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„Erdrückende Besatzung“: Die Rede des UN-Generalsekretärs, die Israel entzürnt

UNO-Chef António Guterres kritisiert Verstöße gegen das Völkerrecht auf beiden Seiten. Schutz der Bevölkerung bedeute nicht, „Millionen Menschen in den Süden zu befehlen“, wo diese nicht versorgt werden könnten. Israel will UNO-Vertretern nun keine Visa geben.

Bei einer Sitzung des Weltsicherheitsrates ist es zu einem Eklat zwischen Israel und UN-Generalsekretär António Guterres gekommen. Guterres verurteilte am Dienstag bei der Sitzung in New York die Angriffe von Terroristen im Auftrag der islamistischen Hamas auf Israel erneut auf Schärfste. Er sagte auch mit Blick auf die 56 Jahre dauernde „erdrückende Besatzung“ durch Israel: „Es ist wichtig zu erkennen, dass die Angriffe der Hamas nicht im luftleeren Raum stattfanden.“

Dass Guterres Israel den Gazastreifen als „besetzt“ bezeichnet, ist insofern interessant, als dieser eigentlich unter Selbstverwaltung der Palästinenser steht. Die Hamas verwaltet den Gazastreifen. Allerdings kontrolliert Israel den Gazastreifen von außen, durch die Kontrolle der Grenze und der Waren und Personen, die diese passieren. Dabei darf man allerdings auch die Grenze zu Ägypten nicht vergessen zu erwähnen, die der Verwaltung von Gaza ebenfalls zur Versorgung nutzen kann.

Kritik an Angriffen und Evakuierungsauffordungen

Guterres kritisierte am Dienstagabend auch Israels Angriffe auf den Gazastreifen. „Der Schutz der Zivilbevölkerung bedeutet nicht, mehr als eine Million Menschen zur Evakuierung in den Süden zu befehlen, wo es keine Unterkünfte, keine Nahrung, kein Wasser, keine Medikamente und keinen Treibstoff gibt, und dann den Süden selbst weiter zu bombardieren“, sagte Guterres. Er sei „zutiefst besorgt über die eindeutigen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht“ in Gaza.

„Die Beschwerden des palästinensischen Volkes können die entsetzlichen Angriffe der Hamas nicht rechtfertigen. Und diese entsetzlichen Angriffe können die kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen“, sagte Guterres. Den ganzen Redetext finden Sie am Ende des Artikels in der Infobox.

Cohen: „Kein Platz mehr für eine ausgewogene Position“

Israels UNO-Botschafter Gilad Erdan angekündigt, Vertretern der Vereinten Nationen keine Visa mehr zu geben. Israel habe bereits Nothilfe-Koordinator Martin Griffith die Einreise verweigert, sagte Erdan dem israelischen Armeesender am Mittwoch. „Es ist Zeit, dass wir ihnen eine Lektion erteilen.“ Israel hatte allerdings bereits in der Vergangenheit UNO-Beobachtern die Einreise verweigert.

UNO-Generalsekretär Guterres zeigte sich unterdessen “schockiert über die falschen Darstellungen“. Es sei, „als ob ich die Terrorakte der Hamas rechtfertigen würde“, so Guterres vor Journalisten. Dies sei falsch, sagte er zu seiner Aussage vom Vortag über die radikalen Islamisten. „Das Gegenteil war der Fall.“ Er wolle dies richtigstellen, vor allem aus Respekt vor den Opfern und ihren Familien.

Zuvor sagte Israels Außenminister Eli Cohen ein Treffen mit Guterres ab und schrieb auf der Plattform X: „Ich werde den UNO-Generalsekretär nicht treffen. Nach dem 7. Oktober gibt es keinen Platz mehr für eine ausgewogene Position.“ Ein Sprecher des Außenministeriums in Jerusalem bestätigte die Absage.

Nach Angaben aus Diplomatenkreisen hatten einige arabische Delegationen bei der Rede Cohens den Raum verlassen, darunter jene aus Algerien und Libyen. Vertreter Jordaniens, Ägyptens, Saudi-Arabiens und der Vereinten Arabischen Emirate seien aber sitzen geblieben.

Israel fordert Guterres zum Rücktritt auf

Der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen forderte Guterres zum Rücktritt auf. Guterres' Aussage sei eine „reine Blutverleumdung“, sagte Gilad Erdan am Dienstag in New York. Das Leid der israelischen Zivilbevölkerung sei dem UNO-Chef egal. „Ich denke, dass der Generalsekretär zurücktreten muss“, sagte Erdan.

Die Aussage, dass „der mörderische Terrorangriff der Nazi-Hamas nicht im luftleeren Raum stattfand“, sei eine Rechtfertigung von Terror und Mord, warf Erdan Guterres vor. Guterres habe eine „verzerrte und unmoralische Sicht“ des am 7. Oktober von Hamas-Terroristen in Israel verübten Massakers, schrieb Erdan in einem X-Post. Israel beklagte nach dem Angriff mehr als 1400 Tote.

Guterres sagte, das palästinensische Volk habe miterlebt, wie sein Land durch Siedlungen dezimiert und von Gewalt heimgesucht worden sei. Die Hamas-Angriffe könnten die „kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen“, sagte er.

Israel gegen Feuerpause - mit Rückendeckung der USA

Israels Außenminister lehnte eine Feuerpause mit drastischen Worten ab. „Sagen Sie mir: Was ist Ihre verhältnismäßige Reaktion auf die Tötung von Babys, die Vergewaltigung und Verbrennung von Frauen und die Enthauptung eines Kindes? Wie kann man einem Waffenstillstand mit jemandem zustimmen, der geschworen hat, Sie zu töten und die eigene Existenz zu zerstören?“, rief Cohen. „Wir haben uns nicht für diesen Krieg entschieden, haben aber keinen Zweifel daran, dass wir gewinnen werden.“ Die Hamas seien „die neuen Nazis“.

Die USA stärkte Israel den Rücken. „Wir müssen das Recht jeder Nation bekräftigen, sich zu verteidigen und zu verhindern, dass sich solcher Schaden wiederholt“, sagte US-Außenminister Antony Blinken. „Kein Mitglied dieses Rates, keine Nation in diesem gesamten Gremium könnte oder würde das Abschlachten seines Volkes tolerieren.“

Blinken betonte, dass die Hamas nicht das palästinensische Volk vertritt. Palästinensische Zivilisten könnten nicht für das Blutbad der Hamas verantwortlich gemacht werden und müssen geschützt werden. „Es gibt keine Hierarchie, wenn es um den Schutz von zivilem Leben geht. Ein Zivilist ist ein Zivilist ist ein Zivilist, unabhängig von seiner Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Alter, Geschlecht oder Glaube“, sagte Blinken. (APA/dpa)

Der Redetext Guterres` in der deutschen Übersetzung

Den von der UNO veröffentlichten, englischen Redetext finden Sie hier.

Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis werde ich eine kurze Einführung geben und dann meine Kollegen bitten, den Sicherheitsrat über die Lage vor Ort zu informieren.

Exzellenzen, Die Lage im Nahen Osten wird von Stunde zu Stunde schlimmer. Der Krieg in Gaza tobt und es besteht die Gefahr, dass er sich auf die gesamte Region ausweitet. Spaltungen zersplitten Gesellschaften. Die Spannungen drohen überzukochen.

In einem entscheidenden Moment wie diesem ist es wichtig, sich über die Prinzipien im Klaren zu sein – angefangen beim Grundprinzip der Achtung und des Schutzes der Zivilbevölkerung.

Ich habe die schrecklichen und beispiellosen Terroranschläge der Hamas in Israel vom 7. Oktober unmissverständlich verurteilt. Nichts kann die vorsätzliche Tötung, Verletzung und Entführung von Zivilisten – oder den Abschuss von Raketen auf zivile Ziele – rechtfertigen.

Alle Geiseln müssen menschlich behandelt und sofort und bedingungslos freigelassen werden. Ich nehme mit Respekt die Anwesenheit ihrer Familienangehörigen unter uns zur Kenntnis.

Exzellenzen,
Es ist wichtig zu erkennen, dass die Angriffe der Hamas nicht im luftleeren Raum stattfanden. Das palästinensische Volk war 56 Jahre lang einer erdrückenden Besatzung ausgesetzt. Es hat miterlebt, wie sein Land ständig durch Siedlungen verschlungen und von Gewalt heimgesucht wurde. Seine Wirtschaft kam zum Stillstand; Seine Leute wurden vertrieben und seine Häuser zerstört. Seine Hoffnungen auf eine politische Lösung ihrer Notlage sind geschwunden.

Aber die Beschwerden des palästinensischen Volkes können die entsetzlichen Angriffe der Hamas nicht rechtfertigen. Und diese entsetzlichen Angriffe können die kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen.

Exzellenzen,
Sogar der Krieg hat Regeln. Wir müssen verlangen, dass alle Parteien ihre Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht einhalten und respektieren. Seien Sie bei der Durchführung militärischer Operationen ständig darauf bedacht, Zivilisten zu schonen. Und respektieren und schützen Sie Krankenhäuser und respektieren Sie die Unverletzlichkeit der UN-Einrichtungen, in denen heute mehr als 600.000 Palästinenser untergebracht sind.

Die unerbittliche Bombardierung des Gazastreifens durch israelische Streitkräfte, die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung und die massive Zerstörung von Stadtvierteln nehmen weiter zu und sind zutiefst besorgniserregend.

Ich trauere und ehre die Dutzenden von UN-Kollegen, die für UNRWA arbeiten – leider mindestens 35 und mehr –, die in den letzten zwei Wochen bei der Bombardierung von Gaza getötet wurden. Ich schulde ihren Familien meine Verurteilung dieser und vieler anderer ähnlicher Tötungen.

Der Schutz der Zivilbevölkerung ist in jedem bewaffneten Konflikt von größter Bedeutung. Der Schutz der Zivilbevölkerung kann niemals bedeuten, sie als menschliche Schutzschilde zu nutzen.

Der Schutz der Zivilbevölkerung bedeutet nicht, mehr als eine Million Menschen zur Evakuierung in den Süden zu befehlen, wo es keine Unterkunft, keine Nahrung, kein Wasser, keine Medikamente und keinen Treibstoff gibt, und dann den Süden selbst weiter zu bombardieren. Ich bin zutiefst besorgt über die eindeutigen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die wir in Gaza beobachten.

Lassen Sie mich klarstellen: Keine Partei eines bewaffneten Konflikts steht über dem humanitären Völkerrecht.

Exzellenzen,
Glücklicherweise gelangt endlich humanitäre Hilfe nach Gaza. Aber es ist ein Tropfen Hilfe in einem Ozean der Not. Darüber hinaus werden unsere UN-Treibstoffvorräte in Gaza in wenigen Tagen zur Neige gehen. Das wäre eine weitere Katastrophe. Ohne Treibstoff kann keine Hilfe geleistet werden, Krankenhäuser haben keinen Strom und Trinkwasser kann nicht gereinigt oder gar gepumpt werden.

Die Menschen in Gaza brauchen eine kontinuierliche Hilfeleistung in einem Ausmaß, das dem enormen Bedarf entspricht. Diese Hilfe muss ohne Einschränkungen geleistet werden.

Ich grüße unsere UN-Kollegen und humanitären Partner in Gaza, die unter gefährlichen Bedingungen arbeiten und ihr Leben riskieren, um den Bedürftigen Hilfe zu leisten. Sie sind eine Inspiration. Um episches Leid zu lindern, die Lieferung von Hilfsgütern einfacher und sicherer zu machen und die Freilassung von Geiseln zu erleichtern, bekräftige ich meinen Aufruf zu einem sofortigen humanitären Waffenstillstand.

Exzellenzen, Selbst in diesem Moment großer und unmittelbarer Gefahr dürfen wir die einzig realistische Grundlage für echten Frieden und Stabilität nicht aus den Augen verlieren: eine Zwei-Staaten-Lösung.

Die Israelis müssen ihre legitimen Bedürfnisse nach Sicherheit verwirklicht sehen, und die Palästinenser müssen ihre legitimen Bestrebungen nach einem unabhängigen Staat im Einklang mit den Resolutionen der Vereinten Nationen, dem Völkerrecht und früheren Vereinbarungen verwirklicht sehen.

Schließlich müssen wir uns über den Grundsatz der Wahrung der Menschenwürde im Klaren sein.

Polarisierung und Entmenschlichung werden durch einen Tsunami an Desinformation angeheizt. Wir müssen den Kräften des Antisemitismus, der antimuslimischen Bigotterie und allen Formen des Hasses die Stirn bieten.

Herr Präsident, Exzellenzen,
Heute ist der Tag der Vereinten Nationen und markiert den 78. Jahrestag des Inkrafttretens der UN-Charta. Diese Charta spiegelt unser gemeinsames Engagement für die Förderung von Frieden, nachhaltiger Entwicklung und Menschenrechten wider.

An diesem UN-Tag, in dieser kritischen Stunde, appelliere ich an alle, sich vom Abgrund zurückzuziehen, bevor die Gewalt noch mehr Menschenleben fordert und sich noch weiter ausbreitet.

Vielen Dank.