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Prozesse als Qualitätssiegel

© APA - Austria Presse Agentur

Selten wurde der pauschale Vorwurf, dass es sich „die da oben“ richten, deutlicher konterkariert als im Jahr 2022

von Christian Böhmer

Man hatte ihn beinahe schon vergessen: Karl-Heinz Grasser, einst Finanzminister und erfolgreicher Wahlkämpfer, steht heute erneut vor Gericht. Diesmal geht es nicht um die Buwog-Affäre, in der Grasser sein erstinstanzliches Urteil bekämpft, nein: Es geht darum, ob der 53-Jährige gut 2,2 Millionen Euro an Steuern hinterzogen hat.

Der Ex-Minister gibt die Schuld seinem Steuerberater, dieser widerspricht. Es könnte also ein unschöner Prozess werden, aber es geht auch um viel, drohen doch eine Millionenstrafe und mehrjährige Haft.

Der zweite Grasser-Prozess ist ein trefflicher Anlass, um sich etwas vor Augen zu halten, was man in der Aufregung um falsche Parteibilanzen, verdeckte Parteispenden und Inserate zuletzt gerne übersehen hat: Österreichs Justiz arbeitet überwiegend hervorragend – und das lässt sich an verschiedenen Kriterien festmachen.

Da ist zum Beispiel die Sache mit der „Zweiklassen-Justiz“: Selten in der Zweiten Republik wurde der pauschale Vorwurf, dass es sich „die da oben“ immer richten können, deutlicher konterkariert als im Jahr 2022. Dem erheblichen politischen Widerstand zum Trotz ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen einflussreiche Protagonisten der Kanzler-Partei; und mit Heinz-Christian Strache und dem erwähnten Karl-Heinz Grasser müssen sich gegenwärtig zwei namhafte Vertreter früherer Regierungen zum wiederholten Male vor Gericht verantworten.

Hat es sich die Politik gerichtet? Wenn dem so wäre, dann stellt sie sich dabei ziemlich dilettantisch an.

Doch nicht nur die Strafverfolgung bei „clamorosen Fällen“, also bei den Promis, zeigt, dass die Justiz vieles richtig macht. Auch bei „normalen“ Causen muss man sich international nicht verstecken. Laut einer aus 2021 stammenden Untersuchung der EU-Kommission liegt Österreich bei Zivil- und Verwaltungsverfahren im Spitzenfeld: Nur in Dänemark, dem Baltikum und Slowenien bekommen Bürger in erster Instanz schneller ein Urteil.

Also alles paletti? Mitnichten. Komplexe Wirtschaftsstrafverfahren zum Beispiel dauern nach wie vor zu lange. Beispielhaft sei noch einmal Herr Grasser erwähnt. Egal, wie man zu ihm steht: dass der Ex-Minister fast 13 Jahre (!) nach Beginn der Buwog-Ermittlungen keine rechtsgültige Entscheidung hat, ist unzumutbar.

Und weil wir grad beim Tempo sind: Auch bei justizpolitischen Reformen gibt es Luft nach oben: Im Februar 2021 haben Regierungsvertreter verkündet, man werde eine jahrzehntealte Forderung umsetzen und die Staatsanwälte einem Bundesstaatsanwalt unterstellen. 16 Monate später ist von der neuen Institution wenig zu hören. Wäre die Sache nicht zu ernst, man könnte spöttisch anmerken: Hoffentlich dauert’s nicht so lange wie das Buwog-Verfahren.

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