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Fragen und Antworten zum Wirecard-Prozess

Rund zweieinhalb Jahre nach dem Auffliegen der Milliardenpleite ist es kommenden Donnerstag so weit: In München beginnt der Wirecard-Prozess. Der Ex-Chef des Zahlungsabwicklers, Markus Braun, und zwei weitere frühere Manager müssen sich vor dem Landgericht München I verantworten. Ihnen werden Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Untreue und gewerbsmäßiger Bandenbetrug vorgeworfen, bis zu 15 Jahre Haft drohen. Richter Markus Födisch hat vorerst 100 Verhandlungstage anberaumt.

  1. Worum geht es? Kerngeschäft von Wirecard war es, elektronische Zahlungen an der Schnittstelle zwischen Kreditkartenfirmen und Einzelhändlern abzurechnen und dafür Gebühren zu kassieren. Der Anklage zufolge sollen die Manager aber Umsätze in den Bilanzen erfunden haben, um Anleger und Kreditgeber zu täuschen. Diese haben eine zweistellige Milliardensumme verloren. In Summe soll die Pleite mehr als 20 Milliarden Euro vernichtet haben.
  2. Wer wird beschuldigt? Markus Braun, Oliver Bellenhaus und Stephan von Erffa. Braun, gebürtiger Wiener, zog als Konzernchef die Fäden. Er weist die Vorwürfe zurück. Bellenhaus war Statthalter von Wirecard in Dubai und gilt im Prozess als Kronzeuge. Wie Braun sitzt er im Gefängnis München-Stadelheim in Untersuchungshaft. Von Erffa, ehemaliger Bilanzchef des Konzerns, ist auf freiem Fuß. Er will sich seinem Anwalt zufolge derzeit nicht zu der Anklage äußern.
  3. Was steht in der Anklage? 474 Seiten umfasst die Anklageschrift. Ihr liegen 450 Vernehmungen, 42 Terabyte ausgewertete Daten und 40 durchsuchte Objekte zugrunde. Der Kernvorwurf der Anklage dreht sich um Zahlungsdienste, die Wirecard an Dritte ausgelagert haben soll, etwa für Geschäfte mit Pornographie und Glücksspiel. Die Erlöse aus diesen Geschäften hätten jedoch nie existiert, ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. Seit 2015 seien Wirecard-Bilanzen und Geschäftsprognosen falsch gewesen. Die Rede ist von einem "System nach dem Prinzip teile und herrsche", von einem "militärisch-kameradschaftlichen Korpsgeist und Treueschwüren" und von psychischem Druck.
  4. Wo ist Jan Marsalek? Während seine ehemaligen Managerkollegen vor Gericht aussagen müssen, hält sich Ex-Vertriebschef Marsalek noch immer versteckt. Ermittler vermuten den 42-Jährigen derzeit in Moskau. Marsalek, der wie Braun Österreicher ist, wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Nach dem Auffliegen der Pleite floh er mit einem Privatjet über Weißrussland nach Russland.
  5. Welche Verbindung gibt es noch nach Österreich? Konzernchef Braun pflegte enge Kontakte in die Politik und beriet Ex-Kanzler Sebastian Kurz.
  6. Was ist vom Prozess zu erwarten? Beobachter rechnen wegen des Umfangs und der Komplexität frühestens 2024 mit einem Urteil. Zu Beginn trägt die Staatsanwaltschaft den 89-seitigen Anklagesatz vor. Allein das wird geschätzt fünf Stunden dauern. Verhandelt wird im Gerichtssaal im Gefängnis München-Stadelheim, der 250 Quadratmeter groß ist, fünf Meter unter der Erde liegt und einen Meter dicke Wände hat. Prozesse gegen Terroristen und Schwerverbrecher finden dort statt.
  7. Welche Folgen hatte der Skandal? Wirtschaftlich und politisch löste der Wirecard-Skandal ein Beben aus. Bei der Aufsichtsbehörde BaFin, bei der so genannten "Bilanzpolizei" DPR und beim Wirtschaftsprüfer EY mussten führende Köpfe gehen. Die Finanzaufsicht wurde reformiert. Wirecard ging als erstes im deutschen Leitindex DAX notiertes Unternehmen pleite.

Chronologie

1999 - Gründung: Detlev Hoppenrath und Peter Herold gründen Wire Card. Das Start-up wickelt digitale Zahlungen ab und kassiert Gebühren. Markus Braun und Jan Marsalek stoßen dazu.

2006 - Wachstum: Das Unternehmen wird in Wirecard umbenannt, Braun Vorstandschef. Es folgen Expansionen nach Singapur, Neuseeland, Australien und China.

2015 - Ungereimtheiten: In der Artikelserie „House of Wirecard“ weist die Financial Times auf Ungereimtheiten hin. 2018 ist Wirecard an der Börse 25 Milliarden Euro wert. Ex-Kanzlerin Angela Merkel wirbt für das Unternehmen.

2019 - Pleite: Vorwürfe der Bilanzfälschung tauchen auf. Nach Ermittlungen wird im Juni 2020 klar, dass 1,9 Milliarden Euro auf Konten auf den Philippinen fehlen. Wirecard geht pleite, Braun wird festgenommen, Marsalek taucht unter.

2022 - Anklage: Im März erhebt die Staatsanwaltschaft München Anklage gegen drei Ex-Manager. Prozessbeginn ist am 8. Dezember.