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Mehr Suizide von Männer als von Frauen in Vorarlberg

Für das Jahr 2022 weist die Statistik Austria für Vorarlberg 44 (Vorjahr 41) und für ganz Österreich 1276 (Vorjahr 1099) Suizide aus. Damit stieg die Suizidzahl national deutlich an, was vor allem auf beträchtliche Zunahmen in den Bundesländern Tirol und Wien zurückzuführen ist. In Vorarlberg waren drei Suizidopfer mehr als im Vorjahr zu beklagen. Vorarlberg weist damit für 2022 die geringste Suizidziffer aller Bundesländer auf.

Suizidrate: Vorarlberg unter dem nationalen Schnitt
Aussagekräftiger als absolute Zahlen ist die Suizidrate, d. h. die Zahl der Suizide pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Sie lag Mitte der 1980er Jahre in Vorarlberg noch deutlich über 20, im Jahr 2020 mit 11,7 exakt im gesamtösterreichischen Schnitt und liegt heuer mit 10,9 darunter. Das von der WHO um die Jahrtausendwende ausgegebene Ziel, die Suizidrate unter 15 zu drücken, wurde in Vorarlberg und auch in gesamt Österreich wieder erfüllt.

Geschlechterverteilung: Mehr Männer betroffen, auch im Ländle
Für Österreich wurden 966 Suizide bei Männern und 310 bei Frauen erhoben, was ein Überwiegen der Männer um das fast 3,5 -fache bedeutet. Ein Verhältnis, das über lange Zeiträume und fast weltweit besteht. In Vorarlberg waren 2022 die Männer 4 x häufiger betroffen (Vorjahr: 2,8 x häufiger) - die statistisch kleinen Zahlen verbieten hier allerdings Interpretationen.

Altersverteilung: Kein Anstieg bei Jugendlichen und Älteren
Im Jahr 2022 wurde in Vorarlberg ein Kindersuizid registriert (0-14 Jahre). Bislang ist keine Zunahme bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu verzeichnen. Die Zunahme der Suizide mit dem Lebensalter („Ungarisches Muster“) ist in Vorarlberg minder ausgeprägt. Die über 75-Jährigen sind im Vergleich zu den nationalen Zahlen deutlich weniger präsent.

Schwerpunkt - langfristige Veränderungen im Suizidgeschehen
Die genaue Ermittlung der Suizidzahlen ist methodisch schwierig, denn das grosse Dunkelfeld bei Suiziden - und besonders bei Suizidversuchen - lässt sich niemals völlig erhellen. Besonders bemerkenswert ist deshalb das 1987 in Vorarlberg eingerichtete Suizidregister, da sich dieses als Forschungsinstrument seit mittlerweile 35 Jahren sehr bewährt hat. Das liegt daran, dass die Suiziddaten in einem relativ abgeschlossenen Untersuchungsgebiet mit idealer epidemiologischer Grösse erfasst werden. (EW-Zahl ca. 350'000 bis 400'000 im Beobachtungszeitraum 1987 bis 2022)

Die Entwicklung bei Suiziden
International weisen die südeuropäischen Länder mit ca. acht Suizidtoten pro 100.000 EW pro Jahr die niedrigste Suizidrate auf. Die höchste liegt mit über 18 in den osteuropäischen und baltischen Staaten. Diese Verteilungsmuster sind relativ konstant. Als Ursachen dafür gelten politische, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse, wie auch geographische Gegebenheiten (z. B. Sonnenlichtdauer) und Mentalitätsunterschiede.
Vorarlberg: Die Selbsttötungen sind parallel zur nationalen/europäischen Entwicklung in den letzten 30 Jahren deutlich zurückgegangen. Seit etwa zehn Jahren ist jedoch keine signifikante Verringerung der Suizidraten mehr feststellbar. Trotz der Stabilisierung sterben aber in Vorarlberg noch immer pro Jahr mehr Menschen an Suizid als durch Verkehrsunfälle, Morde, Drogen und Aids zusammen.
Für das Jahr 2022 zeigen die aktuell vorliegenden nationalen und internationalen Untersuchungen einen statistisch signifikanten Anstieg der Suizidzahlen, der in Vorarlberg aber nicht so stark ausgeprägt ist. Ob sich durch die intensiv betriebene Umweltdiskussion (Klimawandel) und durch die Pandemie ausgelösten Ängste in der Suizidalität niederschlagen, ist wissenschaftlich noch nicht genügend untersucht.

Die Entwicklung bei Suizidversuchen
Eine genaue Zahl und damit auch eine längerfristige Entwicklung lässt sich wegen der hohen Dunkelziffer nicht nennen. Anhand der vorliegenden Daten ist davon auszugehen, dass das Verhältnis von Suizid zu Suizidversuch bei etwa 1:20 (nach manchen Untersuchungen sogar bei 1:50) liegt. Die Rate an Suizidversuchen ist bei Frauen deutlich höher als bei Männern, und mindestens 30 Prozent der geretteten Personen versuchen erneut, sich das Leben zu nehmen. Man weiss: Viele Menschen mit Suizidabsicht möchten gar nicht sterben und versuchen trotzdem, sich das Leben zu nehmen. An diesen Fakten liesse sich präventiv sehr leicht ansetzen.

Die Entwicklung bei der Altersverteilung
Während in den westlichen Ländern der Suizid die Handschrift des Alters trägt, lässt sich das in Vorarlberg so nicht sagen. In Deutschland zum Beispiel stirbt alle zwei Stunden ein Mensch über 60 durch Suizid und international entfallen zwischen 40 und 50 Prozent aller Suizide auf Menschen über 60 Jahre. Die relativ geringe Zahl hochbetagter Suizidopfer in Vorarlberg hängt wohl mit der guten Versorgung alter Menschen zusammen. Da sich aber die Zahl der über 60-Jährigen bis 2050 vervierfachen soll, kann auch in Vorarlberg mit einem erheblichen Anstieg der Suizidzahlen in dieser Hochrisikogruppe gerechnet werden.
Uneinheitlich stellt sich international die Situation bei Kindersuiziden dar. In manchen Ländern, z. B. in Russland, gehören Suizide zu den häufigsten Todesursachen bei Kindern und Jugendlichen. In Vorarlberg trifft das nicht zu. Im gesamten Beobachtungszeitraum hat es nur vier Kindersuizide (unter 14 Jahre) und vereinzelte Jugendsuizide gegeben, meist im Zusammenhang mit Suchtproblemen oder Liebeskummer. Welchen Einfluss die Pandemie/Lockdowns und die neue Kinderarmut haben, kann noch nicht gesagt werden.

Die Entwicklung bei der Geschlechterverteilung
An der Geschlechterverteilung hat sich während des gesamten Beobachtungszeitraumes von 1987 bis 2022 wenig verändert. Das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Suizidanten lag international und auch in Vorarlberg konstant bei 3:1 bis 4:1.
In der Prävention wurde deshalb vermehrt Wert auf die Risikogruppen der Männer gelegt.

Die Entwicklung bei Risikogruppen
Die traditionellen Risikogruppen waren und sind Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Depressionen und Suchtleiden und Menschen in einer Lebenskrise oder Ausnahmesituation. Zu den durchgehend Gefährdeten zählen auch Jugendliche, die mit einer persönlichen Krise oder Beziehungsschwierigkeiten zu kämpfen haben.

Neue Risikogruppen
Gesundheitsberufe: Durch einige Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Ärztinnen und Ärzte und andere Gesundheitsberufe, insbesondere Frauen, häufiger von Suizid betroffen sind. Im Vergleich mit anderen hochqualifizierten Berufen ist das Suizidrisiko bei Tierärztinnen und Tierärzten am höchsten: Tierärzte versterben doppelt so häufig an Suizid wie Vergleichspersonen aus der Bevölkerung, Tierärztinnen sogar fast dreimal so häufig.

Menschen mit nicht erkannten Burnout-Syndromen: Die in manchen Jahren in Vorarlberg zu beobachtende Häufung von Suiziden im mittleren Alter, für welche meist kein klares Motiv gefunden werden konnte, hat wahrscheinlich mit nicht erkannten Burnout-Syndromen zu tun.

Mobbingbetroffene: Diese weisen in der Regel eine mit hohem Suizidrisiko verbundene Verbitterungsstörung auf, sei es durch Mobbing am Arbeitsplatz oder durch Internetmobbing, dessen Bedeutung im Sommer 2022 durch den Fall einer oberösterreichischen Ärztin der breiten Öffentlichkeit richtig bewusst geworden ist. Verlässliche Zahlen zu Mobbingopfer gibt es noch nicht.

Menschen mit Migrationshintergrund und/oder Fluchterfahrung: Diese nicht homogene neue Risikogruppe wird seit ungefähr 10 Jahren immer größer. Zu unterscheiden ist zwischen geflüchteten Menschen und Zugewanderten, die schon länger im Aufnahmeland leben. Eine deutschen Untersuchung zeigt z. B., dass die Suizidrate von Migrantinnen und Migranten unter jener von Einheimischen liegt. In einer niederländischen Studie hingegen war die Suizidhäufigkeit bei männlichen Flüchtlingen um zwei Drittel höher als in der Bevölkerung.

Bekannt ist die Suizidproblematik bei jungen Türkinnen, die Konflikte wegen der traditionellen Frauenrolle in ihren Herkunftsfamilien und -kulturen haben. Die Zahl von Suizidversuchen übersteigt in dieser Gruppe jene der deutschen Frauen deutlich, wobei neben Schamgefühlen besonders Familienstreitigkeiten und Normenkonflikte zwischen erster und zweiter Generation wichtige Faktoren für die aufkommende Suizidalität darstellen.

Veränderung bei den Suizidmotiven und -ursachen
Die Analyse der Suizidmotive bzw. deren Veränderung ist noch viel schwieriger als die Identifizierung von Risikogruppen. Ganz allgemein treten Suizidgedanken auf, wenn der Leidensdruck unerträglich und die Situation hoffnungslos wird.

Arbeitslosigkeit an erster Stelle
Unter den sozialen Belastungen, die das Suizidrisiko erhöhen, steht neben Familien- und Partnerschaftsproblemen die Arbeitslosigkeit durchgehend an erster Stelle. Eine wachsende Arbeitslosigkeit führt, so wie sie bei uns nach 2008 gegeben war, auch zu mehr Suiziden.

Phänomen Suizidforen
Seit 2006 wird im Internet das Phänomen der Suizid-Foren beobachtet. Ob und inwiefern diese Einfluss auf die Motivation zur Selbsttötung haben, ist nicht unumstritten. Einerseits bieten sie Selbsthilfeangebote für Menschen mit Suizidgedanken und andererseits liefern sie aber auch Pro-Suizid-Angebote.

Pandemieauswirkungen
Die Pandemie hat nicht nur eine enorme primäre Krankheitslast, sondern zahlreiche suizidbegünstigende, psychische Störungen und Belastungen gebracht. Der mit den Einschränkungen, der Angst oder der Krankheit einhergehende Stress führte zu einer deutlichen Zunahme psychischer Erkrankungen, besonders bei bestimmten Bevölkerungsgruppen wie alleinerziehenden Müttern oder alten, alleinstehenden Menschen.
Überraschenderweise hat sich dies vorerst nicht auf die Suizidzahlen ausgewirkt, im Gegenteil: Bei den ersten Lockdowns im Jahr 2020 war sogar ein Rückgang der Suizide und Suizidversuche zu beobachten. Dies hat wohl mit der Intensivierung des Hilfsangebots zu tun. Im weiteren Verlauf der Pandemie hat dieser Effekt nachgelassen und nicht mehr zu einem Rückgang, aber auch nicht zu einer signifikanten Zunahme der Suizidzahlen geführt, auch nicht bei uns in Vorarlberg.
Inwieweit die besonders die Psyche betreffenden Long-COVID-Folgen sich auch in Veränderungen der Suizidzahlen manifestieren werden, wird der Verlauf in den nächsten fünf Jahren zeigen.

Seit 2022: der Assistierte Suizid

Mit 01.01.2022 ist auch in Österreich der Assistierte Suizid möglich (siehe Schwerpunkt im Suizidbericht 2021). Bis Ende 2022 gab es in Österreich nur wenige Fälle. Im Nachbarland Schweiz hat die Anzahl der assistierten Suizide zwischen 2009 und 2020 pro Jahr jedenfalls um den Faktor 4,2 zugenommen. Aus ärztlich-therapeutischer Sicht ist ein flächendeckendes Angebot medizinisch-psychiatrischer, psychologisch-psychotherapeutischer, psychosozialer und palliativmedizinischer Versorgung von schwer kranken Menschen zu fordern.

Link zum Suizidbericht