Austria
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Er gab der österreichischen Seele ein Gesicht

Sein Leben stand mehrmals an der Kippe. So auch Mitte der 50er-Jahre, als Karl Merkatz gemeinsam mit dem Schriftsteller Thomas Bernhard, den er am Schauspiel-Institut des Mozarteums kennengelernt hatte, vom Kapuzinerberg in die Tiefe springen wollte. Da oben saßen die beiden, und nach längerem Zögern sagte Merkatz: "Na, måch ma’s net." Also marschierten die beiden zurück in die Stadt – und zwei eindrucksvolle Karrieren nahmen ihren Lauf. Am Sonntag ist Karl Merkatz im Alter von 92 Jahren in Irrsdorf an der Salzburger Grenze zu Oberösterreich gestorben.

Zwei Rollen prägten die öffentliche Wahrnehmung des 1930 in Wiener Neustadt als Sohn einer Weberin und eines Werkzeugmachers zur Welt Gekommenen: jene des Mundl Sackbauers in "Ein echter Wiener geht nicht unter" (1975–1979) – und jene der Hauptfigur in Franz Antls für den Oscar nominiertem Regie-Meisterstück "Der Bockerer" (1981, bis 2003 folgten drei weitere Teile). Jahrzehntelang überblendete das Image dieser beiden goscherten, unpolitischen Figuren mit goldenem Herzen die Aufmerksamkeit für Merkatz’ Arbeit.

1945 waren Russen in Merkatz’ Elternhaus eingedrungen. Zusammen mit Freunden musste sich der damals 15-Jährige mit dem Gesicht zur Wand aufstellen. "Dahinter legten Soldaten Gewehre an und als der Schießbefehl kam, hat keiner geschossen. Ich habe mich vor Angst angemacht, aber anstelle erschossen zu werden, haben wir erleben müssen, wie meine Schwester und eine 15-jährige Schulfreundin vergewaltigt wurden", sagte Merkatz in einem seiner vielen Gespräche mit den OÖN. Einer der Offiziere hätte ihm zudem "seinen Trommelrevolver an die Schläfe gehalten und abgedrückt – ausgerechnet in diesem Fach befand sich keine Patrone". Von da an hatte Merkatz stets eine Pistole eingesteckt, mit der er die Mädchen, die er von der Kirchenchorprobe nach Hause begleitete, beschützen wollte.

Dieses Erlebnis ließ Merkatz nie wieder los. Um seine Eltern zu beruhigen, machte er eine Tischlerlehre, ehe er sich in Salzburg, Wien und Zürich zum Schauspieler ausbilden ließ. Als Kunst wollte er die Schauspielerei jedoch nie durchgehen lassen, "sondern es ist ein Handwerk, das in der Öffentlichkeit stattfindet".

Vor seinem ersten Engagement verschickte er mehr als 40 Bewerbungen an Theater im deutschen Sprachraum. Heilbronn bot ihm eine Chance, dort lernte er Martha Metz kennen. Die beiden heirateten 1956, der 66 Jahre währenden Ehe entstammen die Töchter Gitta (*1958) und Josefine (*1962). Seine Frau war auch die Einzige, die ihn jahrelang während seiner jeweils dreimonatigen Reisen ins australische Outback begleiten durfte.

Nach Heilbronn ging es schnell: In Nürnberg, Köln, München und Hamburg feierte Merkatz Erfolge, "aber in Österreich hat mich noch immer kein Mensch gekannt". Das änderte sich mit dem "Mundl" ab 1975: Die Sprüche der Figur sickerten in die Alltagssprache ein, auf der Straße wurde ihm "Muundi" nachgeschrien. Zunächst ärgerte er sich über die Zuschreibung, im Alter freute er sich über die Aufmerksamkeit. Parallel dazu stand Merkatz in mehr als 150 Rollen längst auch in Josefstadt, Burgtheater und Theater an der Wien auf der Bühne. Samuel Becketts "Warten auf Godot" blieb sein Lieblingsstück. 1999 wurde Merkatz zum Obmann von SOS Mitmensch gewählt, 2009 zog er sich vom Theater zurück, Filme drehte er bis 2019.

Auf die Frage, ob er sich vor dem Tod fürchte, sagte Merkatz den OÖN zuletzt: "Überhaupt nicht. Was soll ich da fürchten? Der Tod ist eben, weil er unvermeidbar ist."

Karl Merkatz - ein Rückblick auf sein Schaffen: