele erweiterten aber auch den Suchradius (47 Prozent). 29 Prozent haben bei der Suche die gewünschte Wohnungsgrösse angepasst und zwölf Prozent suchen nun auch in anderen Regionen der Schweiz. Frauen gaben grundsätzlich häufiger an, ihre Kriterien bereits angepasst zu haben.

Zur Methodik

Die Umfrage wurde in Zusammenarbeit mit DemoSCOPE vom 10. bis am 14. März in deutscher Sprache durchgeführt. Nach erfolgter Datenbereinigung lagen 2089 auswertbare Interviews vor. Mittels sogenannter Propensity-Score-Gewichtung wurden diese an eine unverzerrte Grundgesamtheit angepasst. Unter der Annahme einer Zufallsstichprobe beträgt der maximale Fehlerbereich für Prozentangaben 2,1 Prozent.

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