Liechtenstein
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Strom­preis­ex­plo­sion: Wirt­schaft for­dert Han­deln, Regie­rung prüft

SCHAAN - Es ist ein erwarteter Schock: Wie bereits angekündigt, sind die LKW gezwungen, die Strompreise signifikant zu erhöhen. Die Erhöhung von 8,54 Rappen auf 27,1 Rappen pro Kilowattstunde hat es jedoch in sich. Die Wirtschaft fordert Massnahmen.

Nachdem die Liechtensteinischen Kraftwerke (LKW) im laufenden Jahr trotz explodierender Einkaufspreise auf eine Strompreiserhöhung für Haushalts- und Sondervertragskunden verzichteten, werden sie 2022 erhebliche Verluste einfahren. Um eine Strompreiserhöhung im kommenden Jahr kommen sie angesichts der anhaltenden Verwerfungen am Energiemarkt daher nicht herum.

Denn die Kosten für die Beschaffung von Strom an den Grosshandelsmärkten hätten sich in den vergangenen 24 Monaten um den Faktor 15 erhöht. Schuld daran sind die stark gestiegenen Gaspreise, der trockene Sommer, die Abschaltung der Hälfte der französischen Atomkraftwerke und der hohe Energiebedarf aufgrund von Coronanachholeffekten. Der Ukrainekrieg habe die bereits angespannte Situation an den Energiemärkten zudem noch einmal drastisch verschärft.

Mit der nun angekündigten Anpassung des Strompreises ab 1. Januar 2023 wird sich die Stromrechnung inklusive der gleichbleibenden Netznutzungskosten für Endkunden im kommenden Jahr in etwa verdoppeln. Der Preis pro Kilowattstunde wird sich dagegen von 8,54 auf 27,1 Rappen sogar mehr als verdreifachen. Dies stellt Haushalte und Wirtschaft vor grosse Herausforderungen. Für manche könnten dadurch auch Existenzen auf dem Spiel stehen. Wenig verwunderlich, werden deshalb auch Rufe nach Hilfestellungen und Massnahmen laut.

So fordert der DpL-Landtagsabgeordnete Thomas Rehak die Regierung, LKW und Energiemarktaufsicht in einem Leserbrief auf, dass die Netznutzungsgebühr nicht nur gleich bleibt, sondern für das Jahr 2023 komplett ausgesetzt wird. «Dies wird die Preisexplosion nicht beseitigen, aber wenigstens etwas abfedern», so Rehak, der die Strompreiserhöhung als ein komplettes Versagen der liechtensteinischen Energiepolitik der vergangenen zehn Jahre sieht.

«Ich bin sehr beunruhigt, da die Preisentwicklungen bei Gas und Strom für viele Klein- und Mittelbetriebe beziehungsweise für ganze Branchen existenzgefährdend sein können.»

Martin Meyer, Präsident der Wirtschaftskammer

Wirtschaftsstandort schützen

Die Wirtschaftskammer betrachtet die künftige Energieversorgung des Landes sowie die explodierenden Strom- und Gaspreise ebenfalls mit grosser Sorge. Die von den LKW angekündigten Strompreiserhöhungen sowie die Erhöhungen der Gaspreise können zu nachhaltigen Schäden für den gesamten Werkplatz beziehungsweise für den Wirtschaftsstandort Liechtenstein führen.

«Ich bin sehr beunruhigt, da die Preisentwicklungen bei Gas und Strom für viele Klein- und Mittelbetriebe beziehungsweise für ganze Branchen existenzgefährdend sein können», wird Martin Meyer, Präsident der Wirtschaftskammer, in einer Aussendung zitiert. Die Kammer warnt auch, dass mittel- bis langfristig Unternehmen und damit zahlreiche Arbeitsplätze im Land gefährdet wären. Sie fordert deshalb, dass die Regierung – ähnlich wie in der Coronapandemie – Hilfsmassnahmen für die stark betroffenen Sektoren setzt.

«Sei es in Form von direkten Wirtschaftshilfen oder alternativ durch die Festsetzung von Strom- und Gaspreisobergrenzen bei den LKW und der LGV», so WK-Geschäftsführer Jürgen Nigg. Sowohl die Wirtschaftskammer als auch die Industrie- und Handelskammer stehen deshalb in engem Kontakt mit Regierung und Mitgliedsunternehmen. So evaluiere man derzeit die Bedürfnisse der Mitglieder, um deren Anliegen bei der Regierung einzubringen, erklärt LIHK-Geschäftsführerin Brigitte Haas auf «Volksblatt»-Anfrage.

Das ist die neue Taskforce "Energiepreise"

Die Regierung hat eine Taskforce «Energiepreise» unter der Leitung des Ministeriums für Inneres, Wirtschaft und Umwelt eingesetzt, um die Auswirkungen der steigenden Energiepreise auf die privaten Haushalte und Unternehmen zu analysieren sowie mögliche Massnahmen zur vorübergehenden Abfederung zu evaluieren. In der Taskforce haben neben dem Wirtschaftsministerium auch das Ministerium für Gesellschaft, das Amt für Soziale Dienste, das Amt für Volkswirtschaft sowie die Steuerverwaltung, die Stabsstelle Finanzen und das Amt für Statistik mit je einem Vertreter Einsitz. Zudem würden auch die Wirtschaftsverbände zur Konsulation beigezogen. Bis Ende Oktober 2022 soll die Taskforce einen ersten Zwischenbericht zu den Auswirkungen der Energiepreise vorlegen.

Regierung gründet Taskforce

Seitens der Regierung sind jedoch keine sofortigen Massnahmen zu erwarten. Wie sie am Dienstag mitteilte, könne sie der Anpassung der Preise an die Situation auf den Energiemärkten auch Positives abgewinnen: «Die hohen Preise signalisieren Knappheit und veranlassen die Bevölkerung und die Wirtschaft zum Energiesparen und zu Effizienzmassnahmen. Der damit einhergehende Lenkungseffekt hilft gleichzeitig, eine ernsthafte Versorgungsmangellage zu vermeiden», heisst es aus dem Ministerium für Inneres Wirtschaft und Umwelt. Zudem sei der Anteil der Energiekosten an den Haushaltsbudgets der Privathaushalte in Liechtenstein und der Schweiz deutlich geringer als in anderen europäischen Ländern.

Dennoch ist der Regierung bewusst, dass die hohen Energiepreise einkommensschwache Haushalte sowie energieintensive Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten bringen können. Die Regierung werde die Lage deshalb weiterhin beobachten und hat eine Taskforce «Energiepreise» eingesetzt. Diese soll die Auswirkungen der Energiepreise auf private Haushalte und Unternehmen analysieren und mögliche vorübergehende Abfederungsmassnahmen prüfen. Seiten 5 und 8

Die wich­tigsten Ant­worten der LKW zur Preiserhöhung

Wie hoch sind die neuen Stromtarife für die Haushaltskunden?

Preise 2023 (nur Energie, ohne Herkunftsnachweis)

Gibt es weiterhin Niedertarifzeiten?

Die Niedertarifzeiten bleiben bestehen: Täglich von 20 bis 7 Uhr. Samstag ab 13 Uhr bis Montag 7 Uhr.

Wieso sind die Strompreise von den Gaspreisen abhängig?

Die Strompreise an den Börsen werden durch die sogenannte Merit-Order bestimmt. Das heisst, die teuerste gerade noch absetzbare Stromproduktionsart bestimmt den Preis für den ganzen Stromhandel. Durch den Wegfall der günstigen Kernenergie in Frankreich ist aktuell praktisch immer Gas die preisbestimmende Produktion.

Wieso beeinflussen eine tiefe Wind- und Wasserkraftproduktion den Gaspreis?

Im Winter ist die Windkraftstromproduktion in der Regel grösser als im Sommer und trägt in Europa massgeblich zur Deckung des Bedarfs bei. Fällt diese, wie im Winter 2021/22 tief aus, muss diese durch andere Technologien ersetzt werden. Im letzten Winter waren das vor allem Gaskraftwerke, da französischer Atomstrom fehlte.

Wie steht die Strompreissteigerung im Vergleich zu den Kostensteigerungen beim Gas in Liechtenstein?

Liechtenstein Wärme (ehemals LGV) hat die Preise in mehreren Schritten seit Herbst 2021 angehoben. Gesamthaft beläuft sich die Steigerung auf etwa 110 Prozent. Der Strompreis bleibt bis Ende 2022 unverändert und steigt dann im Jahr 2023 um circa 100 Prozent.

Wie beschaffen die LKW den Strom?

Die LKW müssen für ihre Kunden in Liechtenstein ca. 2/3 des Stroms an der Börse beschaffen, da die Eigenproduktion nur gerade 18 Prozent deckt. Die LKW beschaffen an den Börsen Energie gestaffelt in mehreren Tranchen im Voraus, mit einem Zeithorizont von drei Jahren. Wann die Tranchen beschafft werden, ist in einem Strategiepapier festgehalten, um Preisschwankungen zu glätten. So haben die LKW bereits im Jahr 2020 bis Mitte 2021 mehrere Tranchen für das Jahr 2023 zu tiefen Preisen beschafft. Die letzten Tranchen mussten hingegen im Jahr 2022 bei extrem steigenden Kosten zugekauft werden, was die Strompreiskosten für 2023 in die Höhe treibt.

Wie hoch steigen die Strompreise in der umliegenden Region?

  • Strompreis der LKW 2023: 36,74 Rp/kWh (Graustrom, ohne Messpreis); +101 Prozent gegenüber Vorjahr
  • Strompreis Buchs 2023: 30,81 Rp/kWh; +51,2 Prozent gegenüber Vorjahr
  • Strompreis Sennwald 2023: 35,19 Rp/kWh; + 38,8 Prozent gegenüber Vorjahr
  • Strompreis Sevelen 2023: 36,98 Rp/kWh; +64,6 Prozent gegenüber Vorjahr
  • Strompreis Wartau 2023: 40,05–42,34 Rp/kWh; +81,5 Prozent gegenüber Vorjahr

Wieso sind die Preise in Liechtenstein höher als in den meisten Gemeinden im Rheintal?

Liechtenstein ist vollständig liberalisiert. Dennoch haben die LKW neben den Privatkunden auch viele Gewerbe- und kleinere Industriekunden in einem Tarifmodell (quasi wie Grundversorgung). Deshalb sind auch die Mengen, die mit Tarifmodellen abgesetzt werden, viel höher. In der Schweiz decken sich viele dieser Kunden direkt am Markt ein und müssen viel höhere Preise bezahlen. Im Gegensatz zu vielen Schweizer Elektrizitätswerken verfügen die LKW nur über 18 Prozent Eigenversorgung. Mit Beteiligungen an Kraftwerken und Langfristverträgen wird ein weiterer Teil des Absatzes gedeckt. Ca. 2/3 des Stroms müssen die LKW aber an der Börse einkaufen und auch die PV-Produktion in FL zu Marktpreisen übernehmen. Dies führt zu einem etwas höheren Strompreis.

Warum muss man die Netznutzung separat bezahlen? Verdienen die LKW dann doppelt?

Mit den Netznutzungsentgelten stellen die LKW ein «langfristig sehr hohes Niveau an technischer Versorgungssicherheit und Aufnahmefähigkeit von Photovoltaik sicher», schreiben diese auf ihrer Website. Die Kosten fliessen also direkt in die Infrastruktur (Neu- und Ersatzinvestitionen, Betrieb und Unterhalt etc.) und sind unabhängig von Stromproduktion und -beschaffung. Die Netznutzungspreise werden nicht von den LKW bestimmt, sondern von der Kommission für Energiemarktaufsicht festgelegt. Obwohl die Kosten für die Netznutzung gestiegen sind (z. B. aufgrund von Beschaffung von Strom für die Deckung der Netzverluste, höheren Kosten für Systemdienstleistungen), verzichten die LKW auf einen Antrag einer Erhöhung der Netznutzungsentgelte bei der Energiemarktaufsicht.

Machen die LKW mit den Strompreiserhöhungen wieder Gewinne?

Da die Preise 2022 nicht gestiegen sind, werden die LKW einen zweistelligen Millionenbetrag ihrer Reserven in Form eines Verlustes für ihre Kunden aufwenden. Für 2023 streben die LKW durch die Strompreiserhöhungen ein ausgeglichenes Resultat (schwarze Null) an, damit keine Staatsbeihilfen notwendig werden. Die LKW streben daher keinen Gewinn im Jahr 2023 an. Die Kosten werden laufend geprüft und bei einer positiven Entwicklung werden die LKW reagieren und die Preise korrigieren.

Haben die LKW falsch kalkuliert, dass die Jahresrechnung 2022 so schlecht ausfallen wird?

Die LKW haben bewusst darauf verzichtet, die Strompreise unter dem Jahr zu erhöhen, damit die Kundinnen und Kunden bis Ende Jahr Planungssicherheit haben.

Gibt es für die Endkunden eine finanzielle Unterstützung des Landes?

Die hohen Energiepreise können einkommensschwache Haushalte sowie energieintensive Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten bringen. Die Regierung hat eine Taskforce «Energiepreise» unter der Leitung des Ministeriums für Inneres, Wirtschaft und Umwelt eingesetzt, um die Auswirkungen der steigenden Energiepreise auf die privaten Haushalte und die Unternehmen zu analysieren sowie mögliche Massnahmen zur vorübergehenden Abfederung zu evaluieren. Die liechtensteinischen Wirtschaftsverbände sind in diesen Prozess eingebunden. Bis Ende Oktober 2022 wird ein erster Zwischenbericht vorgelegt. 

(sa)

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