Austria
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AKW Paks: Erdbeben-Verschiebungen in 30 Meter Tiefe?

Nicht nur die Baupläne beim Atomkraftwerk Paks in Ungarn beschäftigen Österreichs Atomkraftgegner, sondern auch das Schweizer AKW Beznau.

Etwa 260 Kilometer ist das ungarische Atomkraftwerk Paks an der Donau von Wien bzw. von Graz entfernt, aber eine derartige Entfernung ist bei einer ernsten Havarie kein Schutzschild. Nicht zuletzt deshalb sind Atom-Anlagen immer wieder Gegenstand zwischenstaatlicher Verhandlungen.

Obwohl in der Sache kontroversiell, haben in der Vorwoche Delegationen aus Ungarn und Österreich die Meinungen „in einem guten Klima“, wie es seitens der Ländervertreter heißt, ausgetauscht.

Tatsächlich haben die Kraftwerksbetreiber und die ungarische Atomaufsichtsbehörde den Experten und Beamten aus Österreich (von Bund und Bundesländern) die Möglichkeit eingeräumt, die Baustelle zu besichtigten. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, denn in internationalen Vereinbarung ist eine derartige Besichtigung nicht vorgesehen – lediglich die grenzüberschreitende Teilnahme an einer Prüfung der Umweltverträglichkeit ist aufgrund der Espoo-Konvention vorgeschrieben. Vitales Interesse daran gibt es auch im Burgenland, das keine 200 Kilometer von Paks entfernt ist.

Angenähert haben sich die Positionen vorerst allerdings nicht: Ungarn möchte beim bestehenden Atomkraftwerk südlich von Budapest zwei neue Reaktoren errichten. Die Einwände dagegen werden von Österreich nicht nur mit der grundsätzlichen Einstellung zur Unwirtschaftlichkeit und Gefährlichkeit von Atomkraftwerken begründet, sondern auch ganz konkret mit den Fakten am Bauplatz.

In einer Studie der TU Wien haben Kurt Decker (Institut für Geologie an der Universität Wien) und Esther Hintersberger (als sie an der Studie gearbeitet hat, forschte sie noch an der Uni Wien) festgestellt: „Die Möglichkeit des Auftretens einer dauerhaften Oberflächenverschiebung am Standort Paks II kann durch wissenschaftliche Belege nicht zuverlässig ausgeschlossen werden. Der Standort Paks II sollte daher als ungeeignet angesehen werden.“ Es seien zwölf oberflächendurchbrechende Verwerfungen entdeckt worden, die bei zwei separaten oberflächendurchbrechenden Erdbeben vor etwa 20.000 und 19.000 Jahren entstanden seien. Aus österreichischer Perspektive ist diese Erdbebengefahr ein Ausschlussgrund, hier ein Atomkraftwerk zu errichten.

Betreiber und ungarische Atomaufsichtsbehörde sehen dies gänzlich anders, sie meinen, einem Bau stehe nichts entgegen. Deshalb gibt es auch eine Standortlizenz (aus dem Jahr 2017), die grundsätzlich grünes Licht für den Bau gibt. Das endgültige „Go“ gibt es erst durch Baubescheide, die gibt es erst für die Nebengebäude, nicht aber für den Reaktor selbst.

Die Baustelle ist nun auch von der österreichischen Delegation – knapp ein Dutzend Leute – besichtigt worden. Die Baugrube ist mehrere Meter tief – nicht mehr als ein erster Anfang. Denn die Grabungen müssen 25 bis 30 Meter in die Tiefe reichen. Der Beginn der Aushub-Arbeiten sieht auf den ersten Blick nach Schaffung einer vollendeten Tatsache aus, könnte aber auch genau das Gegenteil sein, nämlich eine genaue Betrachtung der seismischen Gegebenheiten: Ist die Baugrube erst einmal komplett ausgehoben, wäre es ein Leichtes, durch geologische Grabungen festzustellen, wie stark die Verwerfungen der Erdschichten direkt am bzw. unter dem Bauplatz sind.

Dies zu prüfen wäre auch aufgrund ungarischer Rechtslage ein Gebot der Stunde. Denn das „Regierungsdekret Nr. 118 von 2011 über die Anforderungen an die nukleare Sicherheit“, insbesondere dessen „Anforderung 7.3.1.1100“ verlangt, dass die Möglichkeit des Auftretens einer dauerhaften Oberflächenverschiebung am Standort Paks II ausgeschlossen werden muss. Die österreichischen Experten meinen, dass so ein Ausschluss eben nicht möglich wäre.

Das Projekt in Paks ist auch aus mehreren anderen Gründen nicht so fix, wie es in Ungarn dargestellt wird. Die Betreibergesellschaft hat für den Bau von Paks II einen Vertrag mit dem russischen Atomkonzern „Rosatom“ abgeschlossen. In Zeit der galoppierenden Inflation ist allerdings fraglich, ob der 2014 vereinbarte Preis von 12,5 Milliarden Euro hält. Vier Fünftel der Summe soll durch russische Kredite aufgebracht werden.

Dazu kommt noch, dass das AKW selbst nach Erteilen einer Baulizenz noch das grüne Licht von der Atomenergiebehörde (IAEA) abwarten muss. Ob ein solcher Sicherheitsbericht ausgestellt wird, bleibt offen. Nicht zuletzt deshalb, weil ein von Rosatom verfasster Sicherheitsbericht für das finnische AKW-Projekt Hanhikivi, wo ein baugleicher Reaktor wie in Paks (AES-2006) hätte errichtet werden sollen, mehrere Male zurückgeworfen worden ist. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine haben die Finnen das AKW-Projekt mit russischer Beteiligung beendet, die Frage, ob der Hanhikivi-Reaktor von der IAEA akzeptiert worden wäre, bleibt damit unbeantwortet.

Mittlerweile treten einige EU-Mitglieder dafür ein, den russischen Staatskonzern Rosatom auf die Sanktionsliste zu setzen – was nicht ohne Folgen für das ungarische Projekt in Paks bliebe. In diesem Umfeld wird es als Akt des guten Willens betrachtet, dass die Österreicher die Baustelle haben besichtigen können. Und als „Good will“ ist auch angekommen, dass die rot-weiß-rote Delegation „zeitnah“ zu einem weiteren meeting nach Ungarn eingeladen worden ist.

Unterdessen hat in Westösterreich in der Vorwoche eine Meldung vom Schweizer Atomkraftwerk Beznau, südlich von Koblenz, für Aufregung gesorgt. Die beiden Reaktoren sind 1969 und 1972 in Betrieb gegangen und stehen etwa 100 Kilometer westlich von Vorarlberg und 200 Kilometer von München.

Stein des Anstoßes sind die Shock-Absorber zweier Notstrom-Dieselaggregate, die nicht eingebaut waren. Das Fehlen wurde 30 Jahre lang nicht entdeckt. Dies war deshalb möglich, weil die Stoßdämpfer in der Dokumentation nicht angeführt waren – bei Routine-Checks also weder den Betreibern, noch der Atomaufsicht abgingen.

In einem Bericht von Ensi, der Schweizer Atomaufsicht, heißt es, dass durch das Fehlen der Teile die Sicherheit gegenüber Erdbeben nicht komplett weggefallen war, sondern nur zu einem Teil und jedenfalls immer über den Mindesterfordernissen gelegen sei – bis auf knapp acht Wochen im Jahr 2012.

Eine Grafik der Ensi zeigt, dass in Beznau bis 1984 gar keine spezifischen Erdbebenanforderungen definiert waren, und habe dann bis Ende März 2012 die „Anforderungen erfüllt“, wie es lapidar heißt. Mit April traten dann schärfere Regeln in Kraft (als Reaktion auf die verheerende Atom-Katastrophe im japanischen AKW Fukushima im März 2011), bis zum 25. Mai 2012 habe Beznau die spezifischen „Anforderungen nicht vollständig“ erfüllt. Am 25. Mai dieses Jahres wurden zwar die Stoßdämpfer noch immer nicht eingebaut, wohl aber zwei weitere Dieselaggregate in Betrieb genommen.

Das Fehlen der Stoßdämpfer wurde erst am 7. Dezember 2020 entdeckt, die beiden Blöcke wurden zwei Tage später vom Netz genommen, bis zum 21. Dezember wurden dann die Stoßdämpfer montiert. Der Bericht der Atomaufsicht ist Monate später, mit 16. Juni 2021 datiert.

Als Reaktion auf den Vorfall wird nun eine Richtlinie verfasst, die bis zum Donnerstag kommentiert werden konnte. Das Dokument („Organisation von Kernanlagen“) schreibt in Punkt 4.6 c vor: „Die im Managementsystem enthaltene Dokumentation muss den aktuellen Zustand der Anlage und der Organisation abbilden.“

Für Martin Litschauer, Anti-Atom-Sprecher des Nationalrats-Klubs der Grünen, ein Skandal: „Das AKW ist weder auf den Klimawandel vorbereitet, wie die Kühlwasserprobleme heuer im Sommer gezeigt haben, noch kann man von den höchsten Sicherheitsstandards ausgehen, denn sonst hätte so ein Fehler wie der jetzt bekannt gewordene nicht Jahrzehnte lang übersehen werden können. Es ist höchste Zeit, dass der Uraltmeiler durch Erneuerbare Energie ersetzt wird.“