Austria
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Der ORF und das Dramolett der blauen Seiten [premium]

Eine Ankündigung von Roland Weißmann zeigt, wie schwierig es ist, in Österreich kleine vernünftige Reformen durchzusetzen.

Der Autor

Veit V. Dengler ist Unternehmer und vormaliger CEO der Mediengruppe der „Neuen Zürcher Zeitung“ („NZZ“) in der Schweiz. Gemeinsam mit Matthias Strolz konzipierte Dengler die Partei Neos und war bis Oktober 2013 stellvertretender Vorsitzender. Er hat acht bezahlte Medienabos und sieht viel ORF linear, er ist ja auch schon 53.

In der österreichischen Medienblase gibt es Aufregung über die Ankündigung von ORF-Generaldirektor Roland Weißmann, den Online-Auftritt des ORF in Richtung mehr Video und weniger Text umzubauen. Er plant, den Umfang der „blauen Seiten“ von 120 bis 130 geschriebenen Meldungen pro Tag auf circa 60 zu reduzieren.
Das ist keine Nachricht, die viel Aufsehen erregen sollte. Der Medienkonsum gerade Jüngerer verschiebt sich deutlich Richtung Bewegtbild. Daher ist es konsequent, wenn auch der ORF sein Angebot zeitgemäßer, mit mehr Bewegtbild, gestaltet. Dabei darf er die Seh-, Hör- und Lesegewohnheiten der Älteren nicht aus den Augen verlieren; schließlich hat die Anstalt einen Versorgungsauftrag für die gesamte Bevölkerung.

Mit Bewegtbildern versorgen sich die über 50-Jährigen noch zu 90 Prozent über lineares Fernsehen, im Gegensatz zu Jüngeren, die sich immer stärker Video on Demand, Streaming oder Plattformen wie YouTube zuwenden. (Über alle Bevölkerungsschichten hinweg macht Print übrigens nur mehr acht Prozent der Mediennutzung aus.) Der Trend zum Bewegtbild hat längst auch auf das Aneignen von Wissen übergegriffen. 40 Prozent der Studierenden recherchieren online bereits mehr über Video als über geschriebenen Text. Und selbst diejenigen, die nach wie vor auf Buchstaben bauen, ziehen Videos großmehrheitlich zur Unterstützung hinzu.

Ressourcen effizient einsetzen

Das alles kann man gut oder schlecht finden. Aber es ist illusorisch, dass 60 Textmeldungen diesen Megatrend auch nur minimal verändern. Wenn Roland Weißmann den Online-Auftritt des ORF behutsam verschieben will, entspricht das dem Nutzungsverhalten. Natürlich muss der Umbau ohne bürokratisches Monster mit Artikelzählbeauftragten etc. erfolgen, durch eine Adaptierung existierender Gefäße und Prozesse. Dann werden die Ressourcen der Redaktion effizienter eingesetzt, was indirekt die Geldbeutel der Beitragszahlerinnen schont, die den ORF finanzieren.
Was Weißmann sicherlich falsch eingeschätzt hat, ist die dramatische Ader der hiesigen platonischen Wächter. Der ORF-Redaktionsvertreter Dieter Bornemann befürchtet zum Beispiel, dass Menschen sich anderen, ebenfalls kostenlos zugänglichen Plattformen zuwenden, die eine politische Agenda hätten und Fake News lieferten, wenn ORF.at weniger Text haben wird. Während er seinen Kollegen in der Textredaktion offenbar zutraut, mit anderen Plattformen zu konkurrieren, zeigt er gegenüber seinen Videokollegen nicht dasselbe Vertrauen? Für ein audiovisuelles Haus wie den ORF eigentlich kurios.