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Milena Michiko Flašar: Kein Lächeln nach Vorschrift [premium]

Suzus letzte Beziehung ist durch Ghosting zu Ende gegangen, ein Studium hat sie abgebrochen, die Eltern leben woanders, sie hat keinen Freundeskreis. Und nun ist sie auch noch arbeitslos – Milena Michiko Flašarswunderbarer Roman „Oben Erde, unten Himmel“.

Wieder war ein Tag vergangen, und ich war niemandem zur Last gefallen. Ein Tablett nach dem anderen hatte ich an die nummerierten Tische befördert. Ich hatte vorschriftsmäßig gegrüßt und gelächelt.“ Trotz aller Berücksichtigungen der Vorschriften wird Suzu, die als Aushilfskellnerin arbeitet, leider entlassen – wegen „mangelnden Liebreizes“. Es fehle ihr das „soziale Plus“, behauptet der Geschäftsführer und gibt ihr zum Abschluss noch den Ratschlag, sich einen Job zu suchen, bei dem sie so wenig wie möglich mit Menschen zu tun hat. Doch ist es nicht auch ein soziales Plus, unaufdringlich zu sein, die Leute nicht indiskret auszufragen und ihnen keine Dinge aufzudrängen, die sie in Wirklichkeit gar nicht wollen?

In einer japanischen Großstadt lebt die 25-jährige Suzu allein in einer Einzimmerwohnung, Gesellschaft hat sie nur durch ihren Goldhamster Punsuke, den sie aber kaum sieht, weil er nachtaktiv ist. Immerhin fühlt sie sich durch ihre täglichen Versorgungspflichten auf eine gewisse Weise geborgen. Ihre letzte Beziehung ist durch Ghosting zu Ende gegangen, ihr Datingpartner hatte sich nach drei Monaten loser Treffen einfach nicht mehr gemeldet. Und nun ist sie auch noch arbeitslos.

Ein Single-Bento im Konbini

Die österreichisch-japanische Schriftstellerin Milena Michiko Flašar beginnt ihren Roman „Oben Erde, unten Himmel“ mit der tristen Situation einer Mittzwanzigerin, der gerade alle Felle davonschwimmen. Wieder ist es eine Außenseiterin, die Flašar in den Mittelpunkt stellt. Ihre Figuren stehen meist am Rand der Mehrheitsgesellschaft, als Beobachter oder mit unkonventionellen Berufen oder Absichten. In ihrem erfolgreichen Roman „Ich nannte ihn Krawatte“, für den sie den Alpha-Literaturpreis erhielt, waren es zwei ungleiche Männer, die auf einer Parkbank ins Gespräch kamen, ein junger Hikikomori, der sich langsam wieder aus seinem Zimmer traute, und ein älterer Herr, der seiner Frau die Arbeitslosigkeit verschwieg. In „Herr Katō spielt Familie“ ging es um einen einsamen Pensionisten, der für eine Agentur verschiedene Familienrollen annahm, um wieder unter die Leute zu kommen. Anders als etwa die japanische Autorin Sayaka Murata, die ihre Literatur ins Surreale gleiten lässt und so der japanischen Gesellschaft einen schrill-unheimlichen Zerrspiegel vorhält, bleibt Flašar ganz nahe an der Realität, die ohnehin seltsam und fremd genug ist. Auch ihre Sätze sind dezent und unaufgeregt, dabei äußerst genau in der Beobachtung.